»Unsere Krankenhäuser dürfen nicht zum Experimentierfeld werden« |
Paulina Kamm |
09.10.2025 16:00 Uhr |
Gemischte Gefühle sind das Resultat der Reform der Reform. / © Adobe Stock/HNFOTO
Nachdem am 8. Oktober mit dem Kabinettsbeschluss die lang erwarteten Anpassungen publik wurden, hagelte es schnell Kritik: Der hessischen Gesundheitsministerin Diana Scholz (CDU) gehen die Nachbesserungen nicht weit genug. Die geforderte Planungs- und Rechtssicherheit, um regionale Besonderheiten umzusetzen, fehle trotz der gegebenen Fristverlängerungen weiterhin. Sie zweifele an der Praxistauglichkeit der Reform – besonders im ländlichen Raum.
Scholz mahnt: »Unsere Krankenhäuser dürfen nicht zum Experimentierfeld werden«, andernfalls sehe sie die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger als gefährdet. Qualitativ hochwertig und erreichbar müsse die Gesundheitsversorgung sein, doch »auf den ersten Blick erfüllen die Nachbesserungen im Entwurf diese Anforderungen noch nicht in ausreichendem Maß«, so Scholz. Der nächste Schritt sei eine detailreichere Beurteilung des Entwurfs.
Die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) lobte den Regierungsentwurf des KHAG zwar als »wichtigen Erfolg, dass die Länder nun mehr Spielraum im Rahmen der Krankenhausreform bekommen«. Zugleich kritisierte sie, dass die Bundes-SPD sich »nicht zu längeren Ausnahmemöglichkeiten bei der Zuweisung der Leistungsgruppen an die Kliniken durchringen konnte«, was gerade für einen Flächenstaat wie Bayern sinnvoll gewesen wäre.
Pessimistischer sieht das der Chef der Techniker Krankenkasse (TK) Jens Baas: Die Regierung habe die Ziele der Reform aus den Augen verloren. Sowohl die eigentlich angedachte bessere Behandlungsqualität wie auch die optimierten Versorgungsstrukturen seien mit dem KHAG nicht mehr gewährleistet. Der Begriff der »Verwässerung«, den bereits der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Christos Pantazis, verwendete, scheint sich hier zu manifestieren.
»Die Länder sollen zukünftig den Krankenhäusern auch Leistungsgruppen zuweisen können, wenn Kliniken die dafür notwendigen Qualitätskriterien nicht erfüllen. Die Vorgaben für die Erreichbarkeit der Kliniken sollen gestrichen werden, Mindestmengen können durch Ausnahmen- und Kooperationsmöglichkeiten unterlaufen werden«, so Baas. Mit dieser Reform habe man die Chance verpasst.
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, verzeichnet die nur regelkonforme Finanzierung der Reform aus Steuergeldern statt auf Kosten der Beitragszahlenden als vorerst einzigen Gewinn. Reimann spricht von vielerlei Aufweichungen: Qualitätsvorgaben für die Kliniken, die Zahl des erforderlichen fachärztlichen Personals bei bestimmten Eingriffen und bundesweit verbindliche Erreichbarkeitsvorgaben sollen gänzlich entfallen. »Im Gegenzug werden den Bundesländern zahlreiche Hintertüren zur Abweichung von den ursprünglich verbindlich festgeschriebenen Qualitätsvorgaben geöffnet«, so Reimann.
Vor allem aber moniert sie die Leerstellen, die weiterhin bestehen: »Eine bedarfsorientierte und fallzahlunabhängige Vorhaltefinanzierung auf Basis der Planfallzahlen sowie die Beauftragung eines Bedarfsbemessungsinstruments sucht man weiterhin vergeblich«, kritisiert Reimann. Auch die Vorgaben für die neuen sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen halte sie für untauglich. Zusammenfassend sehe sie keine zukunftsgerichtete Politik, sondern »verzweifeltes Klammern an bestehende ineffiziente Strukturen«.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) vermisst nach eigenen Angaben substanzielle Verbesserungen, die zur dauerhaften Praxistauglichkeit der Krankenhausreform beitragen. Der Vorstandsvorsitzende der DKG Gerald Gaß kritisiert, die Erwartungen und Forderungen der Länder seien bei weitem nicht erfüllt worden. Die Bundesländer hätten künftig nur eingeschränkte Gestaltungsspielräume. Personal- und Strukturvorgaben für die Kliniken seien kleinteilig und kostenintensiv, Ausnahmen könnten nur im Einvernehmen mit den Krankenkassen und zeitlich befristet umgesetzt werden. Damit übten künftig Bund und Krankenkassen die de facto Zuständigkeit für die Krankenhausplanung aus – ein Eingriff in das eigentlich den Ländern vorbehaltene Handlungsfeld.
Für Fachkliniken könne es ebenfalls eng werden: Sie erhielten keinen ausreichenden Spielraum, um ihr Angebot zu sichern. Auch die vorgesehene Vorhaltefinanzierung greife zu kurz; Kliniken der Grund- und Regelversorgung, die ihr Leistungsspektrum anpassen müssen, würden finanziell nicht ausgeglichen und stünden vor wirtschaftlichen Problemen, so Gaß.
Auch Gaß betont diverse Defizite: Zahlreiche umstrittene Vorgaben aus der vorherigen Reform blieben unverändert, darunter Mindestvorhaltezahlen und der Klinikatlas, der kleinere Standorte öffentlich abwerten könne. Bürokratieabbau und Deregulierung seien nicht erkennbar, Telemedizin und regionale Versorgungsverbünde würden nicht ausreichend gefördert.
Obwohl einige kritische Stimmen die Alltagstauglichkeit bezweifeln, bleibt Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) optimistisch: »Mit dem Gesetz sorgen wir dafür, dass Krankenhäusern genügend Zeit bleibt, die neuen Qualitätsvorgaben auch umzusetzen«, sagte sie anlässlich des Kabinettsbeschlusses. Auch die Ziele einer höheren Versorgungsqualität und der Bündelung von Leistungen sieht die Ministerin nicht in Gefahr: »Komplexe Eingriffe sollen in dafür spezialisierten Kliniken vorgenommen werden. So müssen wir etwa die Versorgung auf dem Land aufrechterhalten und Anpassungen vornehmen, wo die ursprüngliche Reform zu ungewünschten Verwerfungen führen würde«, erläutert Warken.