Viele Therapien, wenig Evidenz |
Game over: Schmerzen aufgrund eines Tennisarms zwingen mitunter zur Sportpause. / Foto: Adobe Stock/likoper
Sind die Sehnen oder deren Ansatzstellen an der Außenseite des Ellenbogens gereizt und entzündet, spricht man gerne von einem Tennisarm, bei einer Reizung der Ellenbogeninnenseite von einem Golferellenbogen. Fachlich korrekt liegt eine Epiconylopathia radialis humeri vor. Beide umgangssprachlichen Bezeichnungen verweisen zwar darauf, dass die Beschwerden durch typische Sportbelastungen entstehen. Doch das ist längst nicht immer der Fall. So hat die Physiotherapeutin Ute Merz schon etliche Patienten mit einem Tennis- oder Golfarm behandelt – »aber Tennis- oder Golfspieler sind eher selten darunter«. Was die Sprecherin des Deutschen Verbandes für Physiotherapie berichtet, belegt, worüber sich Experten einig sind: Prinzipiell ist der Schmerz, unter dem die Betroffenen leiden, Folge einseitiger oder ungewohnter Belastungen – egal ob durch Sport, handwerkliche Tätigkeiten oder auch Schreibtischarbeiten. In Ruheposition lassen die Beschwerden in beiden Fällen zwar nach. Bei akuten Entzündungen des Gewebes aber können sie auch nachts auftreten und so die Betroffenen vom Schlaf abhalten.
»Oft trifft es Menschen, die ihre Unterarmmuskulatur normalerweise wenig fordern und sie dann plötzlich stark belasten«, weiß Merz, »beispielsweise, wenn jemand, der das sonst nie tut, auf einmal ein ganzes Wochenende lang Möbel zusammenschraubt.« Ebenso können aber auch regelmäßige einseitige Belastungen zu heftigen Schmerzen in der Unterarmmuskulatur führen, zum Beispiel bei Sportarten wie Rudern oder Krafttraining, bei regelmäßigen Handwerksarbeiten wie Malern oder Schreinern, schwerem Heben, Spielen von Musikinstrumenten oder bei der Arbeit am Computer oder an einer Supermarktkasse.
Mittlerweile weiß man, dass eine Entzündung nicht die Hauptursache der Schmerzen ist. Vielmehr lassen sich die Beschwerden auf degenerative Veränderungen am Ursprung der Hand- und Fingerstrecker zurückführen, heißt es in der S2k-Leitlinie von 2019. Weil die Sehnenheilung aufgrund der Überbelastung und sich ständig wiederholender Mikrotraumen ausbleibt, kommt es zu einer Hyperplasie von Fibroblasten mit der Bildung minderwertiger Kollagenfasern und einer Neovaskularisation.
Einen Tennisarm haben nach Informationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) etwa 2 Prozent der Bevölkerung, einen Golfarm etwa 1 Prozent. Die meisten Beschwerden treten zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf – wahrscheinlich, weil die Muskulatur ab dem mittleren Lebensalter anfälliger für Überlastungen ist.
Die Beschwerden sind in den meisten Fällen selbstlimitierend in einem Zeitraum bis zu zwei Jahren, wobei die akute Schmerzphase sechs bis zwölf Wochen anhalten kann. Dass viele Menschen wochenlang den Schmerz aushalten oder mit Schmerzmitteln versuchen, die Beschwerden in den Griff zu bekommen, bevor sie in die Behandlung kämen, führt laut Merz oft dazu, »dass sich der Zustand ihres Armes verschlechtert und die Schmerzen schlimmstenfalls chronisch werden«.
Um einen Tennis- oder Golfarm zu diagnostizieren, reicht meist eine körperliche Untersuchung. Dabei wird beispielsweise der Arm mit der Handfläche nach unten ausgestreckt und die Hand gegen einen Widerstand nach oben gedrückt. Schmerzt dabei der Ellenbogen, spricht dies für einen Tennisarm. Schmerzt dagegen der Ellenbogen, wenn die Hand gegen einen Widerstand nach unten drückt, ist das ein deutlicher Hinweis für den Golfarm. Röntgenuntersuchungen, Ultraschall oder eine Magnetresonanztomografie (MRT) sind leitliniengemäß zur Diagnose nur sinnvoll, wenn Verdacht auf eine andere Erkrankung besteht.
In der Behandlung gehe es darum, nicht nur kurzfristig die Schmerzen zu lindern, sondern mittel- und langfristig die Beweglichkeit und Belastbarkeit von Arm und Handgelenk zu verbessern, erklärt Ute Merz. Sie ist erklärtermaßen »kein Freund von Ruhigstellen«. Zwar könne es zunächst helfen, die Bewegungen, die die Schmerzen hervorrufen, zu vermeiden oder zu verringern. »Darauf müssen dann aber so schnell wie möglich Dehn- und Kräftigungsübungen für den Unterarm und das Handgelenk folgen.« Studien zeigten, dass Menschen, die konsequent solche Übungen machen, schneller schmerzfrei werden. Zudem verbessern die Übungen die Beweglichkeit. Akut kommen denn auch laut Leitlinie vor allem physiotherapeutische Maßnahmen infrage, und zwar nicht als isolierte manuelle Therapie, sondern als Kombination bestehend aus Querfriktionen, Dehnungen und Kräftigungen.
Die Physiotherapeutin ermittelt bei ihren Patienten zuerst, welche Bewegungsabläufe die Beschwerden hervorrufen und welche Muskeln lockerer oder auch kräftiger werden müssen, um weiteren Beschwerden vorzubeugen. »Das kann gerade für Sportler sehr motivierend sein, denn es geht ja auch darum, wie sie ihre Körperkraft effizienter einsetzen, ohne Muskeln und Gelenke zu überlasten.«
Um in der Akutphase gezielt den Schmerz anzugehen, stellen laut Leitlinie topische und orale nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) sowie Glucocorticoid-Injektionen eine Option dar, auch wenn die Evidenz nur mäßig ist. Sie bieten sich vor allem zu Anfang an, wenn die Schmerzen am stärksten sind. Die Therapie mit Steroiden habe nur einen kurzfristigen Benefit. Zudem solle die Infiltration nur einmal erfolgen. Mehrfachinjektionen sind wegen möglicher Muskel- und Sehnenschädigungen zu unterlassen. Zumal nach initialer Besserung langfristig sechsmal häufiger Operationen nötig werden, heißt es in der Leitlinie. Für andere Substanzen wie Eigenblutinjektionen, Botulinumtoxin A, Hyaluronsäure, Lidocain oder Polidocanol-Injektionen gibt es laut Lautlinie nicht genügend wissenschaftliche Belege.
Auch was zusätzliche Therapien betrifft, ist die Evidenz eher mäßig, etwa für die Ultraschalltherapie und Akupunktur. Elektro-, Ultraschall-, Kryo- und Wärmetherapie, die extrakorporale Stoßwellen-, Magnetfeld-, Sauerstoff- und Strahlentherapie können »als Einzeltherapie nicht ausreichend empfohlen werden«.
Eine weitere Möglichkeit gegen den Schmerz sind Schienen und Bandagen, also sogenannte Epicondylitisbandagen und Unterarmorthesen. Sie werden um den Ellenbogen oder am Unterarm getragen und sollen die Ansatzstellen der Muskeln an der Knochenvorwölbung des Oberarmknochens schonen und unterstützen. Merz erläutert das schmerzlindernde Funktionsprinzip: »Unter der Haut gibt es Fasern, die Schmerzen überlagern können. Darauf verlassen wir uns instinktiv, wenn wir eine Stelle, die uns wehtut, reiben.«
Mit diesem überlagernden Druck arbeitet auch die Bandage, die oft mittels eines oder mehrerer Druckpunkte bestimmte Stellen gezielt stimuliert. Jedoch gilt auch hier: Bandagen lindern nur, sie heilen nicht, und sie beheben auch nicht die Ursache der Schmerzen, die in ungesunden Bewegungsabläufen liegt. Ziel jeder Behandlung sollte es deshalb sein, die Muskulatur so zu dehnen und zu kräftigen, dass sie die gewünschten Bewegungen ohne Beschwerden ausführen kann - ohne Bandage, betont die Physiotherapeutin: »Manchmal muss ich meine Patienten von der Bandage regelrecht entwöhnen.«
Vor einem chirugischen Eingriff fordert die Leitlinie mehrere Monate konservative Therapie. Und ob eine Operation dann die Beschwerden lindern kann, lassen die bisher wenigen Studien dazu offen, betonen etwa die Wissenschaftler des IQWiG. Sie geben zu bedenken, dass chronisch persistierender Schmerz selten allein von der Tendopathie herrührt.