Pharmazeutische Zeitung online
Melatonin-Gummibärchen für Kinder

Überdosierungen sind möglich

Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin boomen. Für Kinder stehen entsprechende Präparate in Gummibärchen-Format zur Verfügung. Doch wie sinnvoll und sicher ist die Verwendung dieser Produkte?
Johanna Hauser
03.09.2025  15:30 Uhr

Melatonin ist ein Hormon, das in der Zirbeldrüse aus Serotonin produziert wird und den Tag-Nacht-Rhythmus des Körpers steuert. Tageslicht hemmt die Synthese, Dunkelheit fördert die Bildung von Melatonin. Gegen drei Uhr nachts erreicht der Melatoninspiegel sein Maximum.

Eine Studie aus Singapur, die im Journal »Sleep Medicine Clinics« veröffentlicht wurde, konstatierte bereits 2008, dass eines von vier Kindern verhaltensbedingte Schlafprobleme zeigt – einschließlich der Kinder, die nicht neurodivergent sind, also nicht unter ADHS oder Autismus-Spektrums-Störungen leiden. Zur Verwendung von Melatonin bei nicht-neurodivergenten Kindern gibt es – im Gegensatz zu Kindern mit ADHS oder Autismus – jedoch keine belastbaren Daten. Daher kann auch keine Aussage über Wirksamkeit, Einnahmeempfehlung oder -dauer getroffen werden.

Dennoch werden Melatonin-haltige Gummibärchen bei diesen Kindern mit Schlafstörungen eingesetzt etwa in den USA, wie eine Publikation im Fachjournal »JAMA« von 2023 zeigt: Vor der Coronapandemie lag der Anteil US-amerikanischer Kinder, die Melatonin gegen Schlafstörungen, Stress und zur Entspannung eingenommen haben, bei 1,3 Prozent. Inzwischen ist der Anteil deutlich gestiegen. Melatonin ist in den USA rezeptfrei erhältlich. US-amerikanische Untersuchungen ergaben, dass der Gehalt dieser Präparate deutlich variieren oder nicht der Etikettierung entsprechen kann. Auch können Beimischungen von Serotonin oder CBD enthalten sein. Die Untersuchung ergab, dass bei 25 Produkten der Melatonin-Gehalt bis zum Vierfachen über der deklarierten Menge lag. Fünf Produkte gaben CBD als Inhaltsstoff an, die tatsächliche Menge lag bei bis zu 118 Prozent des deklarierten Gehalts.

Gerade bei Kindern kann es schneller zu Überdosierungen kommen, denn die Verstoffwechselung von Melatonin läuft langsamer ab als bei Erwachsenen. Übelkeit, übermäßige Schläfrigkeit und Migräne können zu den Symptomen gehören. Welche Vorgänge auch langfristig aus dem Lot geraten könnten, kann mangels Daten nicht abgeschätzt werden. So wurden in den USA auch zwei Todesfälle und knapp 300 Einweisungen auf die Intensivstation mit der Verwendung Melatonin-haltiger Gummibärchen bei Kindern in Zusammenhang gebracht.

Während eines zehnjährigen Beobachtungszeitraums (2012 bis 2021) wurden 260.435 pädiatrische Melatonin-Einnahmen an das National Poison Data System (NPDS) der American Association of Poison Control Centers gemeldet. Die jährliche Anzahl der Meldungen stieg um 530 Prozent, die Anzahl der Krankenhausaufenthalte und schwerwiegenden Folgen aufgrund zu hoher Dosen nahm ebenfalls zu. Die gemeldeten Symptome betrafen zumeist das Magen-Darm-, Herz-Kreislauf- oder Zentralnervensystem. Von den 27.795 Patienten, die behandelt wurden, mussten 4.097 (14,7 Prozent) ins Krankenhaus eingeliefert und 287 (1,0 Prozent) auf Intensivstation behandelt werden. Die Melatonin-Einnahmen waren zu 1,6 Prozent mit schwerwiegenden Folgen assoziiert; fünf Kinder mussten beatmet werden, zwei Kinder im Alter von unter zwei Jahren.

Bei Kindern besteht auch die Gefahr, dass die als Schlafhilfe gedachten Melatonin-Gums als Süßigkeit betrachtet werden könnten und dadurch schnell zu hohe Dosierungen erreicht werden. So gibt es auch aus Australien Berichte über vermehrte Anfragen bei der Gift-Hotline aufgrund von Überdosierungen.

Situation in Deutschland

Auch in Deutschland gibt es eine ganze Reihe von Melatonin-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln – auch für Kinder. Die Deklaration von Nahrungsergänzungsmitteln erfolgt auf Grundlage des Lebensmittelrechts. Der Melatonin-Gehalt darf um bis zu 50 Prozent von der deklarierten Menge abweichen.

Das Zentrallabor Deutscher Apotheker (ZL) führte kürzlich eine Untersuchung Melatonin-haltiger Nahrungsergänzungsmittel durch, deren Ergebnisse in der PZ publiziert wurden. Von den 57 untersuchten Präparaten lagen 55 innerhalb der 50 Prozent-Toleranzgrenze, bei 17 Präparaten bestand sogar nur eine Abweichung von ± 5 Prozent gegenüber dem deklarierten Gehalt.

Das ZL weist in der Publikation aber auch ausdrücklich daraufhin,  dass dennoch der Verzehr dieser Nahrunsgergänzungsmittel für bestimmte Verbrauchergruppen – darunter auch Kinder – nicht geeignet ist. Weiter heißt es dort: »Nicht zu empfehlen ist Melatonin in Form von Gummibärchen beziehungsweise Weichgummis, die den Eindruck einer Süßigkeit erwecken und somit den Verzehr dieses Hormons verharmlosen.«

Ist eine medikamentöse Behandlung notwendig, stehen in Deutschland verschiedene Arzneimittel zur Verfügung, die für Kinder bei Vorliegen einer entsprechenden Indikation zugelassen und erstattungsfähig sind: Slenyto® ist zugelassen zur Behandlung von Schlafstörungen (Insomnie) bei Kindern und Jugendlichen im Alter von zwei bis 18 Jahren mit Autismus-Spektrum-Störung und/oder Smith-Magenis-Syndrom, wenn Schlafhygienemaßnahmen nicht ausreichen. Als flüssige Darreichungsform steht Voquiliy® 1 mg/ml bei ADHS-Patienten zwischen sechs und 17 Jahren zur Verfügung.

Daneben sind gemäß Arzneimittelrichtlinie weitere verschreibungspflichtige, aber nicht erstattungsfähige Präparate erhältlich (Melatonin Vitabalans, Pinealin® und Mellozzan). Die Arbeitsgruppe Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) weist in einer ausführlichen Stellungnahme (2018) darauf hin, dass der Einsatz von Melatonin bei Kindern in richtiger Dosierung und unter ärztlicher Kontrolle bei verschiedenen Indikationen durchaus seine Berechtigung hat. 

Eine S2e-Leitlinie »Indikationen für Melatonin als schlafförderndes Mittel bei Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter« ist in Arbeit und soll Ende Oktober 2025 fertiggestellt sein.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa