Viele offene Fragen |
Theo Dingermann |
14.05.2020 13:28 Uhr |
Die meisten Menschen bilden bei einer Infektion rasch Antikörper gegen das neue Coronavirus – aber nicht alle. / Foto: Fotolia/psdesign1
Die Akzeptanz von Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des SARS-Coronavirus-2 sinkt in der Bevölkerung merklich. Eine Folge dieser Ungeduld ist eine hitzig und kontroverse Diskussion über das Potenzial einer Herdenimmunität. Außerdem wird derzeit auch in Deutschland über eine mögliche Einführung eines Immunitätsausweises diskutiert. Dabei ist immer noch ungewiss, ob überhaupt eine signifikante Immunität bei Personen auftritt, die sich von einer Covid-19-Erkrankung erholt haben.
In einem Viewpoint im Fachjournal »JAMA« beschreiben Dr. Robert D. Kirkcaldy und Kollegen von den US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta, Georgia, was derzeit über die Immunantwort auf Covid-19 bekannt ist. Sie zeigen wichtige Wissenslücken aber auch Möglichkeiten für künftige Forschungsanstrengungen auf. Covid-19 wird durch eine Infektion mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 verursacht. Nach der Infektion entwickeln sich bei den meisten aber nicht bei allen Infizierten innerhalb von Tagen bis Wochen nach Symptombeginn IgM- und IgG-Antikörper gegen den Erreger.
Warum einige Patienten offenbar keine humorale Immunantwort entwickeln, ist unklar. Hinzu kommt ein nicht völlig verstandener Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Antikörperbildung und dem klinischen Verlauf der Krankheit. So zeigen die Ergebnisse einer kleinen Studie mit neun Covid-19-Patienten, dass die Krankheit klinisch schwerer verläuft, wenn hohe Antikörpertiter vorliegen. In anderen Studien hingegen lässt sich diese Korrelation nicht bestätigen. Darüber hinaus können leichte Covid-19-Symptome auch bereits vor der Serokonversion abklingen.
Eine klarere Aussage erlaubt die Beobachtung, dass die Viruslast typischerweise zu Beginn der Erkrankung ihren Höhepunkt erreicht und dann abnimmt, wenn die Antikörperbildung angelaufen ist. Dazu passt, dass auch die Infektiösität der aus nasopharyngealen Proben isolierten Viren während der ersten Woche der Erkrankung rasch abnimmt. Allerdings ist unklar, wie lange ein Patient infektiöses Virus ausscheiden kann.
Tatsächlich scheint jedoch ein anhaltender Nachweis von viraler RNA viele Tage bis Wochen nach der Genesung von Covid-19-Patienten wahrscheinlich kein relevantes klinisches oder öffentliches Gesundheitsrisiko darzustellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn keine Symptome vorliegen. Ein endgültiger Beweis für diese Schlussfolgerung steht allerdings noch aus.
Die Persistenz neutralisierender Antikörper (NAb, primär IgG) gegen SARS-CoV-2 muss noch ermittelt werden; eine Persistenz bis zu 40 Tagen nach Symptombeginn wurde jedenfalls beschrieben. Zur Klärung dieser Frage könnten auch Erfahrungen mit anderen humanen Coronaviren hilfreich sein. So waren nach einer Infektion mit SARS-CoV-1 (dem Virus, das SARS in den Jahren 2002/2003 verursachte) die IgG-Konzentrationen über vier bis fünf Monate gut nachweisbar, zwei bis drei Jahren nach der Serokonversion nahmen sie langsam ab. Ganz ähnlich persistierten neutralisierender Antikörper gegen MERS-CoV bis zu 34 Monate bei genesenen Patienten.
Der Nachweis von IgG und neutralisierenden Antikörpern ist allerdings nicht gleichbedeutend mit einer dauerhaften Immunität. In Bezug auf Covid-19 liefert ein kleiner Preprint-Bericht die bisher einzigen Daten über eine mögliche Immunität von Primaten nach einer Infektion. In dieser Studie wurden vier Rhesusaffen mit SARS-CoV-2 infiziert, die nach der Genesung vor einer Reinfektion nach 28 Tagen geschützt waren.
Reinfektionen sind bei mindestens drei der vier humanen Corona-Erkältungsviren möglich. Warum es hier zu einer Reinfektion kommen kann, ist nicht vollständig verstanden. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass zum einen nur eine kurzlebige protektive Immunität ausgebildet wird. Zum anderen könnte die Reinfektion durch eine andere Variante des Virusstamms verursacht worden sein.
Bis heute wurden noch keine Reinfektionen mit SARS-CoV-2 beim Menschen bestätigt. Der Nachweis einer Reinfektion erfordert in der Regel eine kulturbasierte Dokumentation nach Abklingen der vorhergehenden Infektion oder den Nachweis einer Reinfektion mit einer molekular unterscheidbaren Form desselben Virus.
So einfach ist es nicht: Noch sind zu viele Fragen zu einer postinfektiösen Immunität gegen SARS-CoV-2 aus wissenschaftlicher Sicht ungeklärt, um einen Immunstatus sicher dokumentieren zu können. / Foto: Adobe Stock/blende11.photo
In einem Bericht wurde unter zwei ansonsten gesunden Personen, die sich von einer Covid-19-Erkrankung erholt hatten und bei denen zwei oder mehr sequenzielle RT-PCR-Test im Abstand von mindestens 24 Stunden negativ ausgefallen waren, SARS-CoV-2-RNA in Rachenabstrichen bis zu zehn Tage lang sporadisch erneut nachgewiesen. In anderen Publikationen werden ähnliche Kasuistiken berichtet.
Demgegenüber gibt es derzeit keinen Beweis dafür, dass Personen nach einer klinischen Genesung das SARS-CoV-2 Virus auf andere übertragen hätten. Allerdings kann man eine solche Übertragungsmöglichkeit auch noch nicht ausschließen, insbesondere nicht bei Personen, die zum Beispiel aufgrund einer Immunschwäche für eine längere Ausscheidung anderer Krankheitserreger prädisponiert sein könnte
Denkbar ist auch, dass es sich bei diesen Fällen um eine persistierende oder rezidivierende Covid-19-Krankheit handelt. Andererseits könnte auch eine anhaltende sporadische virale RNA-Ausscheidung an oder nahe der Nachweisgrenze des Assays vorliegen. Oder es könnte sich um Artefakte handeln, die durch Probleme bei der Probenentnahme oder der Probenhandhabung verursacht wurden.
Serologische Assays zum Nachweis von SARS-CoV-2-Antikörpern werden nun rasch verfügbar. Mit ihrer Hilfe wird es gelingen, die Prävalenz von Infektionen, einschließlich asymptomatischer Infektionen, abzuschätzen.
Gegenwärtig ist es jedoch noch nicht möglich, über solche Tests Aussagen zu einer möglichen Immunität abzuleiten. Für fast alle im Markt befindlichen Tests fehlen noch überprüfte Angaben zu den Leistungsstandards, einschließlich Sensitivität und Spezifität und zum Potenzial für Kreuzreaktionen mit anderen Coronaviren, die falsch-positive Ergebnisse liefern würden. Daher wird noch vor einem weitflächigen Einsatz dieser Tests gewarnt, vor allem dann, wenn nicht sichergestellt ist, dass die Ergebnisse durch irgendeine Form von Bestätigungstests überprüft werden.
Gut konzipierte Kohortenstudien an Personen, die sich von einer Covid-19-Erkrankung erholt haben, sind erforderlich, um Anzeichen und Symptome einer möglicherweise wiederkehrenden Erkrankung zuverlässig zu erkennen. In solchen Studien könnten auch mögliche Reexpositionsereignisse dokumentieren werden, die engmaschig labormedizinisch zu begleiten sind. Kurzfristig sollte dafür sensibilisiert werden, auf Reinfektionen zu achten und diese zu melden, um sie einer genaueren Untersuchung zuzuführen.
Zusammenfassend resümieren die Autoren dieses JAMA-Beitrags, dass die vorhandenen begrenzten Daten zu Antikörperreaktionen auf SARS-CoV-2 und verwandte Coronaviren sowie eine Kleintiermodellstudie darauf hindeuten, dass eine Erholung von Covid-19 zumindest vorübergehend Immunität gegen Reinfektionen verleihen könnte. Die Immunantwort auf Covid-19 ist jedoch noch keineswegs vollständig verstanden, und es fehlen endgültige Daten zur postinfektiösen Immunität.
Gerade jetzt, wo die Pandemie noch mit soviel Ungewissheit assoziiert ist, sind durchdachte und rigorose wissenschaftliche Erkenntnisse unerlässlich, um Politik und Praxis im Bereich der öffentlichen Gesundheit zuverlässig informieren zu können.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.