Wann und wie wird substituiert? |
Brigitte M. Gensthaler |
28.11.2023 11:30 Uhr |
Klein, unscheinbar und doch lebenswichtig: die Schilddrüse. / Foto: Adobe Stock/New Africa
Die primäre Hypothyreose ist gekennzeichnet durch eine verminderte Sekretion der Hormone T4 und T3 aus der Schilddrüse. In der Folge ist das Schilddrüsen-stimulierende Hormon (TSH), das in der Hypothalamus-Hypophysen-Achse der T3- und T4-Produktion direkt übergeordnet ist, erhöht.
Häufigste Ursachen sind die Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis) sowie iatrogene Eingriffe wie eine Entfernung der Schilddrüse (Thyreoidektomie) oder Radioiodtherapie, berichtete Dr. Christine Klasen, Chefärztin für Endokrinologie/Diabetologie am Diakonie-Klinikum Stuttgart, am vergangenen Wochenende beim Heidelberger Herbstkongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. Auch Medikamente wie Thyreostatika, Lithium, Amiodaron, Checkpoint- und Tyrosinkinase-Inhibitoren können die Schilddrüsenfunktion bremsen. Sogenannte sekundäre Hypothyreosen beruhen auf Hypothalamus- oder Hypophysenerkrankungen.
Die Symptome der Hypothyreose sind vielfältig und unspezifisch. Als Grenzwert für eine Substitution gelte meist ein TSH-Wert von 10 mU/l, doch das sei differenziert zu betrachten, erklärte die Internistin.
Die kürzlich aktualisierte S2k-Leitlinie der DEGAM (AWMF-Register-Nr. 053-046) definiere erhöhte TSH-Werte altersabhängig. So gilt bei Erwachsenen bis 70 Jahre ein Wert über 4,0 mU/l als erhöht, zwischen 70 bis 80 Jahre über 5,0 mU/l und im Alter ab 80 Jahre ein Wert über 6,0 mU/l. Damit werde dem physiologischen TSH-Anstieg im Alter Rechnung getragen.
Die Ärztin wies auf »Fallstricke« bei der TSH-Bestimmung hin. So könne der Wert nach einer Krankenhausentlassung, in der Erholungsphase nach einer Schilddrüsenentzündung oder nach dem Absetzen von Levothyroxin passager erhöht sein. Ferner seien die zirkadiane Rhythmik und Pulsatilität, der saisonale TSH-Verlauf und die Iodversorgung zu beachten.
Laut DEGAM-Leitlinie ist eine Hormonsubstitution indiziert bei manifester Hypothyreose. Bei latenter Hypothyreose ist individuell zu entscheiden. Unabhängig vom Alter sollte ein asymptomatischer Patient mit leicht erhöhtem TSH-Wert (≤ 10 mU/l) nicht substituiert werden. Bei höheren Werten sollte bei Patienten unter 75 Jahren eine Therapie eingeleitet werden. Bei ihnen und auch bei Älteren könne man aber auch nur beobachten (bis TSH < 20 mU/l).
Mittel der Wahl ist Levothyroxin als Monotherapie. Die Initialdosis solle abhängig von Alter, Gewicht, kardialem Status sowie der Schilddrüsenrestfunktion individuell festgelegt werden, sagte Klasen. Der TSH-Zielkorridor liege zwischen 0,4 und 4,0 mU/l. Der TSH-Wert sollte nach acht Wochen und dann regelmäßig kontrolliert werden.
Wann steigt der Hormonbedarf? Bei abnehmender Schilddrüsenfunktion, deutlicher Gewichtszunahme und in der Schwangerschaft. Dann sollte die Frau ein bis zwei zusätzliche Dosen/Woche einnehmen, was einer 25- bis 30-prozentigen Dosiserhöhung entspricht, riet die Ärztin. Als weitere Gründe für steigenden Hormonbedarf nannte sie eine eingeschränkte Resorption (deutlich sojahaltige Kost), Malabsorptionssyndrome (an Hashimoto assoziierte chronisch-atrophische Gastritis und Zöliakie denken), Helicobacter-pylori-Infektion und bariatrische Eingriffe.
Ein guter Cappuccino oder Milchkaffee zur Tablette? Das ist das Aus für Levothyroxin. / Foto: Getty Images/Acharaporn Kamornboonyarush / EyeEm
Wichtig ist die korrekte Einnahme: nüchtern mindestens 30 Minuten vor dem Frühstück oder einem Getränk (außer Wasser). »Ein Milchkaffee zehn Minuten nach der Einnahme ist der Tod der Tablette.« Auch Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel sollten erst nach 30 Minuten geschluckt werden.
Apotheker sollten auf Interaktionen achten. Aluminium-haltige Antazida, Calcium und Eisen, Orlistat und PPI können die Resorption reduzieren. Enzyminduktoren wie Carbamazepin, Rifampicin und Johanniskraut steigern den Levothyroxin-Metabolismus. Die Konzentration an Thyroxin-bindendem Globulin (TBG) im Serum werde erhöht durch Opioide, Capecitabin, Clofibrat, Estrogene (Pille), Raloxifen und Tamoxifen.
Wie gut ist die Einstellung in der Praxis? Die Ärztin verwies auf die kürzlich im »Deutschen Ärzteblatt« publizierte populationsbasierte Rheinland-Studie. Insgesamt gaben 23 Prozent der fast 3000 Teilnehmer an, Levothyroxin einzunehmen. Davon waren 18 Prozent über- und 4 Prozent unterbehandelt. Bei Personen über 70 Jahren war die Wahrscheinlichkeit einer Überbehandlung viermal höher.