Vom Fitnesstracker zum Diagnostiktool |
Christina Hohmann-Jeddi |
08.01.2025 16:00 Uhr |
Wearables können die Diagnostik und Therapie von chronischen Krankheiten optimieren. Allerdings nutzen ältere Menschen die smarten Helfer deutlich seltener als jüngere. / © Adobe Stock/Elizaveta
Es waren die ehrgeizigen Sportler, die mit Fitness-Armbändern anfingen, körperliche Parameter und ihr Bewegungspensum zu überwachen, um das Training zu optimieren. Die ersten Wearables zählten Schritte und schätzten den Energieverbrauch, doch die Technologie hat sich rasant weiterentwickelt. Smartwatches, smarte Pflaster und tragbare medizinische Sensoren überwachen heute Körperfunktionen, die früher nur im Labor oder in Arztpraxen gemessen werden konnten. Sie messen den Puls, die elektronische Aktivität des Herzens (EKG), Blutsauerstoffsättigung und Blutdruck bis hin zu Schlafparametern, Blutzucker oder Körpertemperatur.
Die Daten werden vom Sensor an Empfangsgeräte wie Handys gesendet. Sie können mithilfe von Apps gespeichert, analysiert und bei Bedarf mit der Arztpraxis geteilt werden. Einige Geräte warnen die Träger bei auffälligen Werten und können zur Diagnose von Erkrankungen wie Herzrhythmusstörungen beitragen. So lässt sich etwa Vorhofflimmern gut mit digitalen Hilfen erkennen.
Das zeigt eine Studie unter Leitung der LMU München aus dem Jahr 2022. Demnach verdoppelte die Anwendung eines Wearables zusammen mit einer zertifizierten App die Erkennungsrate von Vorhofflimmern in einer älteren, bis dahin herzgesunden Population im Vergleich zum Standardvorgehen (»Nature Medicine«, DOI: 0.1038/s41591-022-01979-w).
Wie präzise die Messung ist, zeigen Ergebnisse der Apple Heart Study, an der fast 420.000 Personen mit einem iPhone und einer Smartwatch teilnahmen. Von diesen erhielten 0,52 Prozent im Beobachtungszeitraum (im Mittel 117 Tage) den Hinweis, dass ihr Herzrhythmus auffällig sei. Die spätere Abklärung deckte bei einem Drittel Vorhofflimmern auf. Auch für die Diagnose von Bluthochdruck oder Herzinsuffizienz sind solche Systeme geeignet, da sie kontinuierlich messen und dabei minimalen Stress für die Patienten bedeuten.
Auch für Patienten mit diagnostizierten Erkrankungen können Wearables nützlich sein. Gerade für Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinsuffizienz oder Hypertonie eröffnen sie neue Möglichkeiten. Sie liefern Echtzeitdaten, die Rückschlüsse auf den Verlauf der Krankheit zulassen und die in Apps gespeichert und grafisch dargestellt werden können. Diese lassen sich mit den behandelnden Ärzten teilen: Ein kurzer Blick in die Gesundheits-App genügt und der Mediziner ist informiert.
Laut Angaben des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden nutzten im Jahr 2020 etwa 15,5 Millionen Menschen in Deutschland Wearables, das entspricht einem Anteil von 21 Prozent der Bevölkerung ab zehn Jahren. Deutlich seltener werden internetfähige Gesundheitsgeräte genutzt, die etwa den Blutdruck, Blutzucker oder das Körpergewicht überwachen. Solche Geräte verwendeten etwa 3,4 Millionen Deutsche (5 Prozent der Bevölkerung ab zehn Jahre). Bei den Über-55-Jährigen betrug der Rate 3 Prozent.
Gerade bei Älteren, deren Risiko für chronische Erkrankungen höher ist als bei Jüngeren, haben sich Wearables noch nicht durchgesetzt. Darauf weisen Nutzungsdaten aus den USA hin.
Wearables sollen zunehmend auch biochemische Marker messen. Beim kontinuierlichen Glucosemonitoring ist das bereits gelungen: Hier wird die Glucosekonzentration in der interstitiellen Flüssigkeit gemessen. / © Getty Images/Halfpoint Images
Von den insgesamt 9303 Teilnehmern einer repräsentativen Befragung, die 247,3 Millionen US-Erwachsene repräsentieren (mittleres Alter 48,8 Jahre), hatten 10 Prozent eine kardiovaskuläre Erkrankung (CVD) und fast 56 Prozent ein CVD-Risiko. Von den Personen mit CVD nutzten 18 Prozent und von den Risikopersonen 26 Prozent tragbare Geräte, verglichen mit schätzungsweise 29 Prozent der gesamten erwachsenen US-Bevölkerung, berichtete ein Team der Yale School of Medicine 2023 im Journal »JAMA Network Open« (DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2023.16634). Dabei waren höheres Alter, niedrigeres Bildungsniveau und geringeres Haushaltseinkommen mit einer selteneren Nutzung von Wearables verbunden.
Die Autoren befürchten, dass die elektronischen Helfer die gesundheitliche Ungleichheit verstärken könnten, wenn nicht bewusst für eine faire Verteilung gesorgt und die Nutzung der Geräte in den Risikogruppen beworben wird.
Die bislang etablierten Wearables erfassen vor allem biophysikalische Parameter; in Zukunft sollen sie zunehmend auch biochemische Marker bestimmen. Das heißt, sie sollen Mikro- und Makromoleküle in Körperflüssigkeiten wie Schweiß, Tränen oder Speichel messen.
Bisher sind für solche Messungen Blutproben erforderlich, die im Labor untersucht werden müssen und den Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt wiedergeben. Wearables erheben dagegen ohne großen Aufwand regelmäßig Daten und sind somit für den Einsatz bei Kindern oder in Ländern mit schwacher Gesundheitsinfrastruktur für die Früherkennung und Überwachung von Krankheiten geeignet.
Die Sensoren müssen mithilfe von immobilisierten Rezeptoren das Zielmolekül entdecken und dann in ein optisches oder elektrisches Signal umwandeln, das proportional zur Markerkonzentration ist. Verschiedene Sensoren dieser Art wurden bereits entwickelt und etwa in Pflastern, Tattoos, Armbändern, Bandagen, Textilien oder Kontaktlinsen integriert. Einen Überblick gab kürzlich ein Autorenteam um Dr. Noé Brasier von der ETH Zürich im Journal »Nature« (DOI: 10.1038/s41586-024-08249-4).
Mitautor Can Dincer, Professor für Sensors and Wearables for Healthcare an der Technischen Universität München, erklärt in einer Mitteilung: »Wir versuchen dabei, Biomarker wie Hormone oder Proteine, Medikamente wie Antibiotika sowie Krankheitserreger wie Viren oder Bakterien, die üblicherweise im Blut bestimmt werden, in anderen Bioflüssigkeiten nachzuweisen.«
Schweiß und Tränen: künftig auch ein Diagnosemedium? / © Getty Images/Rick Lawrence/500px
Ein Beispiel ist die interstitielle Flüssigkeit (ISF), die sich zwischen den Zellen im Gewebe befindet. Ihr Vorteil: Die Konzentration der meisten Zielmoleküle folgt eng der Molekülkonzentration im Blut. Das erfolgreichste Beispiel der ISF-Messung ist das kontinuierliche Glucosemonitoring (CGM), das inzwischen bei Menschen mit Typ-1-Diabetes als Standard eingesetzt wird. Als Sensor dienen Mikronadeln in einem Pflaster, die minimalinvasiv die Gewebeflüssigkeit im Unterhautfettgewebe erreichen.
Aber auch der Schweiß eignet sich zur Bestimmung von Biomarkern, etwa von Hormonen oder Proteinen. Die Vorteile von Schweiß: Er ist leicht zugänglich, kann hitze- oder aktivitätsinduziert gewonnen werden und hat keine komplexe Matrix. Es werde an Pflastern gearbeitet, die über die Bestimmung von Chlorid-Ionen im Schweiß zur Diagnose der Mukoviszidose beitragen, berichten die Autoren um Brasier.
Ein weiteres Beispiel ist die Ausatemluft, die etwa 3500 verschiedene Moleküle enthalten kann, die verlässliche Rückschlüsse auf deren Blutkonzentrationen geben. Die Atemluft kann etwa mithilfe von Sensoren in Masken ausgewertet werden. An entsprechenden Modellen zum Nachweis von SARS-CoV-2 oder der Bestimmung von Glucose oder Wasserstoffperoxid wird bereits gearbeitet. Auch die Tränenflüssigkeit enthält Biomarker, die von smarten Kontaktlinsen erfasst werden können.
Laut Can Dicer können noch zahlreiche Funktionalitäten bei den Wearables hinzukommen. »Im Idealfall kann so ein Gadget viele vitale und biochemische Gesundheitsparameter messen und uns direkt nach dem Aufstehen sagen, ob alle Werte im normalen Bereich liegen.«
Zudem könnten Wearables dabei unterstützen, Arzneimittel in der richtigen Menge einzunehmen. Ein weiteres Ziel sei es, analog zu den CGM-Systemen Geräte zu entwickeln, die Biomarker überwachen und entsprechend die Therapie steuern können.
Heute schon Standard: Wearables messen beispielsweise Puls, Blutdruck und Schlafqualität. / © Getty Images/Andrey Popov
Bis zu einem breiten klinischen Einsatz sind den Autoren zufolge noch einige Hürden zu überwinden. So sollte die Genauigkeit der Sensoren verbessert, eine ausreichend lange Energieversorgung sichergestellt und die Zuverlässigkeit in Studien geprüft werden. Weitere Herausforderung: Die gesammelten Gesundheitsdaten sind besonders sensibel und müssen ausreichend vor Missbrauch geschützt werden.