Trampolin ist kein Spiel-, sondern Sportgerät |
Je höher, desto spaßiger. Je wilder, desto besser: Trampolinspringen ist für Kinder ein großes Vergnügen – aber auch verletzungsträchtig. / Foto: Getty Images/Imgorthand
Egal ob im Garten, in Jumphallen, in Miniversion im Kinderzimmer oder im Fitnessstudio: Der Hüpf-Boom ist ungebrochen. Die Corona-Pandemie hat ihn gar verstärkt. »Die Umsatzzahlen von Trampolinen, die sich bereits vor der Pandemie positiv entwickelt hatten, sind seitdem noch einmal deutlich angestiegen und haben sich etwa verdreifacht«, informiert Sebastian Presse, Marketingleiter des Trampolinherstellers Hudora aus Remscheid.
Ohne Frage trainiert das Springen hoch in die Luft die Muskulatur und schult Koordination, Gleichgewichtssinn und Körpergefühl. Dennoch sehen vor allem Kinderchirurgen mit dem steigenden Absatz von Trampolinen auch mehr Verletzungen. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) warnt wie jedes Jahr zu Beginn der Freiluftsaison in einer Pressemitteilung: »Gerade mit dem Frühlingsbeginn sehen wir bei Kindern besonders viele Unfälle durch das Trampolinspringen. Das Körpergefühl und das motorische Gedächtnis müssen nach der Pause erst wieder aktiviert werden.« Die Gesellschaft erinnert Eltern daran, dass das Sprungtuch ein »Sport- und kein Spielgerät« ist.
Typischerweise sind bei Kindern die Ellenbogen sowie die Kopf-Nacken-Region verletzungsgefährdet. Neben Zerrungen und Prellungen können komplizierte Brüche auftreten, im Extremfall mit bleibenden Nervenschäden. Die Folgen eines zu übermütigen Auftakts kennt Professor Dr. Peter Schmittenbecher, Leiter der Sektion Kindertraumatologie bei der DGOU, nur zu gut: »Wir sehen häufig Prellungen und Verstauchungen am Hand- und Kniegelenk, ebenso Brüche an Armen und Beinen. Auch Schleudertraumen, Gehirnerschütterungen und Verletzungen der Wirbelsäule infolge missglückter Saltoversuche treten immer wieder auf.« Kinder werden teils meterhoch in die Luft geschleudert und erreichen hohe Sprunggeschwindigkeiten. Die Kräfte, die beim Aufprall wirken, werden häufig unterschätzt.
Besonders kritisch wird die Situation, wenn mehrere Kinder gleichzeitig auf dem Trampolin springen. Das Unfallrisiko steigt, so besagt es die Statistik, um das 14-Fache, wenn man gemeinsam springt. »Wenn Kinder unterschiedlichen Alters gleichzeitig springen oder gar Eltern mit von der Partie sind, führt das leicht zum Katapulteffekt. Durch das unterschiedliche Gewicht kommt es zu einer Dynamik, die das leichtere Kind mitunter unkontrolliert durch die Luft fliegen lässt«, teilt die DGOU mit. Babys und Kleinkinder gehörten prinzipiell nicht aufs Sprungtuch. Sie verfügen noch nicht über die nötige Körperkontrolle.
Wer sich an die Spielregeln hält, minimiert die Risiken zum Saisonstart im eigenen Garten. Die Experten von der DGOU geben folgende Tipps:
Im Grunde ist Trampolinspringen ein prima Ganzkörper-Workout. So sieht das auch Professor Dr. Ingo Froböse, Leiter des Instituts für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation an der Sporthochschule in Köln. »Es beansprucht praktisch alle 654 Muskeln des Körpers, und zwar die großen an den Oberschenkeln und am Po, aber auch die kleinen, die tief im Rumpf sitzen. Diese kleinen Muskeln werden im normalen Alltag so gut wie nie trainiert. Dabei sind diese so wichtig, um Körperspannung und Stabilität vom Rumpf her aufzubauen. Zudem schult die Bewegung auf dem instabilen Untergrund die Koordination, den Gleichgewichtssinn und das Körpergefühl. Bei einer gewissen Regelmäßigkeit trainiert das Springen auch die Ausdauer.« Zudem wird das Gerät seit Jahrzehnten in der Prävention und Therapie bei Gelenkserkrankungen, Osteoporose oder Rücken- und Bandscheibenproblemen eingesetzt.
Die Entwicklung geht freilich in eine andere Richtung. Inzwischen bietet jedes Fitnessstudio »Flying Fitness«-Gruppenkurse auf Ein-Personen-Trampolinen mit Haltestange an. Und in zahlreichen Orten in Deutschland haben große Trampolinhallen eröffnet, die sich »Superfly«, »Jump House« oder »Air Hop« nennen. Mehr als 70 »Gummizellen zum Austoben« sollen es hierzulande mittlerweile sein. Sie stehen meist in grauen Gewerbegebieten am Rande der Stadt. Dieser Trend nahm 2004 in Las Vegas seinen Anfang, als der Amerikaner Rick Platt den ersten Trampolinpark der Welt eröffnete.
Ursprünglich kommt das Trampolin aus der Artistik und der Zirkuswelt. Dort erfüllt es den ewigen Menschheitstraum vom Fliegen, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Angeblich gab es im Mittelalter einen französischen Luftakrobaten namens Du Trampolin, der auf Sprungbrettern Zirkuskunststücke vorführte und ein Netz aus Tierhäuten zu einem Sprungtuch umgebaut haben soll.
Eine Zirkusnummer war es schließlich, die den amerikanischen Turner und Tüftler George Nissen in den 1930er-Jahren dazu inspirierte, den Prototypen des modernen Trampolins zu bauen. Fasziniert sah er den Trapezartisten zu, wie sie sich ins federnde Sicherheitsnetz fallen ließen. Er wollte ihnen ermöglichen, noch höher zu springen, nachdem sie ins Netz gefallen waren. 1937 fertiggestellt, entwickelte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg aus seiner ursprünglichen Segeltuch-Konstruktion nach und nach ein Massenmarkt. Nissen war keine Attraktion zu verrückt, um seine Idee an den Mann zu bringen: Er sprang im Central Park mit einem Känguru um die Wette oder hüpfte auf einer Pyramide in Ägypten. Er setzte sich zeitlebens dafür ein, dass sein Sport anerkannt wurde. 1964 fand die erste Trampolin-Weltmeisterschaft in London statt und im Jahr 2000 wurde Trampolinspringen olympisch.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.