Umweltfaktoren im Fokus der Krankheitsprävention |
Theo Dingermann |
03.07.2025 16:57 Uhr |
In der Exposom-Forschung geht es um die Verarbeitung sehr großer Datenmengen, die erst mit modernen Methoden möglich geworden ist. / © Getty Images/Ole_CNX
Mit dem humanen Exposom Projekt (HEP) entsteht ein ehrgeiziges wissenschaftliches Vorhaben, das sich anschickt, die Lücke zu schließen, die das humane Genom Projekt (HGP) hinterlassen hat: die systematische Erfassung aller nicht genetischen Einflussfaktoren auf die menschliche Gesundheit. Während das HGP in den letzten Jahrzehnten das genetische Fundament zahlreicher Erkrankungen kartografiert hat, rückt jetzt mit dem HEP der sogenannte Exposom-Ansatz in den Vordergrund.
Dieser integriert die Gesamtheit physikalischer, chemischer, biologischer und psychosozialer Einflüsse auf die Biologie des Menschen, von Umweltgiften über Ernährung, Bewegung und Schlaf bis hin zu sozioökonomischen Faktoren. In einem aktuellen Nachrichtenbeitrag weist die Wissenschaftsjournalistin Samantha Anderer im Fachjournal »JAMA« auf die Bedeutung des HEP hin.
Dass die Exposom-Forschung mitunter erstaunliche Ergebnisse liefert, wurde erst kürzlich wieder deutlich. In einer Studie wurde die generelle Auffassung korrigiert, dass chronische, systemische Entzündungen typische Treiber für Alterungsprozesse seien. Diese Assoziation gilt nämlich der Studie zufolge nur in Industriestaaten. Bei indigenen Völkern findet man diesen Zusammenhang nicht, was die Forschenden der unterschiedlichen Umweltexposition in den beiden Lebensräumen zuschreiben.
Erstmals konzeptualisiert wurde das Exposom 2005 von Professor Dr. Christopher Paul Wild von der Internationalen Krebsforschungsgesellschaft in Lyon, Frankreich, als notwendige komplementäre Perspektive zur Genomik. Damals galt die Idee, sämtliche Umwelteinflüsse einer Population lebenslang zu erfassen, noch als zu utopisch. Jetzt allerdings haben Fortschritte in Technologie und Datenanalyse diese Vision greifbarer gemacht.
Das zeigt auch die jüngste Gründung des »Network for Exposomics in the United States (NEXUS)« durch die US-Gesundheitsbehörde NIH. Das NEXUS-Konsortium will eine koordinierte Forschungsstruktur mit standardisierten Methoden und Tools etablieren. Und im Mai 2025 fand in Washington, D.C., ein Treffen von mehr als 400 Wissenschaftlern, politischen Entscheidungsträgern und Interessenvertretern aus aller Welt statt, in dessen Rahmen eine globale Exposomik-Koalition gegründet wurde. In Panels und Arbeitsgruppen wurden strategische Roadmaps, Governance-Strukturen und die Integration von künstlicher Intelligenz (KI) in die Forschung diskutiert.
Umweltfaktoren sind variabel, dosisabhängig und häufig schwer zu operationalisieren. Doch neue Technologien wie hochauflösende Massenspektrometrie, tragbare Sensoren und satellitengestützte Fernerkundung ermöglichen eine präzisere Erfassung von chemischen Signaturen, Metaboliten und Expositionen am jeweiligen Aufenthaltsort.
Die Datenmenge, die diese Verfahren generieren, erfordert eine skalierbare, automatisierte Analyse. Hier kommt dann auch die KI ins Spiel. Algorithmen für Mustererkennung und Big-Data-Auswertung sollen helfen, aus Millionen von Datenpunkten Expositionsprofile und Risikomuster zu generieren.
Langfristig wird erwartet, dass die Exposomik sowohl die klinische Praxis als auch die Präventionsmedizin verändern kann. So könnten Exposom-Risikoscores genetische Risikoanalysen ergänzen und personalisierte Präventionsstrategien ermöglichen. Beispielsweise könnten Bluttests entwickelt werden, die genomische und exposomische Informationen kombinieren, um ein Therapieansprechen vorherzusagen. Über die Patientenversorgung hinaus könnten auch Stadtplanung und frühkindliche Förderprogramme von exposomischer Evidenz profitieren.
Einige exemplarische Erkenntnisse, die mithilfe exposomischer Methoden gewonnen wurden, illustrieren das Potenzial:
Diese Beispiele zeigen, wie durch Integration molekularer Daten, räumlicher Informationen und individueller Expositionsmessungen eine präzisere Pathogeneseabschätzung gelingt. Dies ist ebenfalls Thema eines »Perspective«-Artikels im Wissenschaftsjournal »Science«.
Dort werden auch kurzfristige Anwendungen diskutiert, beispielsweise indem bestimmte chemische Expositionscluster mit Krankheitsbildern in Verbindung gebracht werden. Daraus können sich umgekehrt Interventionen ergeben, ähnlich wie beim Tabakkonsum oder der Luftverschmutzung. Professor Dr. Thomas Hartung von der Johns Hopkins University formuliert es pragmatisch: »Das Genom war erst nützlich, als es vollständig entschlüsselt war. Das Exposom ist bei jedem neu erkannten Schadstoff sofort nutzbar.«