»Unerwartete« Verunreinigungen zuverlässiger aufspüren |
Damit »unerwartete« Verunreinigungen nicht durch das Netz diverser Qualitätskontrollen rutschen, bedarf es einer besseren und breiter aufgestellten Analytik. / Foto: Getty Images/ Suriphon Singha (Symbolbild)
Die internationalen Arzneibücher versuchen, die Qualität eines Arzneistoffes mittels standardisierter Methoden zu evaluieren und damit letztlich auch zu sichern. Zu den wichtigsten Methoden zählen die Identifizierung von Restlösemittel, die Suche nach Schwermetallen und vor allem die Identifizierung und Quantifizierung von verwandten Substanzen. Bei Letzterer kommt zumeist eine Hochleistungsflüssigkeitschromatografie (HPLC) mit UV/Vis-Detektion zum Einsatz.
Die Analytik basiert dabei auf der Kenntnis des Herstellungswegs. Wird dieser von einem pharmazeutischen Hersteller verlassen, muss überprüft werden, ob die beschriebene Analytik die Qualität des Wirkstoffs noch ausreichend sichern kann. Aber reicht das wirklich aus?
Unter der Rubrik »verwandte Substanzen« gruppiert man zumeist Syntheseausgangsprodukte, Nebenprodukte und Zersetzungsprodukte ein. Eher selten im Blick hat man die Reinheit der Edukte sowie der Lösungsmittel und Reagenzien, geschweige denn die Reaktionsprodukte aus den genannten Substanzen, obgleich man mithilfe einer Synthesematrix mögliche weiteren Verunreinigungen identifizieren kann. Nach diesen könnte man dann gerichtet (targeted) mittels HPLC mit massenspektrometrischer Detektion suchen.
Alternativ kann man aber auch ungerichtet mittels HPLC/MS-Methoden nach unerwarteten Verunreinigungen suchen. Dazu benötigt man einen empfindlichen Massendetektor wie ein qTOF-Detektor, der die Massen auf vier Nachkommastellen bestimmen kann, sowie eine entsprechende Mess- und Auswertesoftware. Derart ausgerüstet, kann man die Summenformel einer Verunreinigung und deren Strukturformel aufklären.
Mit dieser Technik haben wir an der Universität Würzburg kürzlich unter anderem sechs Proben von Losartan-Kalium unterschiedlicher Herkunft untersucht (»Journal of Pharmaceutical and Biomedical Analysis«, DOI: 10.1016/j.jpba.2023.115955). Durch systematische Variation der chromatografischen Bedingungen konnten wir einige der im Arzneibuch beschriebenen Verunreinigungen auffinden sowie auch Losartan-Azid, über das kürzlich berichtet wurde, und ein Losartan-Cyanoalkohol-Isomer (Abbildung).
Abbildung: Losartan-Kalium sowie die Verunreinigungen, die zusätzlich zu den im Arzneibuch angegebenen gefunden wurden, darunter N-Methyl-2-pyrrolidon (NMP) / Foto: Universität Würzburg
Erstaunt waren wir allerdings über die Entdeckung von N-Methylpyrrolidon (NMP) in einem asiatischen Produkt, insbesondere über die Menge von knapp 33.000 ppm. Der Wert liegt mehr als 60-fach über dem Limit von 530 ppm, das sowohl die ICH-Guideline Q3C (R9) als auch das US-amerikanische Arzneibuch (USP) und das Europäische Arzneibuch (PhEur) vorschreiben. NMP war offensichtlich als Lösemittel in der Synthese verwendet und nicht ausreichend abgereichert worden.
NMP gehört zu den Lösemitteln der sogenannten Klasse 2. Das sind nicht genotoxische Karzinogene (in Tierversuchen), die gegebenenfalls irreversible toxische Schäden wie Neurotoxizität oder Teratogenität hervorrufen. So gelten für NMP folgende Gefahrenhinweise: H315 Hautreizungen, H319 schwere Augenreizungen, H335 Atemwegsreizungen und H360 die Schädigung eines Kindes im Mutterleib. Die Europäische Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals in der EU) regelt seit 2006 den Umgang mit gefährlichen Chemikalien. Hiernach darf NMP nur verwendet werden, wenn bestimmte Expositionsgrenzen eingehalten werden.
N-Methylpyrrolidon (NMP) wird sehr vielfältig eingesetzt, sodass eine große Expositionsgefahr für die Bevölkerung besteht. Beispielhaft seien hier einige Verwendungen genannt: bei der Herstellung von Polymeren, Halbleitern, Batterien, Arzneimitteln, Kabel- und Drahtbeschichtungen sowie zum Entfernen von Farben und Graffiti, in Tinten und Farben in Innenräumen sowie Teppichen und Auslegeware.
Nicht zuletzt wegen dieser Gefahrenlage will die US-amerikanische Umweltschutzbehörde EPA (Environmental Protection Agency) zum Schutz von Herstellern und Verbrauchern neue Grenzwerte für NMP einführen. In einer öffentlichen Anhörung schlug die EPA vor, NMP in vielen Bereichen wie bei der Produktion von Agrochemikalien, Reinigungsprodukten, Schmierstoffen und Frostschutzmitteln zu verbieten beziehungsweise seinen Einsatz zu minimieren. Bemerkenswerterweise fehlt bei der EPA-Auflistung die Herstellung von Arzneimitteln. Dies ist womöglich der Tatsache geschuldet, dass die NMP-Menge in pharmazeutischen Produkten bereits durch die Arzneibücher limitiert ist.
Aus manchen Industriezweigen ist NMP nicht wegzudenken, etwa bei der Herstellung von Mikrochips und Batterien. Hier müssen die Mitarbeiter in den Produktionsanlagen maximal geschützt und die Exposition streng kontrolliert werden. Doch sollte in allen anderen Bereichen, wo NMP ersetzt werden kann, dies auch getan werden. Das gilt besonders für die Synthese von Wirkstoffen. Das Auffinden von 33.000 ppm NMP in Losartan-Kalium ist daher ein Skandal. Es wundert allerdings nicht, dass die Probe aus dem asiatischen Raum kam, wo Umweltaspekte häufig eine geringere Rolle spielen.
Positiv ist anzumerken, dass NMP nur in einer der Wirkstoffproben gefunden wurde und in keiner der insgesamt 35 untersuchten Tablettenproben. Allerdings zeigt dieser Fall, dass es einer besseren und universelleren Analytik zur Qualitätssicherung von Wirkstoffen bedarf, um zuverlässig Verunreinigungen jeglicher Art zu finden, auch unerwartete nicht verwandte Substanzen und gegebenenfalls Lösungsmittel. Deren toxikologische Bewertung ist das eine, die Information über den – eventuell sogar geänderten – Herstellungsweg das andere.
Literatur bei den Verfasserinnen