Unser Steinzeitgehirn erschwert Veggie Days |
Angela Kalisch |
28.11.2023 08:00 Uhr |
Obwohl längst ein Überangebot an Nahrung zur Verfügung steht, ist unser Gehirn noch darauf eingerichtet, Zeiten von Mangel zu überbrücken. / Foto: Getty Images/Iryna Palmina
Übergewicht ist kein ästhetisches Problem. Mit den überschüssigen Kilos steigt das Risiko für Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Krebs. Darauf wies Annette Schürmann vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIFE) vor Kurzem in der ersten Diskussionsrunde des neuen Veranstaltungsformats »Science on the Spree« der Springer Nature Group hin. Das Thema: »Gesund und nachhaltig: Wie kann die Politik die Zukunft unserer Ernährung gestalten?« Das Format soll Brücken bauen zwischen Erkenntnissen der Wissenschaft und deren Umsetzung durch die Politik.
Wie gesunde Ernährung aussehen könnte, sollte eigentlich längst bekannt sein: viel frisches Obst und Gemüse, Vollkornprodukte, gesunde Fette. Was stattdessen unser Essen dominiert sind Zucker, Fertigprodukte und zu viel Fleisch. Warum fällt es vielen Menschen so schwer, unvernünftige Lebensmittel von ihrem Speiseplan zu streichen oder zumindest zu reduzieren?
Schuld sei unser Steinzeitgehirn, so die Psychologin Laura König von der Universität Wien. Denn Zucker und Fett seien noch immer mit einem evolutionären Vorteil verbunden, um Zeiten von Mangel überbrücken zu können. Das Problem sei mit dem Überangebot und der ständigen Verfügbarkeit hochkalorischer Nahrung gekommen.
Neben der psychologischen spiele auch die ökonomische Dimension eine wichtige Rolle, wie Benjamin Leon Bodirsky vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ergänzte. Die Lebensmittelindustrie verwende subventionierte, billige Rohstoffe und fördere über die daraus erzeugten Fertigprodukte deren Konsum. Das sei nicht nur ein Problem für die Gesundheit, sondern auch alles andere als nachhaltig. Allem voran die Nutztierhaltung hinterlasse einen zu großen ökologischen Fußabdruck.
Sind gesunde Lebensmittel im Gegensatz zu den preiswert verfügbaren Fertigprodukten also einfach zu teuer und wären somit Steuern und Subventionen ein geeignetes politisches Instrument, um zu die Deutschen zu einem vernünftigeren Kaufverhalten zu lenken? »So einfach ist es nicht«, stellte Renate Künast, ehemalige Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, klar. Die Stellschraube der Steuerpolitik auf bestimmte Rohstoffe täusche darüber hinweg, dass der Preis für die vermeintlich billigen Produkte an ganz anderer Stelle bezahlt werde, nämlich bei den Folgen für die Umwelt und in den Gesundheitssystemen. Das Problem sei nicht die falsche Entscheidung des Einzelnen, sondern die Angebotsumgebung. Diese müsse so gestaltet werden, dass die ständige Verfügbarkeit von ungesunden Speisen reduziert wird.
So einfach ist es nicht, die Ernährungsgewohnheiten umzukehren, meint Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), ehemalige Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft. / Foto: Springer Nature Group
Besonders schutzbedürftig seien Kinder. Laut Künast muss gesunde Ernährung in der Bildung ihren Platz finden und Kinder sollten weniger stark Werbung mit ungesunden Lebensmitteln ausgesetzt sein. Es müsse alles darangesetzt werden, nicht eine weitere Generation »falsch zu prägen«.
Der aus den USA per Video zugeschaltete Walter Willett von der Harvard T.H. Chan School of Public Health plädierte für mehrere parallele Aktivitäten – zumal der Erfolg von Einzelmaßnahmen, wie etwa der Einführung einer Zuckersteuer, nur schwer messbar sei. Vielmehr gelte es, mit den unterschiedlichsten Werkzeugen zu arbeiten. Dazu gehöre, die Gemeinschaftsverpflegung in Schulen, Universitäten und Arbeitsstätten erheblich zu verbessern, um den Zugang zu gesundem Essen bequemer zu gestalten. Zudem müsse das gesamte Gesundheitssystem viel aktiver Ernährungswissen zum Thema machen. Ärzte vernachlässigten das bisher, Krankenkassen investierten zu wenig in Präventionsprogramme. Als weiterer Akteur könnten die Medien eine gewichtige Rolle bei der Aufklärung spielen.