Unwort des Jahres: »Effizienzreserven« |
Annette Rößler |
17.11.2022 14:00 Uhr |
Dr. Jens-Andreas Münch, Präsident der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt, verwahrte sich bei der Kammerversammlung dagegen, dass bei den Apotheken Effizienzreserven zu heben seien. / Foto: Apothekerkammer Sachsen-Anhalt/K. Pohl
»Schallender hätte eine Ohrfeige kaum sein können«, kommentierte Münch den Auftritt Lauterbachs beim Apothekertag. Dass der Minister den Apothekern nicht persönlich Rede und Antwort stand, sondern sich per Video zuschalten ließ, interpretierte Münch als Geringschätzung des Berufsstands. Und auch inhaltlich lagen die Positionen von Minister und Apothekerschaft diametral auseinander: Lauterbach beharrte auf den – im Zuge des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes mittlerweile beschlossenen – Kürzungen des Apothekenhonorars, gegen die sich die Apotheker wehren.
»Das ist keine nachhaltige Politik, sondern Flickschusterei«, kritisierte Münch. Das Finanzproblem der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werde durch die Einsparungen bei den Apotheken nicht gelöst. Dafür sei der Anteil der Apotheken an den GKV-Gesamtausgaben mit gerade einmal 1,9 Prozent viel zu gering (während sich etwa die Verwaltungskosten der Krankenkassen auf 4,1 Prozent beliefen). Gemessen am Finanzloch der Kassen seien die 120 Millionen Euro, die durch die befristete Erhöhung des Kassenabschlags bei den Apotheken zu holen seien, »Peanuts, die aber bei den Betroffenen massive Schäden anrichten können«, so Münch.
Denn »Effizienzreserven«, von denen Lauterbach sehr zum Ärger der Apotheker gesprochen hatte, sieht der Kammerpräsident in den Apotheken keine mehr – und erklärte daher diesen Begriff zum Unwort des Jahres. Um ihrer Position Nachdruck zu verleihen, verabschiedete die Kammerversammlung eine Resolution, in der sie eine angemessene und verlässliche Honorierung der Kernleistungen der Apotheken fordert. Andernfalls sei das flächendeckende Netz der Apotheken vor Ort gefährdet. (Hier finden Sie die Resolution im Wortlaut)
Münch hält diese Art der politischen Einflussnahme für sinnvoller als beispielsweise Apothekenstreiks. Mehrfach sei die Frage an das Kammerpräsidium herangetragen worden, warum Sachsen-Anhalt aus Protest gegen das Spargesetz nicht mitgestreikt habe. Er sehe für die Apothekerkammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts aber juristisch keine Möglichkeit, ihre Mitglieder zum Streik aufzurufen.
Aus seiner Sicht habe die Kammer getan, was sie konnte, nämlich den Kontakt zur zuständigen Landesministerin Petra Grimm-Benne (SPD) zu suchen. Tatsächlich habe der Gesundheitsausschuss des Bundesrats in seiner Stellungnahme zum Gesetz schließlich ja auch dafür plädiert, die Erhöhung des Kassenabschlags zu streichen, und darüber hinaus viele weitere Positionen der Apotheker aufgegriffen. Da das Gesetz nicht zustimmungspflichtig war, bleib dies aber ohne Folgen. Auch Eingaben an die Bundestagsabgeordneten aus Sachsen-Anhalt hätten nur bei denjenigen Widerhall gefunden, die nicht der Ampel-Koalition angehören.
Leider sei eine gemeinsame Presseerklärung von Kammer und Verband in Sachsen-Anhalt nur von einer eher unbedeutenden regionalen Magdeburger Nachrichtenplattform aufgegriffen worden – und sogleich mit den inzwischen üblichen gehässigen Online-Kommentaren bedacht worden. Hier zeige sich ein Problem, so Münch: »Überaus hartnäckig hält sich die Mär vom per se reichen Apotheker – leider auch unter Journalisten. Und auch Abgeordnete sind nur Menschen, die mehrheitlich keinen Einblick in das Apothekensystem haben. Sehr viele verstehen unser Problem gar nicht, weil sie die Preisbildung für Arzneimittel nicht kennen.« Bedauerlicherweise gebe es auch immer wieder einzelne Kollegen, die dieses Klischee nach Kräften bedienten. Diese fielen in der Öffentlichkeit mehr auf als die vielen, bei denen es anders ist.
Er glaube nicht, dass Apotheken durch Schließungen mehr Verständnis in der Bevölkerung erreichen würden. »Wenn wir etwas ändern wollen, dann reicht es nicht, mit dem Finger auf die Kammer, den Verband oder die ABDA zu zeigen. Wir tun, was wir können. Aber letztlich müssen alle mit ran«, betonte Münch. Mehr Apotheker als bisher müssten sich direkt an ihre Abgeordneten wenden, dafür gebe es Musteranschreiben von der ABDA-Öffentlichkeitsarbeit.
»Was ist denn für einen Abgeordneten eindrucksvoller: ein Brief von Kammer und Verband oder hundert Briefe von Apothekern aus seinem Wahlkreis, die ihm ihre persönliche Betroffenheit schildern?«, fragte Münch. Diese Art von Protest oder auch Aktionen wie der Youtube-Protestsong einer Kollegin aus Mecklenburg-Vorpommern oder der »Apothekentrauertag«, den eine Apotheke in Colbitz nördlich von Magdeburg für den Folgetag der Kammerversammlung anberaumt hatte, hält Münch für erfolgversprechend: »Aktionen, die mediales Interesse wecken und gleichzeitig aufklären.« Die Kammer biete dabei gerne ihre Unterstützung an.
Trotz der schmerzhaften Honorarkürzung gelte es aber, nach vorne zu blicken. Und da böten sich durchaus Chancen, sagte Münch. Er erinnerte daran, dass die Stärkung der Vor-Ort-Apotheken ein im Koalitionsvertrag verankertes Ziel sowohl der Landesregierung in Sachsen-Anhalt als auch der Bundesregierung sei. Minister Lauterbach habe zudem angekündigt, die Gespräche mit den Apothekern intensivieren zu wollen, für weitere Sparrunden Experten hinzuzuziehen und das Leistungsspektrum der Apotheken auszubauen. »Da sind wir dabei und daran werden wir ihn erinnern«, sagte Münch. Als Vorschläge für sofort umsetzbare, kostensparende Maßnahmen im Umkreis der Apotheke nannte er die Senkung der Mehrwertsteuer auf Medikamente, Bürokratieabbau und die Digitalisierung.
»Dabei denke ich nicht nur an das E-Rezept, sondern auch an schnelle und unkomplizierte Wege zum Informationsaustausch. Wie viel unnötige Zeit kostet uns im Moment etwa das fast unmögliche Unterfangen, mit einer Arztpraxis Kontakt aufzunehmen, um wichtige Fragen zur Versorgung eines Patienten zu klären«, sagte Münch. Das könne auch im Zusammenhang mit den pharmazeutischen Dienstleistungen ein Problem darstellen. Diese seien an sich ein Riesenerfolg, auch wenn die Umsetzung momentan noch zäh sei. Die Gründe für die Zurückhaltung bei vielen Apotheken seien aus seiner Sicht vor allem fehlende Zeit und Personalmangel. »An der Nützlichkeit an sich kann aber keiner zweifeln.«
Auch Lutz Boden vom Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH), der in der Kammerversammlung einen Gastvortrag hielt, wies darauf hin, wie wichtig eine gute interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern ist. »Aus unserer Sicht ist zwischen diesen beiden Berufsgruppen mehr Miteinander erforderlich«, sagte Boden, der selbst Apotheker ist. Nur so könne etwa auch die Prävention von Krankheiten verbessert werden.
Die persönliche Kommunikation mit dem Patienten sei dabei von zentraler Bedeutung – und ein Alleinstellungsmerkmal der Apotheke vor Ort gegenüber Versandapotheken. Eine Umfrage des BAH habe ergeben, dass sehr viele Patienten genau das besonders schätzen: die Möglichkeit, direkt nachzufragen, und das Beratungserlebnis vor Ort. Als Gründe für einen Einkauf beim Versandhandel seien dagegen zuvorderst ein geringerer Preis und Bequemlichkeit genannt worde – aber der Preis für Arzneimittel sei in der Offizin nicht zwangsläufig höher als beim Versandhandel und bequem sei beispielsweise auch der Botendienst, sagte Boden.