Vogelgrippe nimmt dramatische Ausmaße an |
Christina Hohmann-Jeddi |
13.02.2023 12:30 Uhr |
Wasservögel, vor allem Pelikane, sind besonders empfänglich für Vogelgrippe-Infektionen. / Foto: Getty Images/George D. Lepp
Hochpathogene aviäre Influenzaviren (HPAI) haben schon seit Jahrzehnten Ausbrüche in Wildvögeln und Farmgeflügel verursacht. So schlimm wie jetzt war es aber noch nie: Derzeit sorgt ein H5N1-Influenzavirusstamm für einen verheerenden weltweiten Ausbruch der Vogelgrippe, dem immer mehr Vogelarten und -populationen zum Opfer fallen. Das berichteten Experten bei einer Veranstaltung des »Science Media Center Germany« am 10. Februar.
In den vergangenen zwei Jahren hätten H5N1-HPAI zunehmend zu Infektionen von Wildvögeln und auch zu mehr Einträgen der Viren in Geflügel und Ausbrüchen auf Geflügelfarmen geführt, berichtete Professor Dr. Martin Beer, Leiter des Instituts für Diagnostische Virologie am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems. Die H5N1-Viren seien »viel besser an Wildvögel angepasst« als zuvor. Zudem sei 2021 und vor allem 2022 in Deutschland, aber auch in anderen Ländern die Saisonalität der Infektionen verloren gegangen: Gerade an den deutschen Küsten seien auch im Sommer viele Vögel an H5N1-HPAI gestorben. Es handele sich dabei nicht nur um eine Variante, sondern um mindestens 30 Varianten vom H5N1-Subtyp. »Die Situation ist beunruhigend – hauptsächlich für Wildvögel und Geflügel, aber es gibt auch das Risiko für das Überspringen des Virus auf Säugetiere«, sagte der Virologe.
Solche »Spill-overs« kämen in Einzelfällen vor, wenn Säugetiere mit erkrankten Vögeln in Kontakt kommen. Im Oktober 2022 hatte ein großer Ausbruch von H5N1-HPAI auf einer Nerzfarm in Spanien für Aufregung gesorgt. Bei diesem gebe es Hinweise darauf, dass sich der Erreger von Säugetier zu Säugetier weiterverbreitet habe, sagte Professor Dr. Ursula Höfle von der Universität Castilla-La Mancha in Spanien.
Zuletzt wurde auch ein Ausbruch der Vogelgrippe bei Seelöwen in Peru bekannt, bei dem etwa 600 Tiere gestorben sind. Ob hier eine Transmission innerhalb der Seelöwenpopulation stattgefunden habe, könne man jedoch noch nicht mit Sicherheit sagen, betonte Professor Dr. Ian Brown, Leiter der Virologie an der Animal and Plant Health Agency in Weybridge, Großbritannien. In der Region seien auch Zehntausende Wasservögel gestorben, sodass es auch sein könnte, dass die Seelöwen in hoher Zahl infizierte oder tote Vögel gefressen hätten. Um hier eine Transmission von Säugetier zu Säugetier zu beweisen, müsse man die Sequenzierungen abwarten, die derzeit liefen, so Brown.
Nach Einschätzung der Experten sind solche Spill-over-Ereignisse und H5N1-Infektionen bei Menschen noch sehr seltene Ereignisse. »Wir sind nicht sehr nah an einer H5-Pandemie beim Menschen«, sagte Beer. Das Virus sei derzeit vor allem ein Problem für Vögel.
Die Experten halten es für möglich, dass sich das H5N1-HPAI-Virus noch weiter ausbreitet: bis auf die letzten bisher noch nie betroffenen Kontinente Antarktis und Australien. Es sei schon so weit in den Süden Südamerikas vorgedrungen, dass es auch die Artenvielfalt der Antarktis bedrohen könne, sagte Brown. Das Virus könne so ziemlich jede Vogelart befallen, auf die es treffe – »das ist eine neue Dimension« – und sei zudem unberechenbar, wie Höfle anfügte: Es befalle Arten, die vorher nicht betroffen gewesen seien, darunter auch einige bedrohte Arten, und habe bereits ganze Vogelkolonien ausgelöscht. »Wir erwarten einen großen Effekt auf die Artenvielfalt.«
Um die Verbreitung einzuschränken, sei enges Monitoring von Wildvögeln und Geflügel nötig sowie das Keulen von infizierten Geflügelbeständen, sagte Brown. Zudem müsse man den Kontakt zwischen Wildvögeln und Geflügel weitestgehend einschränken, um Eintragungen des Virus in Zuchtfarmen zu verhindern. Auch Impfungen gegen H5N1 bei Geflügel seien eine Option. Diese würden in einigen Teilen der Welt schon seit etwa 15 Jahren genutzt. In Europa und Nordamerika werde ein möglicher Einsatz diskutiert, auf dem Gebiet werde auch intensiv geforscht.
Während die eine Pandemie ihrem Ende entgegentrudelt, ist die nächste bereits in vollem Gange. Man kann von Glück sagen, dass die H5N1-Pandemie zurzeit nahezu ausschließlich unter Vögeln grassiert, denn dieses Grippevirus übertrifft SARS-CoV-2, was die Tödlichkeit anbelangt, bei Weitem. Allzu groß kann die Erleichterung darüber aber nicht sein, denn abgesehen von den dramatischen Auswirkungen, die diese Pandemie für Vogelpopulationen auf der ganzen Welt hat, ist sie auch ein Warnschuss für uns Menschen – und zwar ein sehr lauter. Denn es bestehen erhebliche Zweifel daran, ob wir unsere Lektion aus der Covid-19-Pandemie gelernt haben. Sicher: Die Entwicklung von Impfstoffen gegen neue Erreger würde dank der nun schon etablierten mRNA-Technologie schneller gehen. Aber wie sähe es aus mit der Akzeptanz dieser Impfstoffe (in den Industrienationen) und ihrer gerechten Verteilung (global)? Wäre es überhaupt wieder möglich, Eindämmungsmaßnahmen wie Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht zu verhängen, oder würde das am gesellschaftlichen Widerstand scheitern? Wir alle können nur hoffen, dass sich Fragen wie diese noch möglichst lange nur theoretisch stellen.
Annette Rößler, Redakteurin Pharmazie