Titel
Die Nikotinsubstitution in Verbindung mit einer verhaltenstherapeutischen
Selbstkontrollbehandlung gilt aufgrund des wissenschaftlichen Wirknachweises
als aussichtsreichste Hilfe bei der Raucherentwöhnung. Als zugelassene
Applikationsformen stehen in Deutschland derzeit Nikotinpflaster, -kaugummi
oder Nasenspray zur Verfügung. Die Wahrscheinlichkeit für eine langfristige
Abstinenz nach Teilnahme an einer Raucherentwöhnungsbehandlung beträgt in
Abhängigkeit von prädiktiven Faktoren wie der Stärke der Abhängigkeit oder
der Motivationslage des Rauchers bis zu 35 Prozent.
Jährlich werden in Deutschland mehr als 135 Milliarden Zigaretten konsumiert. Die
Gesamtzahl der jährlichen Todesfälle, die auf Tabakkonsum zurückzuführen sind, wird
für Deutschland auf 90.000 bis 140.000 geschätzt. Allein 1994 starben nahezu 80.000
Menschen in Deutschland an Karzinomen, Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen.
Etwa 33,4 Prozent aller Männer und 20,4 Prozent aller Frauen in Deutschland rauchen
- in den jüngeren Altersgruppen sogar mehr als 47 Prozent der Männer und 35 Prozent
der Frauen. Obwohl mehr als 50 Prozent der starken Raucher als sogenannte
dissonante Raucher den Tabakkonsum gerne aufgeben oder deutlich einschränken
würden, gelingt es nur wenigen, beim ersten Versuch auf eigene Initiative hin abstinent
zu werden. Die Unfähigkeit zur Abstinenz gründet sowohl auf psychischen und sozialen
Faktoren als auch auf der körperlichen Abhängigkeit von Nikotin.
Wirksame Entwöhnungshilfen müssen sowohl die lernpsychologischen Bedingungen des
Rauchens als auch die körperlichen Entzugssymptome beherrschen. Das Angebot an
Raucherentwöhnungsbehandlungen ist vielseitig und schließt medikamentöse,
verhaltenstherapeutische, aber auch eine ganze Reihe von Therapieformen ein, die sich
nicht wissenschaftlicher Prinzipien, sondern vielmehr suggestiver Einflüsse des
Therapeuten und der oft hohen Motivation des entwöhnungswilligen und manchmal
verzweifelten Rauchers bedienen.
Während Akupunktur oder suggestive Verfahren wie die Hypnose die Überwindung
der Entzugserscheinungen erleichtern, geben sie den Rauchern zu wenig Möglichkeiten
zur Rückfallprophylaxe und Bewältigung von Versuchungssituationen an die Hand.
Die verhaltenstherapeutischen Raucherentwöhnungsverfahren indes zielen durch die
initiale Motivationsförderung, die Aufklärung über die Mechanismen der
Suchtentwicklung, die Stimuluskontrolle, den Aufbau von Alternativverhalten, die
operante Verstärkung des Nichtrauchens und die Rückfallprophylaxe auf eine
anhaltende Verhaltensänderung. Eine Alternative zu verhaltenstherapeutischen
Gruppenprogrammen bieten Selbsthilfemanuale, mit denen eine große Zahl von
entwöhnungswilligen Rauchern erreicht werden kann.
Medikamentöse Verfahren zur Raucherentwöhnung bedienen sich unterschiedlicher
therapeutischer Prinzipien. Nicht alle sind in der Routinebehandlung eingesetzt worden,
oft gründen sich die Erfahrungen auf wissenschaftliche Studien. Der Einsatz von
Silberacetat zielt auf eine aversive Geschmacksvergällung. Die sensorische Stimulation,
zum Beispiel durch Capsaicin, kann das Rauchverlangen unterdrücken. Agonisten wie
Cytisin ersetzen die Stimulation durch Nikotin. Trotz ihrer entzugsmildernden Wirkung
ist der Einsatz von Medikamenten wie Betablockern, Clonidin, Buspiron, Moclobemid
oder Nortriptylin angesichts der oft vielfältigen Nebenwirkungen, die vom Raucher nur
bedingt toleriert werden, sorgfältig abzuwägen. Vielversprechend sind aktuelle Berichte
über den Einsatz des Antidepressivums Bupropion, das in Deutschland allerdings keine
Zulassung erhalten hat.
Die passagere Nikotinsubstitution hat sich unter allen pharmakologischen
Behandlungsformen als die wirkungsvollste Form der medikamentösen Unterstützung
der Raucherentwöhnung erwiesen. Der Nikotinersatz zielt auf eine überbrückende,
vorübergehende Gabe von Nikotin via Hautpflaster, Kaugummi, Inhaler oder
Nasenspray zur Reduktion abstinenzgefährdender Entzugssymptome. Der
Effektivitätsnachweis für die Nikotinsubstitution wurde in zahlreichen wissenschaftlichen
Studien geführt - alle Darreichungsformen (Transdermales Pflastersystem, Kaugummi,
Nasenspray und Inhaler) sind Placebo weit überlegen. Die größten Erfolge erreichen
Nikotinnasenspray und Nikotinpflaster. Nikotinkaugummi oder Nasenspray, die im
Vergleich zum Pflaster eine raschere Aufsättigung ermöglichen, kommen dem bisherigen
Suchtverhalten sehr nahe, so daß aus lernpsychologischer Sicht der Einsatz des
Nikotinpflasters, das die Substitution des Suchtstoffes von dem bisherigen
Zufuhrverhalten entkoppelt, zu bevorzugen ist.
Der Nikotinkaugummi ist in zwei Stärken (2 und 4 mg Nikotin pro Kaugummi)
verfügbar. Kaugummi gestattet eine flexible Anwendung, jeder Raucher kann durch die
Intensität des Kauens die Nikotindosierung selbst bestimmen. Das Nikotinpflaster ist
bezüglich der Selbstdosierung und Selbstkontrolle weniger flexibel als ein
Nikotinkaugummi. Es wird in zwei Varianten angeboten: das 24-Stunden-Pflaster wird
täglich gewechselt, das 16-Stunden-Pflaster soll vor der Nachtruhe abgenommen
werden.
Das Nikotin-Nasenspray erlaubt die schnellstwirkende Nikotinsubstitution. Es kann
durch seine flexible Dosierbarkeit leicht den individuellen oder situativen Bedürfnissen
angepaßt werden. In Studien konnte die Effektivität bei der Behandlung von stark
abhängigen Rauchern nachgewiesen werden.
Der Erfolg der Raucherentwöhnungsbehandlungen ist bei der Kombination einer
verhaltenstherapeutischen Selbstkontrollbehandlung und einer Nikotinsubstitution am
größten. Effektivitätsstudien berichten langfristige Abstinenzquoten, die bei
Kombinationsbehandlung etwa 35 Prozent betragen. Durch modifizierte Programme,
die auf die Bedürfnisse der entwöhnungswilligen Raucher abgestimmt sind
(Coronarpatienten, Schwangere), erzielen in bis zu 50 Prozent eine langfristige
Abstinenz.
PZ-Titelbeitrag von Dr. Anil Batra, Tübingen


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