Ungeplante Schwangerschaft als Nebenwirkung? |
Daniela Hüttemann |
08.04.2024 18:00 Uhr |
Derzeit berichten (ehemals) übergewichtige, bislang ungewollt kinderlose Frauen unter Anwendung von »Abnehmspritzen« über überraschende Schwangerschaften teils nur wenige Monate nach Therapiebeginn. / Foto: Antonio Diaz
In den Medien ist seit einiger Zeit von »Ozempic-Babys« die Rede, so titeln unter anderem »Focus« und »Bild« online auf ihren Webseiten und beziehen sich dabei wiederum auf entsprechende Artikel aus den USA. Der Hintergrund sind vermehrte Berichte von Semaglutid-Nutzerinnen in den sozialen Medien wie TikTok, Facebook und Urbia, die unter der Anwendung ungeplant schwanger wurden.
So schrieb »USA Today« in einem ausführlicheren Artikel vom 21. März, Reproduktions- und Übergewichtsexperten sähen tatsächlich einen entsprechenden Trend in ihren Praxen. Der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) liegen bislang noch keine entsprechenden Spontanmeldungen vor, teilte diese der Pharmazeutischen Zeitung auf Nachfrage mit.
Dass die Inkretinmimetika es einfacher machen könnten, schwanger zu werden, ist plausibel. Denn schon lange ist bekannt, dass Übergewicht und damit verbundene metabolische Störungen einschließlich des polyzystischen Ovarialsyndroms (PCOS) mit einer verminderten Fruchtbarkeit einhergehen. Fettgewebe produziert eine Vielzahl an Hormonen und anderen Botenstoffen, darunter auch Estrogen und Testosteron. Ein Zuviel an Estrogen kann eine reguläre Menstruation und den Eisprung verhindern.
»Es stimmt, dass aus wissenschaftlicher Perspektive diese Medikamente es einfacher machen könnten, schwanger zu werden«, zitiert »USA Today« die Gynäkologin und Endokrinologin Dr. Allison Rodgers vom Fertility Center Illinois. Diese warnt jedoch zugleich, dass die Anwendung der Arzneistoffe in der Schwangerschaft auch gefährlich sein könnte.
Die Fach- und Gebrauchsinformationen empfehlen Frauen im gebärfähigen Alter, während der Behandlung mit einem Inkretinmimetikum zu verhüten. Denn tierexperimentelle Studien zeigten eine Reproduktionstoxizität. Semaglutid und Tirzepatid dürfen daher während der Schwangerschaft nicht angewendet werden. Tritt eine Schwangerschaft ein, müssen die Arzneimittel abgesetzt werden. Bei Kinderwunsch sollen sie aufgrund der langen Halbwertzeit mindestens zwei Monate vor dem Versuch einer Konzeption abgesetzt werden.
Es gibt noch keine ausreichenden Daten zum Risiko für Fehlbildungen, Fehlgeburten und andere fetale und maternale Outcomes. Die Hersteller führen als Auflage für die Zulassung ein Verzeichnis, um die Verläufe von Schwangerschaften unter den Arzneimitteln zu monitoren.
Schwieriger zu beurteilen ist derzeit noch, ob die Diabetes- und Antiadipositas-Medikamente mit hormonellen Kontrazeptiva in einem klinisch relevanten Ausmaß interagieren. Sie verzögern die Magenentleerung (ein gewünschter Effekt zum Abnehmen), was die Absorption der »Pille« theoretisch beeinflussen könnte. Allerdings geht die europäische Produktinformation davon aus, dass in der Regel keine Dosisanpassungen anderer Medikamente erforderlich sind (nur bei sehr enger therapeutischer Breite).
Unter einer Einzeldosis des stärker wirksamen Tirzepatid wurden eine Verringerung der höchsten Plasmakonzentration (Cmax) und der AUC eines oralen Kontrazeptivums sowie eine Verzögerung der Zeit bis zum Erreichen der maximalen Plasmakonzentration (tmax) festgestellt, heißt es in der europäischen Produktinformation. Dort steht jedoch auch: »Diese Verringerung der Exposition nach einer Einzeldosis von Tirzepatid wird nicht als klinisch relevant erachtet. Eine Dosisanpassung oraler Kontrazeptiva ist nicht erforderlich.«
Unter Ozempic, der niedriger dosierten Semaglutid-Variante, wurden hingegen keine oder nur geringe Effekte auf Cmax, AUC und tmax von hormonellen Kontrazeptiva beobachtet. Auch hier gibt es in der Produktinformation keinen Hinweis darauf, dass die Wirkung der »Pille« eingeschränkt sein könnte und zusätzliche Verhütungsmittel angezeigt sind. Ungewollte Schwangerschaften unter hormoneller Verhütung werden in beiden Produktinformationen jeweils nicht aufgelistet.
Die US-Produktinformation von Mounjaro rät dagegen zu einem Wechsel auf eine nicht orale Kontrazeptionsmethode oder eine zusätzliche Barrieremethode in den vier Wochen nach der ersten Anwendung sowie jeweils für vier Wochen nach jeder Dosissteigerung. Hintergrund ist, dass die verzögerte Magenentleerung wohl nur zu Beginn der Therapie eine größere Rolle spielt. Es wird ein Toleranzeffekt vermutet.