Wann und wie Alzheimer diagnostiziert wird |
Christina Hohmann-Jeddi |
20.09.2024 16:20 Uhr |
Wenn man trotz einer Fülle von Merkhilfen Wichtiges vergisst, kann dies ein Anzeichen für eine Alzheimer-Erkrankung sein, das ärztlich abgeklärt werden sollte. / Foto: Getty Images/Monica Ninker Photography
Man hat den Schlüssel verlegt, kommt nicht auf das richtige Wort oder einen Namen – solche Schusseligkeiten kennen viele Menschen. Aber was ist noch normal und wo beginnt eine Demenzerkrankung, von der Morbus Alzheimer die häufigste Form ist? »Die Unterscheidung ist gerade zu Beginn gar nicht einfach«, erklärt Dr. Linda Thienpont, stellvertretende Geschäftsführerin der Alzheimer Forschung Initiative (AFI), im Gespräch mit der PZ. Aufmerksam werden sollte man etwa, wenn verlegte Alltagsgegenstände an ungewöhnlichen Orten aufgefunden werden, zum Beispiel der Schlüssel im Kühlschrank. »Demenzpatienten passiert so etwas, weil sie vergessen, wofür diese Dinge da sind.«
Auch Persönlichkeitsveränderungen wie zunehmendes Misstrauen, Ängstlichkeit bis hin zu Wahngedanken – dass beispielsweise die Angehörigen oder Nachbarn Dinge verlegen oder etwas im Schilde führen – können Anzeichen einer Alzheimer-Erkrankung sein. Ein Warnzeichen sind auch Orientierungsprobleme in gewohnter Umgebung, wenn man sich also in vertrauten Straßen verläuft.
Frühe Anzeichen einer Alzheimer-Erkrankung können sein:
All dies sind Hinweise, die abgeklärt werden sollten. »Erster Ansprechpartner ist hier die Hausärztin oder der Hausarzt«, sagt Thienpont. Bei Verdacht auf eine neurodegenerative Erkrankung werden die Patienten dann zur Diagnostik an Fachärzte wie Neurologen und Psychiater oder an eine Gedächtnisambulanz überwiesen.
Häufig seien es Angehörige, die Patienten in der Arztpraxis vorstellen, da die Betroffenen selbst erste Krankheitszeichen häufig nicht erkennen oder wahrhaben wollen, berichtet die Expertin. Patienten gegen ihren Willen untersuchen zu lassen, sei aber problematisch. Letztlich sei es die Entscheidung des Betroffenen, ob eine Untersuchung gewünscht ist.
»Die Alzheimer-Diagnostik ist sehr umfangreich und aufwendig«, sagt Thienpont. Meist seien mehrere Termine notwendig. Zuerst werden in einem anamnestischen Gespräch der Allgemeinzustand des Patienten, die neurologischen Symptome, körperlichen Beschwerden und die aktuelle Medikation erfasst. Um die kognitiven Funktionen zu prüfen, gibt es verschiedene neuropsychologische Tests.
Üblich ist etwa der sogenannte Uhrentest, bei dem Patienten das Ziffernblatt mit einer bestimmten Uhrzeit aufmalen sollen und der die Visuokonstruktion prüft. Etwas aufwendiger ist der Demtect-Test, der in knapp zehn Minuten das Gedächtnis, die Wortflüssigkeit und die Aufmerksamkeit untersucht. »Die Aufgaben sind für gesunde Personen sehr einfach, Patienten mit Demenzerkrankungen bereiten sie aber Schwierigkeiten.« Für den Untersuchenden ist es auch hilfreich, wenn Angehörige eine Fremdeinschätzung etwa zur Alltagskompetenz oder möglicher Verhaltensänderungen des Betroffenen geben können.
Um andere Ursachen für kognitive Defizite auszuschließen, werden in einem weiteren Schritt verschiedene Parameter aus dem Blut bestimmt. Zu nennen sind hier etwa der Blutzucker, Vitamin-B12-Spiegel, die Schilddrüsenwerte und Elektrolyte. So können etwa Probleme mit der Schilddrüsenfunktion, ein Diabetes oder Vitamin-B12-Mangel, die ebenfalls die kognitiven Funktionen stören können, ausgeschlossen werden. Zur Abgrenzung einer Depression, die klinische Ähnlichkeiten aufweist, bietet sich ein spezieller Depressionsfragebogen an. Auch die Medikation wird geprüft, um mögliche arzneimittelbezogene Probleme zu erkennen.
Weisen die Ergebnisse der neuropsychologischen Tests auf eine mögliche Demenz hin und wurden andere Ursachen für kognitive Defizite ausgeschlossen, werde immer eine Bildgebung durchgeführt, also eine Aufnahme des Kopfes mittels Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT). In diesen Aufnahmen ließen sich weitere mögliche Ursachen für Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisprobleme wie Durchblutungsstörungen oder Hirntumoren erkennen und charakteristische Auffälligkeiten für eine Demenzerkrankung identifizieren. Für Alzheimer seien etwa ein Volumenrückgang des Hippocampus und die Ausweitung der Hohlräume (Ventrikel) im Gehirn typisch.
Bislang nicht erstattet wird eine Positronen-Emissions-Tomografie (PET), die schädliche Proteinablagerungen wie die für Alzheimer typischen Amyloid-Plaques oder Anhäufungen von α-Synuclein-Protein, die auf die Lewy-Körperchen-Demenz hinweisen, sichtbar machen kann. In der S3-Leitlinie »Demenz« werden die PET-Scans zur Abklärung unklarer Fälle bereits empfohlen.
Dr. Linda Thienpont ist stellvertretende Geschäftsführerin der Alzheimer Forschung Initiative. / Foto: Sabrina Weniger
Zur Sicherung der Diagnose Alzheimer könne noch eine Lumbalpunktion durchgeführt, also Liquor aus dem Rückenmark entnommen werden, berichtet Thienpont. Im Nervenwasser bestimme man die Konzentrationen der für die Alzheimer-Pathologie charakteristischen Proteine β-Amyloid und Tau, was Rückschlüsse auf deren Spiegel im Gehirn ermöglicht.
Das Gesamtbild all dieser Untersuchungen führe dann am Ende zu einer relativ sicheren Diagnose, so die Expertin. »Während man noch vor 15 oder 20 Jahren sagte, dass eine Alzheimer-Erkrankung erst nach dem Tod – anhand von Gehirnobduktionen – sicher diagnostiziert werden kann, ist das heute nicht mehr der Fall.« Die Diagnoseverfahren seien in den vergangenen Jahren deutlich verbessert worden.
Bei der Übermittlung der Diagnose sei es ausgesprochen wichtig, einfühlsam auf den Patienten einzugehen. Gegebenenfalls könne eine medikamentöse Therapie mit Antidementiva gestartet werden, die zwar nicht die Neurodegeneration stoppen können, aber die kognitiven Funktionen stärken sollen. Zudem kann über nicht medikamentöse Optionen wie Ergotherapie, Logopädie oder Musiktherapie beraten werden.
Die aktuell zugelassenen Therapien sind für eine diagnostizierte Alzheimer-Erkrankung vorgesehen. In Zukunft könnten aber verstärkt schon frühe Alzheimer-Formen und milde kognitive Störungen (MCI) erkannt werden, sagte Thienpont. An entsprechenden Frühdiagnostik-Verfahren werde weltweit intensiv gearbeitet. Manche Bluttests seien in der klinischen Entwicklung schon weit fortgeschritten. Noch sei es ethisch aber problematisch, auf MCI zu testen, wenn es für diese keine Behandlungsmöglichkeiten gibt. Aber auch das könnte sich in Zukunft ändern, denn an entsprechenden Therapien werde ebenfalls intensiv geforscht.
So hat es beispielsweise der gegen das β-Amyloid gerichtete Antikörper Lecanemab (Leqembi®) in einigen Ländern wie USA, China, Japan, Israel sowie mit Einschränkungen auch in Großbritannien zur Zulassung gebracht. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA sprach sich dagegen vor Kurzem aufgrund eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses gegen eine Zulassung aus.
Da es sich bei Alzheimer-Demenz um eine multifaktorielle Erkrankung handele, werde es vermutlich in Zukunft nicht den einen Wirkstoff geben, der die Pathologie stoppen kann, so die Einschätzung der Expertin. Ziel sei es, mehrere Wirkstoffgruppen, die an verschiedenen Targets ansetzen, zu entwickeln und zur Zulassung zu bringen.