Verwirrende Zahlen zu Impfdurchbrüchen |
Theo Dingermann |
23.08.2021 11:32 Uhr |
Schwer an Covid-19 erkrankt trotz Coronaimpfung? Wie häufg das vorkommt, zeigen aktuelle Daten aus Israel. / Foto: Getty Images/Taechit Taechamanodom
Laut Daten des israelischen Gesundheitsministeriums hatten rund 60 Prozent der Menschen, die am 15. August mit Covid-19 in einem Krankenhaus behandelt wurden, Impfungen erhalten. Das klingt nach einer sehr schlechten Nachricht, impliziert sie doch, dass die Impfstoffe offensichtlich weit schlechter schützen als das bisher kommuniziert wurde. Aber ist diese Schlussfolgerung korrekt? Nein, sagt Jeffrey Morris, Professor für Biostatistik an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania, auf Twitter. Er hat sich die Daten genauer angesehen und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen: Auf Basis seiner Analyse liefern die Daten deutliche Hinweise darauf, dass die Impfstoffe extrem effizient vor schweren Krankheitsverläufen schützen.
Ein genauer Blick in die Daten des Ministeriums und deren genaue Interpretation verdeutlicht das Missverständnis. Zwar werden dort für den 15. August absolut 301 schwere Covid-19-Verläufe unter den Geimpften und »nur« 214 schwere Covid-19-Verläufe unter Nicht-Geimpften gemeldet. Gleicht man jedoch die Krankheitsfälle gegenüber der Anzahl Geimpfter (5.634.634 beziehungsweise 78,7 Prozent) und Nicht-Geimpfter (1.302.912 beziehungsweise 18,2 Prozent) in Israel ab, so zeigt sich, dass relativ betrachtet circa dreimal mehr Nicht-Geimpfte (16,4/100.000) schwer erkranken als Geimpfte (5,3/100.000).
Aus diesem Verhältnis lässt sich eine scheinbare Impfstoff-Effizienz von 67,5 Prozent ableiten. Oder anders ausgedrückt reduziert eine Impfung das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken, um gut zwei Drittel.
Da der Anteil der Geimpften unter den älteren Israelis (über 50 Jahre) deutlich größer ist (90,4 Prozent), als der Anteil der Geimpften unter den unter 50-Jährigen (73,0 Prozent), stellt sich die Situation wie folgt dar:
Errechnet man aus diesen Zahlen den Schutz der Impfung vor einem schweren Covid-19-Verlauf, so ergibt sich für die unter 50-Jährigen ein Wert von 92,3 Prozent und für die über 50-Jährigen ein Wert von 85,2 Prozent.
Morris weist in seinem Tweet und zudem in einem Post auf seiner Seite »Covid-19 Data Science« nochmal auf die bekannte Tatsache hin, dass das Risiko für Ältere, schwer an Covid-19 zu erkranken, deutlich größer ist als das jüngerer Menschen. Zudem ist bekannt, dass Vorerkrankungen das Risiko für einen schweren Verlauf noch einmal deutlich erhöhen.
In Deutschland zeigt sich ein ähnliches Bild. Laut dem »Wöchentlicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)« vom 12. August 2021 wurden bislang insgesamt 10.827 Impfdurchbrüche seit dem 1. Februar 2021 identifiziert. Das ist eine gewaltige Zahl, die sich jedoch relativiert, wenn man berücksichtigt, dass in Deutschland rund 49 Millionen Menschen vollständig geimpft sind.
Dabei muss man berücksichtigen, dass auch der Anteil an vollständig Geimpften über die drei Altersklassen steigt: 7,8 Prozent bei den 12- bis 17-Jährigen, 49,1 Prozent bei den 18- bis 59-Jährigen und 77,5 Prozent bei den über 59-Jährigen. Durch einen Vergleich des Anteils vollständig Geimpfter unter den Covid-19-Fällen mit dem Anteil vollständig Geimpfter in der Bevölkerung schätzt das RKI die Wirksamkeit der Impfung grob ab. Demnach liegt die geschätzte Impfeffektivität für den Zeitraum 1. Februar bis 8. August 2021 für die Altersgruppen 18 bis 59 Jahre bei circa 87 Prozent und die der über 59-Jährigen bei ebenfalls etwa 87 Prozent.
Geimpft heißt generell also nicht auch voll geschützt. Denn nahezu keine pharmazeutische Intervention zeigt ein 100-prozentiges Ansprechen. Bei Impfungen gilt das umso mehr für Patienten mit steigendem Alter und mit Vorerkrankungen, besonders dann, wenn diese Erkrankungen mit Immunsuppressiva behandelt werden.
Um so erstaunlicher ist es, dass der Erfolg einer Impfung nicht regelmäßiger kontrolliert wird. Diese Einschätzung vertrat auch der Chef des Laborärzte-Verbands Andreas Bobrowski in einem Interview, das am Freitag in der »WELT« abgedruckt wurde. Unter der Überschrift »Sehr leichtsinnig, die Antikörperbestimmung ungenutzt zu lassen« fordert er, Antikörpertests zur Kassenleistung zu machen. Er wünsche sich mehr Studien, die sich die Antikörperentwicklung der Geimpften und Genesenen von Anfang an im zeitlichen Verlauf genau anschauen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.