Wann Untergewicht zum Problem wird |
Zu wenige statt zu viele Kilos: Dieses Problem hätte wohl so mancher gerne. Doch eine potenzielle Mangelernährung kann bei Untergewicht gesundheitliche Folgen haben. / Foto: Adobe Stock/Klaus Eppele
Zahlenmäßig ist Untergewicht in Ländern mit hohem Einkommen ein geringes Problem. In Deutschland sind etwa 4 Prozent der Frauen und 0,8 Prozent der Männer untergewichtig, haben also einen Body-Mass-Index (BMI) unter 18,5. Dabei sind junge Frauen zwischen 18 und 20 Jahren dreimal häufiger betroffen als der Durchschnitt. Der Grenzwert wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Erwachsene zwischen 18 und 65 Jahren definiert. Für Senioren ab 65 hat die European Society for Clinical Nutrition (ESPEN) die Grenze zum Untergewicht bei einem BMI unter 20 und ab 70 Jahren unter 22 festgelegt.
»Leichtes Untergewicht bei gesunden, jungen Menschen hat normalerweise keine medizinische Bedeutung und birgt kein großes Risiko«, erklärt Professor Dr. Matthias Pirlich, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM), im Gespräch mit der PZ. So können Menschen etwa genetisch mit einem schnellen Stoffwechsel ausgestattet sein und einen höheren Grundumsatz haben. Das sei in unserer Gesellschaft aber etwas Seltenes, denn der durchschnittliche BMI in der gesunden Bevölkerung liege über 25.
Wichtiger als das, was die Waage anzeigt, ist aber der Ernährungszustand. Dabei sind untergewichtige Menschen nicht automatisch mangelernährt, also mit lebensnotwendigen Nährstoffen unterversorgt. Sie haben allerdings ein erhöhtes Risiko dafür. Wer weniger als 1200 Kilokalorien am Tag isst, schafft es trotz einer vielseitigen Lebensmittelauswahl nicht mehr, die nötigen Nährstoffe zu sich zu nehmen.
Häufig stecken Erkrankungen hinter einem Untergewicht. So sei ein unbeabsichtigter schneller Gewichtsverlust ein Alarmsignal, erklärt der Ernährungsmediziner. Verliert ein Normalgewichtiger in sechs Monaten 5 kg Körpergewicht, ohne etwas an seinem Lebensstil geändert zu haben, sollte er einen Arzt konsultieren. »Das ist oft das erste Symptom einer Erkrankung und bei der Untersuchung werden wir meist schnell fündig.« Ernährungsmediziner benutzten in dem Zusammenhang auch eher den Begriff Mangelernährung, denn sie – und nicht das absolute Körpergewicht – berge die entsprechenden Risiken, nämlich einen substanziellen Abbau von Muskelmasse.
»Es gibt kaum eine chronische körperliche oder psychische Erkrankung, die nicht zu einer Mangelernährung führen kann«, betont Pirlich. Das könne manchmal auch sehr schnell gehen. Dazu zählten beispielsweise chronische Erkrankungen des Darms, der Lunge, der Bauchspeicheldrüse, Krebserkrankungen und schwere Entzündungen.
Essen hat immer auch eine soziale Komponente. Sie spielt bei Appetitlosigkeit von alleinstehenden Senioren meist eine wichtige Rolle. / Foto: Getty Images/Nes
Zur Risikogruppe für Mangelernährung und Untergewicht zählen auch Menschen mit neurologischen Erkrankungen wie Demenz und Parkinson. Auch chronische Schmerzen können den Appetit mindern. Bei Senioren sind es häufig der nachlassende Geruchs- und Geschmackssinn sowie Seh-, Kau- und Schluckstörungen, die eine adäquate Nahrungsaufnahme erschweren.
»Die gesundheitlichen Risiken von Mangelernährung kann man sehr klar benennen«, sagt Pirlich. »Sie schwächt den gesamten Organismus und das Immunsystem. Das führt beispielsweise zu verlängerten Klinikaufenthalten, die Komplikationsraten bei Operationen steigen, die Patienten werden nach der Entlassung schneller erneut eingewiesen, die Wundheilung kann gestört sein und es kann zu Muskelschwäche kommen.«
Untergewicht und Mangelernährung können sich vielfältig zeigen: Konzentrationsstörungen, Müdigkeit oder Kreislaufstörungen sind häufige Symptome. Untersuchungen belegen einen Zusammenhang mit Zyklusstörungen und unerfülltem Kinderwunsch, mit Früh- und Fehlgeburten und einem niedrigen Geburtsgewicht. Auf Dauer steigen das Osteoporoserisiko und die Sturzgefahr.