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Post-Vac-Syndrom

Vorabpublikation wirft viele Fragen auf

Warum einige Menschen nach der Impfung gegen Covid-19 unspezifische Symptome entwickelten, die denen von Long Covid ähneln und auch als Post-Vac-Syndrom bezeichnet werden, ist noch nicht verstanden. Eine aktuelle Preprint-Veröffentlichung will einen Beitrag zur Ursachensuche leisten, wird diesem Anspruch aber kaum gerecht – und von Impfgegnern instrumentalisiert.
Theo Dingermann
Annette Rößler
26.02.2025  18:00 Uhr

Ein Aspekt der Coronapandemie war, dass sie in die größte konzertierte Impfkampagne mündete, die es je gegeben hat. Weil so viele Menschen auf der Welt innerhalb kürzester Zeit geimpft wurden, traten auch seltene und sehr seltene Nebenwirkungen der Impfstoffe schnell zutage. Die allermeisten Menschen vertrugen die Covid-19-Impfungen gut; leichte bis mittelschwere akute Beschwerden wie Schmerzen an der Injektionsstelle, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Myalgie, Schüttelfrost und Arthralgie waren die häufigsten Nebenwirkungen, die in der Regel nach wenigen Tagen abklangen.

Jenseits dieser Akutreaktionen gab es aber auch Einzelfälle, in denen Geimpfte über anhaltende Beschwerden wie starke Erschöpfung/rasche Ermüdbarkeit, Konzentrationsschwierigkeigen und periphere neuropathische Symptome klagten. Die Häufigkeit dieses als Post-Acute Covid-19 Vaccination Syndrome (PACVS) oder – weniger genau, aber griffiger – auch als Post-Vac-Syndrom (PVS) bezeichneten Phänomens wird in einer Publikation im Fachjournal »Vaccines« aus dem Jahr 2024 mit 0,02 Prozent angegeben. Allerdings handelt es sich hierbei um einen Schätzwert.

Informationslücken rund um das PVS

Valide Zahlen von PACVS-Betroffenen zu erheben, ist auch deshalb schwierig bis unmöglich, weil es noch keine allgemein anerkannte Definition dieses Syndroms gibt. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) konstatierte 2023 in einer Stellungnahme: »Der Begriff ›Post-Vac‹ stellt keine medizinisch definierte Bezeichnung einer Erkrankung dar und unterliegt keiner eindeutigen Falldefinition für die Meldung eines Verdachtsfalls einer Nebenwirkung eines Impfstoffprodukts.« Das PEI verweist auf die oft frappierenden Ähnlichkeiten in der Symptomatik zwischen dem Post-Vac- und dem Long-Covid-Syndrom, das vielfach als ein durch Covid-19 ausgelöstes ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Erschöpfungssyndrom) verstanden wird.

Laut dem PEI bestehen bei vielen PVS-Verdachtsfällen Informationslücken, die eine Beurteilung erschweren. So sei etwa »oft nicht eindeutig widerlegbar«, dass auch ein zeitlicher Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion bestehe. Ein vermutetes Post-Vac-Syndrom könnte demnach manchmal auch ein Fall von Long Covid sein, wenn zum Beispiel der Betroffene im fraglichen Zeitraum auch eine – unter Umständen unbemerkte – SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hat.

Möglicherweise ist die Bereitschaft, unspezifische Symptome nach einer Impfung auf eben diese Impfung zurückzuführen, bei Menschen in Deutschland höher als in anderen Ländern. Das PEI hat sich einmal angesehen, wie häufig PVS-Verdachtsfälle in Deutschland im internationalen Vergleich gemeldet wurden (Stichtag: 19. Mai 2023) und stellt fest, dass »zum Zeitpunkt der Auswertung mehr als 50 Prozent aller weltweit registrierten Verdachtsfälle (n = 2817) mit diesen Gesundheitsstörungen aus Deutschland berichtet wurden (n = 1547). Dabei ist zu beachten, dass in Deutschland keineswegs 50 Prozent aller Impfdosen weltweit verabreicht wurden.«

Preprint-Publikation von Forschenden aus den USA

Einen Beitrag zum besseren Verständnis des PVS versuchen jetzt Forschende um Dr. Akiko Iwasaki und Dr. Harlan Krumholz, beide Professoren an der renommierten US-amerikanischen Yale University, zu leisten. Sie veröffentlichten auf dem Preprint-Server »Medrxiv« die Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Studie, in der sie die immunologischen Profile von 42 PVS-Patienten mit denen von 22 gesunden Kontrollpersonen verglichen hatten.

Die Studie war dezentral und als Querschnittsanalyse angelegt, dies bedeutet, die Untersuchungen erfolgten einmalig und nicht über einen Zeitverlauf. Rekrutiert wurden Teilnehmer der LISTEN-Studie (Listen to Immune, Symptom and Treatment Experiences Now), die an der Yale University betreut wird und die darauf abzielt, Long Covid und PVS sowie die zugrunde liegenden Immunreaktionen besser zu verstehen. Die im Rahmen der aktuellen Studie durchgeführten immunologischen Analysen umfassten Durchflusszytometrie, serologische Assays, ELISA, Multiplex-Immunoassays und maschinelles Lernen zur Identifikation diagnostisch relevanter Merkmale.

Zusammenfassend stellten die Forschenden bei den PVS-Patienten verschiedene Auffälligkeiten fest. Hierzu zählten Immunregulationsstörungen, beispielsweise eine Reduktion der CD4+-T-Gedächtniszellen (Th1 und Th2), erhöhte Entzündungsmarker, beispielsweise eine Zunahme von TNFα-produzierenden CD8+-T-Zellen, und teilweise eine erstaunlich nachhaltige Persistenz des Spike-Proteins, die im Blutkreislauf noch Monate bis Jahre nach der Impfung nachweisbar war.

Die Forschenden schreiben, dass sich mit diesen Ergebnissen kein Kausalzusammenhang zwischen einer Impfung und den ansonsten für ein Long-Covid-Syndrom typischen Beschwerden herstellen lässt, und betonen mehrfach, dass eine Erklärung für das PVS noch nicht gefunden wurde. In einer begleitenden Pressemitteilung der Universität weisen sie darauf hin, dass die überaus große Mehrzahl der Menschen, die in den vergangenen vier Jahren mit unterschiedlichen Covid-19-Impfstoffen immunisiert wurden, diese gut vertragen haben. Allerdings scheint bei einer kleinen Untergruppe tatsächlich eine anhaltende Immunaktivierung aufzutreten und die Ergebnisse scheinen darauf hinzudeuten, dass eine anhaltende Antigenexposition und eine Immundysregulation die Probleme verursachen könnten.

Kritik in der Szene und Widerhall in den sozialen Medien

Innerhalb der Forschungsszene wird die Publikation teilweise heftig kritisiert. So geht etwa Edward Nirenberg, der sich in der Pandemie als Wissenschaftsblogger zu den Covid-19-Impfstoffen einen Namen machte, in einem Blogeintrag sehr detailliert auf die einzelnen Aspekte der Studie ein und weist auf zahlreiche Unzulänglichkeiten und Widersprüche hin. Unter anderem habe ein erklecklicher Anteil der PVS-Patienten eine zurückliegende SARS-CoV-2-Infektion angegeben und bei den anderen sei nicht auszuschließen, dass sie sich unwissentlich ebenfalls infiziert hatten. Das Problem der Unterscheidung zwischen PVS und Long Covid, auf das das PEI hinweist, sieht also auch Nirenberg.

Abgesehen von den von ihm ausgemachten gravierenden methodischen Schwächen bemängelt er, dass die Interessenkonflikte der beiden Autorinnen Danice Hertz und Brianne Dressen, die ausgewiesene Impfgegnerinnen seien, zunächst nicht offengelegt wurden. All dies sind sicherlich Punkte, die im Rahmen eines Peer-Review-Verfahrens – das der Artikel noch nicht durchlaufen hat – adressiert werden müssten.

Scharf kritisiert Nirenberg zudem den Zeitpunkt der Veröffentlichung. Die wissenschaftlichen Institutionen in den USA stünden gerade auf Geheiß eines nicht gewählten Milliardärs unter massivem Druck, schreibt er unter Bezugnahme auf den rigiden Sparkurs des Präsidentenberaters Elon Musk. Zudem wurde in den USA mit Robert F. Kennedy Jr. gerade ein Gesundheitsminister vereidigt, der jahrelang Falschaussagen über angebliche Impfschäden verbreitet hatte. Forschende hätten nicht das Recht, den größeren gesellschaftlichen Kontext, in dem sie sich bewegen und dessen Teil sie seien, bei ihrer Arbeit außer Acht zu lassen, so Nirenberg.

Iwasaki und Kollegen haben im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit bislang wichtige Erkenntnisse zum Verständnis des Long-Covid-Syndroms beigesteuert. Die Absicht, sich nun auch Problemen anzunehmen, die nach einer Covid-19-Impfung auftreten können, ist nachvollziehbar. Offenbar unterschätzt haben die Autoren aber, welch große Welle an Reaktionen ihre Vorabpublikation in den sozialen Medien auslösen könnte.

Auf dem Nachrichtenportal »STAT« stellt die Wissenschaftsjournalistin Helen Branswell fest: Statt, wie von den Autoren intendiert, Gegenstand einer akademischen Diskussion zu werden und eine weitere Erforschung des PVS anzuregen, sei die Publikation »online explodiert«. Dies sei paradigmatisch dafür, wie das Internet genutzt werde, um Grundlagenforschung zu Impfstoffen als Waffe einzusetzen. Entsprechende Posts auf der Plattform »X«, die Elon Musk gehört, geben ihr recht. So postete etwa ein Nutzer namens »DiedSuddenly« den Preprint mit dem Kommentar »They are finally admitting ›Long Covid‹ is just vaccine injury« (»Endlich geben sie es zu: ›Long Covid‹ ist einfach ein Impfschaden«).

Konfrontiert mit der falschen Behauptung, ihre Studie habe bewiesen, dass Long Covid durch Covid-19-Impfstoffe verursacht werde, sagte Iwasaki gegenüber »STAT« bestürzt: »Ich möchte nicht, dass jemand die beiden verschiedenen Syndrome in einen Topf wirft. Das ist nicht die Botschaft, die wir zu vermitteln versuchen.« Sie und ihre Kollegen hätten die Ergebnisse bereits jetzt als Preprint veröffentlicht, weil das Peer-Review-Verfahren langwierig sei, der Leidensdruck aufseiten der Patienten aber groß – und die meisten von ihnen bislang komplett ignoriert worden seien.

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