Titel
Nichts wird so sehr aus dem Bewußtsein des Menschen verdrängt wie der
Tod. Auch die Medizin sieht den Tod eher als Mißgeschick, Sterben als
vermeidbares Ereignis an, so daß Schock, Hilflosigkeit, Unsicherheit, Angst
und Sprachlosigkeit den Umgang mit sterbenden Menschen und deren
Angehörigen prägen. Weltweit hat sich als Gegenbewegung die Hospizarbeit
etabliert, die sterbenden Menschen ein würdevolles Leben bis zuletzt
ermöglicht und hilft, Sterben als Teil des Lebens anzunehmen.
Das seit Jahrzehnten zum Beispiel in England, Kanada, den USA und Skandinavien
erfolgreich praktizierte Konzept der Sterbebetreuung ist in Deutschland noch
weitgehend unbekannt: Nur 15 Prozent der Befragten einer Emnid-Studie im August
1997 wußten den Begriff Hospiz unter Sterbebegleitung und Einrichtung für Sterbende
einzuordnen.
Schmerztherapie und Palliativmedizin
Als das Mutterland der modernen Hospizbewegung gilt Großbritannien, wo die
englische Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin Cicely Saunders 1967 in
einem Londoner Vorort das St. Christopher's Hospice gründete. Cicely Saunders war
es, die auf die große Bedeutung der Schmerztherapie und Palliativmedizin in der
Sterbebegleitung verwies. Die Behandlung von Schmerzen in der letzten Phase des
Lebens - so lautete ihr Credo - muß an erster Stelle stehen. Erst dann könne man in
Gesprächen sowie durch häusliche Pflege, wo immer diese möglich ist, sterbenden
Menschen "Raum geben, sie selbst zu sein und auf ihre eigene Reise zu gehen".
Durch den Film "Noch 16 Tage" des Jesuiten Reinhold Iblacker ist die Hospizidee in
Deutschland erstmals 1971 im Fernsehen vorgestellt worden. Gab es im Dezember
1993 in der Bundesrebublik 32 stationäre Hospize und Palliativstationen mit insgesamt
über 297 Betten, die die von Cicely Saunders geforderte Schmerztherapie und
Palliativmedizin ermöglichten, so waren es im Frühjahr 1997 bereits 71 Einrichtungen
mit 624 Betten und 12 Tagesplätzen. Zum Vergleich: Das englisch-nordirische "Hospice
Directory" führte im Januar dieses Jahres 223 Einrichtungen mit insgesamt 3.252 Betten
auf. Diese Zahlen und umfangreiche Wartelisten stehen für die von Experten
"unzureichend" genannte Versorgungssituation in der Bundesrepublik. Das große Defizit
kann auch durch die große Zahl ambulanter Einrichtungen nicht aufgehoben werden,
obwohl immerhin 329 ambulante Hospiz-Dienste zur Zeit circa 13.700 Patienten pro
Jahr betreuen.
Christophorus Hospiz Verein in München
Der Christophorus Hospiz Verein in München wurde 1985 gegründet und kann sich
heute auf die ehrenamtliche Tätigkeit von circa 120 Hospizhelferinnen und -helfer
stützen. Drei hauptamtliche Angestellte sind mit Hilfe der Ehrenamtlichen für die
Verwaltung, Mitgliederbetreuung, Büro- und EDV-Organisation sowie für das
Spendenwesen zuständig. Der Verein verfügt über eine stationäre Einheit mit zehn
Betten, doch begleiten die ehrenamtlichen Hospizhelferinnen und -helfer, vier ambulante
Hospizschwestern sowie zwei Sozialpädagogen schwerkranke Menschen vorrangig zu
Hause, in Krankenhäusern oder auf Pflegestationen.
Zu den Aufgaben der ambulanten Hospizschwester zählt - in Absprache mit dem
behandelnden Arzt - die Beratung bei Fragen zur Schmerztherapie sowie zur
umfassenden medizinisch-pflegerischen Versorgung, zur Symptomkontrolle, zur
Organisation häuslicher Pflege sowie zur psychosozialen Begleitung. Die
Hospizhelferinnen wachen bei Kranken, entlasten die Angehörigen, lesen vor, hören zu,
kaufen ein, stellen Kontakte her, bringen ihre Phantasie und Erfahrung ein, um
praktische Hilfe zu geben. Darauf werden sie nach dem Besuch eines Grundkurses in
einem mehrmonatigen Seminar vorbereitet. Voraussetzung für die ehrenamtliche
Tätigkeit ist es, sich auf die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben einlassen zu
können. Das Engagement darf nicht der Kompensation eigener aktueller
Verlusterfahrungen dienen.
Ganzheitlicher Ansatz
Dank der modernen Medizin konnte die allgemeine Lebenserwartung in den letzten
Jahren enorm gesteigert werden. Dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - fürchten
sich die Menschen mehr denn je vor dem Tod, werden offene Gespräche über das
Altern und Sterben in unserer Gesellschaft gemieden. Ärzte werden heute für den
Umgang mit Sterbenden kaum ausgebildet. Oftmals fühlen sie sich hilflos und empfinden
den Tod eines Patienten mehr oder weniger bewußt als persönliches Versagen. "Noch
immer wird in unserer den Tod negierenden Medizin die Lebensqualität routinemäßig
der Hoffnung auf mehr Lebensquantität geopfert", so hat es Professor George J. Annas
von der Boston University School of Medicine and Public Health 1996 formuliert. Die
fehlende Integration des Todes in unser Leben wird seiner Meinung nach bereits in
unserem Denken und unserer Sprache deutlich. In der gesamten Medizin, besonders
aber im Umgang mit den Killerkrankheiten Aids und Krebs, haben millitärische
Metaphern große Bedeutung gewonnen. Die Medizin ist ein Kampf gegen den Tod
geworden: Sie hat Aids und Krebs den Krieg erklärt. Der Mensch bleibt dabei auf der
Strecke."
Durch verstärkte Technisierung der Therapie, so Annas, wird heute versucht, dem Tod
selbst am Lebensende noch ein paar Tage abzuringen. Ob dem Schwerkranken auf
diese Weise geholfen wird, müsse bezweifelt werden. Annas spricht von einer Neigung
zur Übertherapierung, bei der der Körper des Patienten zum Schlachtfeld wird, auf dem
kurzfristige und einseitige taktische Ziele angestrebt werden. Um die Lebensqualität und
die Qualität der Betreuung zu einem zentralen Punkt in der Medizin zu machen., müsse
eine grundlegende Änderung im Denken der Menschen eingeleitet werden. Diesen
könne es helfen, sich an der Sprache der Ökologen zu orientieren, in der die
Lebensqualität des einzelnen betont, gleichzeitig aber auch ein ganzheitliches Bild des
Planeten und seiner Bewohner gezeichnet wird. Die von Ökologen benutzen Begriffe
wie Integrität, Balance, Erneuerung und Verantwortung könnten dazu beitragen,
therapeutische Grenzen in der Medizin zu akzeptieren und die Lebensqualität höher zu
bewerten als die Dauer des Lebens.
Hospizführer und Hospiztelefon
Dieser ganzheitliche Ansatz ist es, der in der Hospizarbeit gepflegt wird. Es wird als
Verdienst der Hospizbewegung angesehen, daß sie dort, wo sie bereits Einfluß
gewonnen hat, die Isolation sterbender Menschen durchbrechen konnte. Auf der Suche
nach einem geeigneten Schmerztherapeuten beziehungsweise nach einem Hospizdienst
in der eigenen Region können Ärzte, Betroffene und Angehörige unter der Nummer
0231/ 7380-730 (Hospiztelefon der Deutsche Hospizstiftung) Hilfe finden. Eine
Übersicht über ambulante und stationäre Einrichtungen zur Palliativtherapie gibt auch
der Hospizführer 1997, der von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, der
Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz und der Deutschen Gesellschaft zum Studium des
Schmerzes herausgegeben wird und kostenlos über die Mundipharma GmbH,
Mundipharma Straße 6, 65549 Limburg (Telefon: 0130/ 855-111) angefordert werden
kann.
Der Hospizführer beleuchtet den Stand der palliativmedizinischen Versorgung in
Deutschland. Die Zahl der spezialisierten Einrichtungen hat in den letzten Jahren zwar
zugenommen, der Bedarf ist jedoch bei weitem nicht gedeckt, weder im ambulanten
noch im stationären Bereich. 1997 gab es 7,6 Betten in Palliativstationen und Hospizen
pro 1 Million Einwohner. Man geht von einem Bedarf von 50 Betten pro 1 Million
Einwohner aus. Zwar werden Palliativstationen über Krankenhaustagessätze
abgerechnet, Hospize zu einem geringen Teil über die Pflegeversicherung und durch
Eigenbeteiligung der Patienten finanziert. Doch bleibt es nach wie vor grundsätzlich der
Findigkeit der Hospize überlassen, ob sie finanzelle Unterstützung für die Betreuung
Sterbender finden oder nicht.
PZ-Titelbeitrag von Christiane Berg, Hamburg


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