Titel
Folsäure, ein Vitamin der B-Gruppe, kommt in außerordentlich kleinen
Konzentrationen in praktisch jeder lebenden Zelle vor. Ohne dieses Vitamin
wären Zellwachstums- und Zelldifferenzierungsprozesse nicht möglich. Zwei
Anwendungsgebiete der Folsäure sind in den letzten Jahren intensiv erforscht
worden: Die Folsäuresupplementation um den Zeitpunkt der Konzeption herum
zur Prävention der Fehlbildung Neuralrohrdefekt und die Senkung des
Homocysteinblutspiegels durch Folsäure zur Vorbeugung einer
Arteriosklerose.
Chemisch setzt sich Folsäure (Pteroylglutaminsäure) aus einem Pteridinring,
p-Amino-Benzoesäure und einem oder mehreren Glutanmisäureresten zusammen. Die
natürlich vorkommenden Folsäuren mit bis zu sieben Glutaminsäureresten werden auch
als Folate bezeichnet. Die Folsäure zählt zu den wasserlöslichen Vitaminen.
Der Mensch kann Folsäure nicht synthetisieren und ist deshalb auf die Zufuhr mit der
Nahrung angewiesen. Dieses Vitamin ist vor allem in Leber, Niere, Hefe, Keim- und
Kleieanteil des Getreides, Nüssen und vielen Gemüsesorten enthalten, während Fleisch,
Fisch und die meisten Obstsorten relativ folsäurearm sind. Die Wasserlöslichkeit, Licht-
und Hitzeempfindlichkeit der Substanz bedingen erhebliche Zubereitungsverluste. Die in
der Nahrung vorkommenden Polyglutamate der Folsäure sind nur zum Teil
bioverfügbar. Darum wird der Folsäuregehalt in Folatäquivalenten angegeben und damit
die effektiv für den Organismus verfügbare Menge beschrieben.
Folsäure wird im Dünndarm durch aktiven Transport und passive Diffusion
aufgenommen und auf alle Gewebe verteilt. Als Hauptspeicherorgan reguliert die Leber
die Versorgung anderer Organe. Die Ausscheidung erfolgt mit Harn, Faeces und Galle.
Folsäure ist an der DNA-Synthese (Pyrimidine, Purine), am Aminosäurestoffwechsel
(verschiedenste Umwandlungen) und am Nervenstoffwechsel (Neurotransmitter-,
Myelin- und Phospholipidsynthese) beteiligt. Sie ist damit für Zellteilung sowie
Differenzierungs- und Wachstumsprozesse im Organismus essentiell.
Ein Folsäuremangel kann durch ungenügende Zufuhr des Vitamins infolge von Fehl-
oder Unterernährung oder Resorptionsstörungen auftreten. Ebenso kann ein erhöhter
Bedarf, zum Beispiel bei Wachstumsprozessen, Hämodialyse oder in Schwangerschaft
und Stillzeit, die Ursache sein. Auch Pharmaka wie Antiepileptika und
Folsäureantagonisten beeinträchtigen die Folsäureversorgung. Ein Folsäuremangel
durchläuft verschiedene Stadien bis hin zur megaloblastischen Anämie. Weitere
Symptome sind Schleimhautveränderungen im Bereich der Mundhöhle, gastrointestinale
Störungen (Durchfälle), Wachstumsstörungen, Herabsetzung der Antikörperbildung,
Störung der Fortpflanzung, Auftreten von Mißbildungen sowie in seltenen Fällen ein
hirnorganisches Psychosyndrom, Störungen der Pyramidenbahn und Neuropathien.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Jugendlichen ab 13 Jahren
und Erwachsenen eine tägliche Zufuhr von 150 µg Folsäure. Verschiedene
Verzehrsstudien haben gezeigt, daß etwa drei Viertel der Bevölkerung nicht die von der
DGE empfohlenen Mengen zu sich nehmen, die Versorgung mit diesem Vitamin also
kritisch ist.
Folsäure wird zur Therapie und Prävention von Folsäure-Mangelzuständen
verschiedener Ursachen eingesetzt. Oral eingenommene Folsäure wird rasch und
nahezu vollständig resorbiert. Die therapeutische Breite ist groß und Nebenwirkungen
sind nur in Einzelfällen (Allergien) oder bei Anwendung hoher Dosen zu erwarten. Vor
der Behandlung einer megaloblastischen Anämie mit Folsäure ist ein
Vitamin-B12-Mängel, der die gleiche Blutbildveränderung hervorruft, auszuschließen.
Weil der Organismus für Zellwachstumsprozesse Folsäure benötigt, ist der Bedarf in
der Schwangerschaft stark erhöht. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt
die Folsäurezufuhr auf das Doppelte, also 300 µg zu erhöhen. In der Stillzeit sollte die
Mutter 225 µg täglich zu sich nehmen.
Besonders wichtig ist, daß Frauen zusätzlich Folsäure perikonzeptionell einnehmen, das
heißt etwa vier Wochen vor und nach der Konzeption. Zahlreiche Studien haben
gezeigt, daß dadurch das Risiko für eine Fehlbildung des Neuralrohrs erheblich gesenkt
werden kann. Eine gemeinsame Empfehlung der Gesellschaften für Ernährung,
Gynäkologie und Geburtshilfe, Humangenetik, Kinderheilkunde und Neuropädiatrie rät
zur Vermeidung des Neuralrohrdefekts zusätzlich zur Aufnahme mit der Nahrung
perikonzeptionell 0,4mg Folsäure pro Tag in Tablettenform einzunehmen. Frauen mit
einer vorausgegangenen Schwangerschaft mit Neuralrohrfehlbildung sollen täglich 4mg
Folsäure einnehmen beziehungsweise die derzeit verfügbaren Präparate mit 5mg pro
Dosis. Viele Studien belegten, daß Homocystein, ein Stoffwechselprodukt, ein
Risikofaktor für Arteriosklerose ist und Folsäure den Homocysteinblutspiegel senken
kann. Die Vitamine B6 und B12 wirken sich ebenfalls günstig auf den
Homocysteinspiegel aus.
Da die Versorgung mit dem wichtigen Vitamin Folsäure über die Nahrung nicht
ausreichend zu sein scheint, wäre eine Anreicherung von Nahrungsmitteln in Erwägung
zu ziehen oder, falls das keine Akzeptanz findet, sollten zumindest angereicherte und
entsprechend deklarierte Produkte dem Verbraucher auf dem Markt angeboten
werden.
PZ-Titelbeitrag von Veronika Egen, München


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