Überbehandlung mit Schilddrüsen-Hormonen vermeiden |
Nicht hinter jedem erhöhten TSH-Wert steckt eine behandlungsbedürftige Schilddrüsenunterfunktion. Dennoch wird zu oft eine unnötige Hormonbehandlung begonnen. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e.V. hin. / Foto: Adobe Stock/B. BOISSONNET
Das Thyreoidea-stimulierende Hormon (TSH) wird von der Hypophyse vermehrt ausgeschüttet, wenn die Schilddrüse zu geringe Mengen der Hormone Triiodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) produziert. Die häufigste Ursache für die Unterfunktion ist die Hashimoto-Thyreoiditis, autoimmun vermittelte Entzündung des Schilddrüsengewebes. Der TSH-Wert unterliegt jedoch auch physiologischen Schwankungen, weil er sich an äußere Bedingungen anpasst, sagte Professor Dr. Joachim Feldkamp, Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie und Direktor der Abteilung am Universitätsklinikum Bielefeld Mitte September bei einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE) anlässlich der 8. Deutschen Hormonwoche.
So ist der Wert einer aktuellen Studie zufolge im Winter etwas höher als im Sommer. Auch die Tageszeit muss bei der Interpretation der Werte berücksichtigt werden. Nachts und in den frühen Morgenstunden sei der TSH-Wert deutlich höher als am Nachmittag. Zudem können akuter Schlafmangel, körperliche Anstrengungen, Infektionen und die Pubertät Gründe für einen vorübergehenden Mehrbedarf an Schilddrüsenhormonen sein.
Bei einer Adipositas sind die Werte ebenfalls höher. Dies sei eine natürliche Anpassung des Körpers an den erhöhten Bedarf und sollte nicht medikamentös behandelt werden, erklärte Feldkamp. Nach einer Gewichtsabnahme oder einer bariatrischen Operation normalisiere sich der Wert meist automatisch.
Der Normalwert von TSH liegt bei Erwachsenen zwischen 0,3 und 4 mU/l. Ältere Menschen haben aber oft erhöhte Werte. »Bei älteren Menschen sollte man sehr vorsichtig mit einer Schilddrüsenhormonbehandlung sein, weil eine Überbehandlung zu Herzrhythmusstörungen und zu einer Abnahme der Knochendichte führen kann«, mahnte der Endokrinologe. Werte bis 5 mU/l seien für Menschen zwischen 70 und 80 Jahren normal, Werte bis 6 mU/l seien normal für Menschen über 80 Jahre. Der Arzt würde beispielsweise bei einem Wert von 5,9 mU/l bei einem 85-jährigen Menschen keinesfalls Hormone verordnen. Wohingegen er bei einem 25-Jährigen auf Ursachenforschung gehen und den Wert nach zwei bis drei Monaten erneut bestimmen würde. Hätte sich der Wert dann nicht normalisiert und berichtet der Patient über Symptome, würde er eine Behandlung einleiten. Typische Symptome einer Unterfunktion wären beispielsweise ein erhöhtes Schlafbedürfnis, depressive Symptome, Gewichtszunahme und Haarausfall.
Feldkamp machte in dem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass Biotin die Laborwerte verfälschen und dazu führen könne, dass eine unnötige Hormonbehandlung begonnen werde. Insbesondere bei Einnahme von höheren Dosen Biotin (10 mg) sollte vorsichtshalber eine Woche zwischen der letzten Tablette und der TSH-Bestimmung liegen.
Grundsätzlich sollten leicht erhöhte Werte bei Menschen, die beschwerdefrei sind, erstmal nicht behandelt werden. Vielmehr sollte der Verlauf beobachtet werden und nach drei bis sechs Monaten der TSH-Wert erneut bestimmt werden. Gegebenenfalls sollte zusätzlich auf Schilddrüsen-Autoantikörper getestet werden. In circa jedem zweiten Fall normalisierten sich die TSH-Werte wieder. Eine regelmäßige Bestimmung des TSH-Wertes bei beschwerdefreien Personen in der Arztpraxis sei nicht sinnvoll.
Feldkamp schätzt, dass ungefähr jeder vierte Patient, der schon jahrelang Schilddrüsenhormone einnimmt, übertherapiert sein könnte. Das seien meistens Patienten, die wegen Schilddrüsenknoten aufgrund von Jodmangel, die im Ultraschall entdeckt wurden, Hormone verordnet bekommen hätten. Doch verursachten diese keine Erhöhung des TSH-Werts. Eine Überprüfung ergebe dann häufig, dass das Präparat wieder abgesetzt werden kann. Das dürften die Patienten aber keinesfalls selbstständig tun, warnte der Arzt.
Heute würden Schilddrüsenknoten primär mit Jod behandelt, und eventuell in Kombination mit L-Thyroxin, aber nicht mit der alleinigen Gabe von L-Thyroxin. Vor einer Verordnung von Hormonen sollten die Symptome des Patienten abgefragt und der TSH-Wert gezielt bestimmt werden. Bei bereits behandelten Patienten sollte der Wert einmal im Jahr kontrolliert werden, um eine Über- oder Unterbehandlung auszuschließen. »Werden diese Punkte berücksichtigt, sollte es möglich sein, nur diejenigen Patienten mit Hormonen zu behandeln, die wirklich einer Hormontherapie bedürfen«, sagte Feldkamp abschließend.