Vorbilder der anderen Art |
Annette Rößler |
26.05.2025 15:00 Uhr |
Ron Wood, Mick Jagger und Keith Richards (v.l.) bei einem Auftritt im Jahr 2024. Die drei noch verbliebenen Mitglieder der Band »The Rolling Stones« sind mittlerweile zusammen 239 Jahre alt. / © Imago Images/Zuma Press
Mick Jagger, Keith Richards und Ron Wood: Diese drei bilden seit dem Tod von Charlie Watts im Jahr 2021 die Rolling Stones. Zusammen bringen es die verbliebenen drei Mitglieder der wohl bekanntesten Rockband der Geschichte auf stolze 239 Lebensjahre, wobei Jagger und Richards je 81 beisteuern und Wood »lediglich« 77.
Wie kommt es, dass die Stones, die jahrelang für Drogen- und sonstige Exzesse berüchtigt waren, so alt geworden sind? Beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran gaben Professor Dr. Dieter Steinhilber von der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Professor Dr. Theo Dingermann, Senior Editor der Pharmazeutischen Zeitung, Antworten auf diese Frage.
»Die wichtigste Regel, um gesund alt zu werden, lautet: Don’t die from anything stupid – stirb nicht an etwas Dummem«, sagte Dingermann augenzwinkernd. So banal es klingt, steckt darin eine ernste Botschaft. Als »dumm« hätte man es beispielsweise bezeichnen können, wenn einer der Stones im berauschten Zustand durch einen Unfall oder an einer Beimengung der diversen konsumierten Drogen gestorben wäre. Dass zumindest Letzteres nicht geschah, war wohl weniger Glück als Umsicht: »Richards, der mittlerweile abstinent lebt, bemerkte einmal in einem Interview, er lebe nur deshalb noch, weil er bei allen Drogen stets auf höchste pharmazeutische Qualität geachtet habe«, sagte Steinhilber.
Gesunde Ernährung, viel körperliche Bewegung, ausreichender und regelmäßiger Schlaf sowie die Beschäftigung mit kognitiv fordernden Aufgaben seien Maßnahmen, die erheblich zu einem langen Leben in guter Gesundheit beitrügen, sagte Dingermann. All dies klingt eher nach einem diametralen Gegenentwurf zum Lebenswandel der Rolling Stones. Doch Vorsicht: Wer das denkt, hat vermutlich nicht mitbekommen, dass die verbliebenen drei Bandmitglieder mittlerweile als Vorbilder in Sachen gesunder Lebensstil dienen könnten. Offenbar haben sie nach den Ausschweifungen der früheren Jahre das Ruder noch rechtzeitig herumgerissen, um ihr mittlerweile stolzes Alter zu erreichen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Watts, der jahrelang Raucher gewesen war, schließlich an Kehlkopfkrebs verstarb.
Physiologisch betrachtet gebe es bestimmte Merkmale des Alterns, erklärte Dingermann unter Verweis auf eine »Nature«-Publikation aus dem Jahr 2020 (DOI: 10.1038/s41574-020-0335-y). Hierzu zählten eine veränderte intrazelluläre Kommunikation, Erschöpfung des Stammzellpools, mitochondriale Dysfunktion, zelluläre Seneszenz, veränderte Nährstoffsensorik, Verlust der Proteostase, epigenetische Alterung, Verkürzung der Telomere und genomische Instabilität. 2023 seien im Fachjournal »Cell« noch drei weitere Merkmale definiert worden (DOI: 10.1016/j.cell.2022.11.001): chronische Entzündung, Dysbiose und gestörte Makroautophagie.
Es gebe einige Interventionen mit nachgewiesenen Effekten auf einen oder mehrere dieser Prozesse. So sei etwa gut belegt, dass Hungern die Altersuhr langsamer ticken lasse, weil mit dem Älterwerden assoziierte epigenetische Veränderungen unter Kalorienrestriktion langsamer ablaufen. »Füttert man Mäuse mit der gleichen Diät, kürzt jedoch in einer Gruppe die Futtermenge um 40 Prozent, leben diese Tiere durchschnittlich 30 Prozent länger als jene, die genügend zu fressen bekommen«, sagte Dingermann. Dieses Ergebnis sei allerdings mit genetisch homogenen Mausstämmen erzielt worden – eine äußerst künstliche Voraussetzung. Bei Mäusen, die nicht per Inzucht gezüchtet worden und deshalb genetisch vielfältig waren, sei das Ergebnis in einer unlängst erschienenen »Nature«-Publikation deutlich heterogener ausgefallen (DOI: 10.1038/s41586-024-08026-3). »Wichtiger als die Kalorienreduktion scheint daher die genetische Ausstattung zu sein«, sagte Dingermann.
Auch zugelassene Arzneistoffe werden daraufhin getestet, ob sie Alterungsprozesse aufhalten können. Die Finanzierung ist dabei oft schwierig, weil die Wirkstoffe größtenteils nicht mehr patentgeschützt sind. Seriös sei die Forschung des Intervention Testing Program (ITP) am US-amerikanischen National Institute of Aging (NIA), so Dingermann. Im Vorjahr sei eine Auflistung von Wirkstoff(gruppen) erschienen, die sich als Anti-Aging-Medikamente eignen könnten (DOI: 10.18103/mra.v12i2.5138). Ganz oben auf der Liste standen SGLT2-Inhibitoren, Metformin, Bisphosphonate und GLP-1-Agonisten.
Professor Dr. Theo Dingermann (links) und Professor Dr. Dieter Steinhilber hatten bei ihrem Vortrag über die Rolling Stones und das Altern in Meran sichtlich Spaß. / © PZ/Alois Müller