Über Chancen und Risiken der Abnehm-Mittel |
| Laura Rudolph |
| 08.08.2023 16:00 Uhr |
Wie sicher sind Medikamente gegen Adipositas im Langzeitgebrauch? GLP-1-Rezeptoragonisten sind nicht neu. Der erste Vertreter, Exenatid, wurde bereits vor 18 Jahren in den USA zur Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen. »Aus medizinischer Sicht kann man sagen, dass wir eine lange Geschichte der chronischen Therapie mit diesen Medikamenten haben«, sagt Professor Dr. Jamy Ard von der Wake Forest University School of Medicine in North Carolina. Er und andere Forscher, die mit Nature sprachen, stimmten zu, dass es bisher keine Anzeichen für erhöhte Risiken im Langzeitgebrauch gebe, heißt es weiter im Artikel.
Tschöp lieferte einen Ansatz zur Minimierung von Nebenwirkungen: Der Neuroendokrinologe könne sich vorstellen, dass Menschen mit Adipositas ihre Therapie mit einem Medikament beginnen, das mehrere Rezeptortypen (GLP-1 plus GIP plus gegebenenfalls Glucagon) aktiviert, und dann zu einem »milderen« Medikament wechseln.
Eine besondere Patientengruppe bilden Jugendliche, da sie sich noch im Wachstum befinden. Übergewicht, das bereits in jungen Jahren besteht, bleibt häufig auch im Erwachsenenalter erhalten. Dies sei ein gutes Argument dafür, bereits bei Jugendlichen im Bedarfsfall Medikamente einzusetzen, heißt es in dem Artikel. »Kliniker müssen jedoch sicherstellen, dass die Medikamente junge Menschen nicht daran hindern, alle Nährstoffe und Proteine zu sich zu nehmen, die sie für ein normales Wachstum benötigen«, gibt Katherine Morrison, pädiatrische Endokrinologin an der McMaster University in Hamilton, Kanada, zu bedenken. Zwar gebe es bisher nur wenige Untersuchungen, wie sich die Medikamente auf Jugendliche auswirken; die Expertin betont aber: »Wenn wir ihre Lebensqualität und ihre körperliche Gesundheit tatsächlich verbessern können, ist das ein Vorteil. Das dürfen wir in unserer Sorge nicht vergessen.«
Sorge tragen auch manche Wissenschaftler mit Blick auf den Einsatz von stark gewichtsreduzierenden Arzneimitteln in der »allgegenwärtigen Diätkultur« und unter dem »gesellschaftlichem Druck, schlank zu sein«. Skeptiker befürchten, der Hype um GLP-1-Analoga und Co. könnten Essstörungen und Gewichtsstigmatisierung fördern. »Es gibt Leute, die wirklich besorgt sind über die Akzeptanz und die Begeisterung für diese Medikamente«, sagt Sarah Nutter, Psychologin und Forscherin zum Thema Gewichtsstigmatisierung an der Universität von Victoria in Kanada.
Auch Professor Dr. Cynthia Bulik von der University of North Carolina und Professor Dr. Andrew Hardaway von der University of Alabama at Birmingham hinterfragen in einem aktuellen Editorial des Fachjournals »Science« (DOI: 10.1126/science.adj9953) das Missbrauchspotenzial von GLP-1-Analoga für extreme kosmetische Zwecke, für Menschen mit Essstörungen oder auch zur Beschaffung von Vorteilen bei Sportarten, bei denen Gewicht eine Rolle spielt. Sie fragen sich außerdem, ob die Medikamente gegen Adipositas »die Menschen von regelmäßiger körperlicher Betätigung abhalten, die einen eindeutigen gesundheitlichen Nutzen hat«.
Andere Wissenschaftler dagegen sehen in den effektiven Medikamenten gegen Adipositas ein »Licht am Ende des Tunnels« und hoffen, »dass die Einsicht in die biologischen Grundlagen und die chronische Natur der Fettleibigkeit die Krankenkassen dazu bewegen wird, die Kosten für die Medikamente zu übernehmen«, heißt es im Nature-Artikel. Dr. Timo Müller, Direktor des Instituts für Diabetes und Fettleibigkeit am Helmholtz Zentrum München, betont: »Da das Gehirn uns vorschreibt, wann und wie viel wir essen sollen, liegt hier das biologische Ungleichgewicht - und damit auch das Behandlungspotenzial.«