Warum der Lebensstil so entscheidend ist |
Christina Hohmann-Jeddi |
20.08.2025 18:00 Uhr |
Ein ungesunder Lebensstil verschlechtert nicht nur das psychische Befinden, sondern trägt auch zur verkürzten Lebenserwartung von psychisch Erkrankten bei. / © Getty Images/seb_ra
Psychisch kranke Menschen sind nicht nur psychisch belastet, sondern leben auch um 13 bis 15 Jahre kürzer als die Allgemeinbevölkerung. Der Hauptgrund hierfür ist das deutlich erhöhte Herz-Kreislauf-Risiko dieser Personen. Körperliche Erkrankungen sind für 70 Prozent der Todesfälle bei schwer psychisch Erkrankten verantwortlich.
In dieser Patientengruppe sind lebensstilabhängige Risikofaktoren besonders weit verbreitet: Die Raucherquote ist hoch, Bewegungsmangel verbreitet, die Ernährung tendenziell ungesund und die Schlafhygiene schlecht. Darauf weist die »Lancet Psychiatry Commission« in ihrem aktuellen Report hin, der im Fachjournal »The Lancet Psychiatry« erschienen ist (DOI: 10.1016/S2215-0366(25)00170-1).
Die Experten um Dr. Scott Teasdale von der University of New South Wales (UNSW) in Sydney, Australien, fordern daher ein Umdenken bei der Versorgung von psychisch Erkrankten und einen Ausbau der Lebensstilinterventionen. Solche Interventionen hätten sich als wirksame ergänzende Therapien für Menschen mit psychischen Erkrankungen erwiesen, heißt es in dem Report. Sie linderten nicht nur psychische Symptome, sondern schützten auch die körperliche Gesundheit und förderten das allgemeine Wohlbefinden.
»Unsere Lebensweise kann den Verlauf von psychischer und körperlicher Gesundheit maßgeblich beeinflussen«, betont der Ernährungswissenschaftler Teasdale in einer Mitteilung. Vielen Betroffenen fällt aber eine gesunde Lebensweise mit ausreichend Bewegung und Schlaf, ausgewogener Ernährung und Tabakverzicht schwer.
Den Autoren zufolge reichen Appelle an individuelles Verhalten nicht aus. Notwendig sei ein struktureller Wandel: Gesundheitsdienste müssten mehr investieren, Fachkräfte weiterbilden und den Zugang zu Ernährungs- und Bewegungsexperten ermöglichen. »Es geht hier nicht nur um individuelles Verhalten, sondern um die Transformation von Systemen, die Gesundheit und Wohlbefinden unterstützen«, so Teasdale. So sei die Versorgung von psychisch erkrankten Menschen bisher auf Krisenbewältigung und medikamentöse sowie Psychotherapie ausgelegt, während der Lebensstil kaum im Fokus steht. Dem Report zufolge werden auch strukturelle Faktoren wie Armut, Bildungsdefizite und ungleicher Zugang zur Versorgung bisher unterschätzt.
Für den Bericht haben die Autoren untersucht, was Lebensstilinterventionen wirksam macht und wie sie in der psychiatrischen Versorgung umgesetzt werden können. Er basiert auf der Auswertung von 89 Studien und 18 Metaanalysen. Daraus entwickelte die 30-köpfige Kommission mit Experten aus 19 Ländern acht Empfehlungen und 19 konkrete Handlungsprioritäten. Ein internationaler Beirat, darunter Vertreter aus einkommensschwachen oder krisengeprägten Regionen, prüfte die Ergebnisse, um ihre Umsetzbarkeit in unterschiedlichen Kontexten sicherzustellen.
Das Team habe allgemeingültige Prinzipien gefunden, die lokal umgesetzt werden müssten, betont Professor Dr. Simon Rosenbaum von der UNSW in der Mitteilung: »Wir haben gemeinsame Elemente identifiziert, die in der Versorgung gelten sollten – egal ob in einem Flüchtlingslager in Bangladesch oder in einem Krankenhaus in den östlichen Vororten Sydneys.« Dazu gehöre es, psychologisch sichere Umgebungen zu schaffen und sicherzustellen, dass das Betreuungspersonal über Empathie und die nötigen Fähigkeiten verfügt, um traumasensibel und kulturell angemessen zu arbeiten. »Die Verankerung solcher Interventionen muss in Partnerschaft mit den Betroffenen erfolgen – und unter Berücksichtigung der sozialen und wirtschaftlichen Realitäten, mit denen sie konfrontiert sind«, so Rosenbaum.
Auch in ressourcenarmen Ländern seien Anpassungen möglich, ergänzt Professor Dr. Pillaveetil Sathyadas Indu von der Kerala University of Health Sciences in Indien: Dort könne man bestehendes Personal schulen, Angehörige einbinden und auf einfache, aber wirksame Lebensstil-Maßnahmen setzen.
Einige Entwicklungen sind bereits sichtbar: In Australien verankerten Fachgesellschaften seit 2020 Lebensstiländerungen neben Psychotherapie als Grundlage der Behandlung von Depressionen; Arzneimittel werden ergänzend eingesetzt. Dennoch bleibe die Umsetzung schleppend, so Teasdale – nicht zuletzt wegen knapper Budgets und überlasteter Systeme. Langfristig lohne sich die Investition, betonen die Autoren des Reports. Effektiv eingesetzte Lebensstilinterventionen seien nicht nur gesundheitlich, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll, da sie Folgeerkrankungen vermeiden helfen.