Lebensretter Früherkennung |
24.06.2002 00:00 Uhr |
Krebs haben nur die Anderen. Diese Einstellung, geboren aus Angst und Verdrängung, führt dazu, dass nur jede zweite Frau über 20 und nur jeder fünfte Mann über 45 Jahren regelmäßig zur Vorsorge-Untersuchung geht. Dabei könnten rund 90 Prozent der Brust-, Darm- und Hautkrebserkrankungen geheilt werden, wenn man sie nur rechtzeitig entdecken würde. Früherkennung - lieber heute als morgen.
Noch druckfrisch ist die Broschüre, die gerade das Robert Koch-Institut in Berlin in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsbezogener Krebsregister herausgegeben hat. Sie enthält Zahlen, die erschrecken: Im Jahr 1998 erkrankten in Deutschland rund 347.000 Menschen an Krebs, etwa 212.000 erlagen ihrem Leiden. Erstmalig führt das Prostatakarzinom die Liste der Krebsneuerkrankungen bei Männern an. Lungenkrebs ist an die zweite Stelle gerückt, die Zahl der Erkrankungen ist seit Mitte der achtziger Jahre rückläufig. Bei Frauen ist es nach wie vor das Mammakarzinom, das am häufigsten zuschlägt. Lungenkrebs steht zwar bei den Frauen erst auf dem sechsten Platz, doch die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen steigt kontinuierlich. Das liegt vermutlich daran, dass immer mehr Frauen zur Zigarette greifen. Es scheint sich also noch nicht überall herumgesprochen zu haben, dass Rauchen einer der unangefochtenen Risikofaktoren für das Krebsgeschehen ist. Über 90 Prozent aller Bronchialkarzinome und 25 bis 30 Prozent aller Krebstodesfälle gehen zu seinen Lasten.
Nach Ansicht namhafter Experten, so heißt es in einem Präventionsratgeber der Deutschen Krebshilfe, ließe sich in bis zu 80 Prozent der Fälle die Erkrankung vermeiden beziehungsweise frühzeitig diagnostizieren und damit heilen - wenn auf Risikoverhalten verzichtet und Früherkennungsuntersuchungen regelmäßig wahrgenommen würden.
Unter der Primärprävention versteht man die Vermeidung und echte Vorsorge von Krebserkrankungen. Die Sekundärprävention umfasst alle Maßnahmen zur Entdeckung früher Krankheitsstadien. Salopp spricht man auch von "Krebsvorsorge", obwohl die Früherkennung nicht vor Krebs bewahren kann.
Damit das Robert Koch-Institut die Zahlen für die Krebserkrankungs- und Sterbefälle irgendwann nach unten korrigieren kann, muss sich Grundsätzliches ändern. An das Gute zu glauben und Wunder für möglich zu halten, wird nicht erfolgreich sein. Prävention ist Teil einer Lebensphilosophie. Wer begreift, dass der Körper unser Lebenskapital ist, der wird Brustkontrolle, Prostatatest und Co. genauso selbstverständlich in seinen Gesundheits-Plan mit einbauen wie das tägliche Zähneputzen. Die Tücke liegt bekanntlich in der Lücke. Katastrophal, aber wahr: Nur etwa 12 Prozent aller Krebserkrankungen werden überhaupt im Frühstadium entdeckt. Nur regelmäßige Check-ups bringen Sicherheit. Schließlich wird das eigene Auto auch in bestimmten Abständen zum TÜV gebracht. Das Apothekenteam kann helfen, den einen oder anderen Kunden zur Früherkennungsuntersuchung zu motivieren.
Gesundheit mit Biss
Ernährung und Lebensstil haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Krebsentstehung. In Deutschland geht man davon aus, dass 20 bis 40 Prozent der Tumoren auf das Konto einer falschen Ernährung gehen. Zwar sind sich Forscher einig, dass Nahrungsmittel sowohl Krebs fördernde als auch protektive Substanzen enthalten. Doch welche Bestandteile als günstig und welche als eher schädlich einzustufen sind, ist nur schwer zu durchschauen. Unterm Strich steht bislang, dass eine fett- und fleischreiche Ernährung die Entstehung von bösartigen Geschwulsten begünstigt, viel Obst und Gemüse hingegen davor schützt. Wer mehr Zeit in Bewegung steckt und weniger Lust in Kalorien, hat vorbeugend viel getan. Zahlreiche Studien belegen, dass Übergewicht ein eigenständiger Risikofaktor für Tumoren an weiblichen Geschlechtsorganen, Brustdrüse, Gallenblase und Dickdarm ist. Ein Zuviel an tierischen Fetten ist mit Karzinomen des Dickdarms und der Vorsteherdrüse assoziiert.
Wer täglich mindestens fünf Portionen, also rund 500 bis 600 Gramm Obst und Gemüse als Teil einer gesunden Ernährung isst ("Five-a-day-Regel"), reduziert das Krebsrisiko. Zwei Beispiele: Das relative Risiko für Prostatakrebs kann halbiert werden, wenn täglich statt einer drei Gemüseportionen auf dem Teller liegen; und das Magenkrebsrisiko lässt sich bei einer Steigerung des täglichen Gemüseverzehrs von 100 auf 400 Gramm um 75 Prozent senken. Fischölen mit Omega-3-Fettsäuren wird darüber hinaus ein schützender Effekt gegenüber Darmkrebs zugeschrieben. Wichtig dabei ist, dass die Gesamtfettmenge gering ist und nur der Anteil an Fischölen erhöht wird.
Phytohormone im Visier
Viel Pflanzliches ist das Herzstück der mediterranen Kost. Doch können auch Pflanzen potenziell Krebs fördernde Stoffe enthalten. Dass es sich dabei nicht nur um bestimmte organische Chlorverbindungen handelt, beispielsweise DDT und seine Abkömmlinge als Rückstände von Pestiziden, hat eine Expertengruppe im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft dargelegt (5). Auch die Phytohormone gehören dazu. Das ist verwunderlich, hat man doch bislang angenommen, dass sie das Brustkrebsrisiko zu senken vermögen. Doch die Zusammenhänge sind längst nicht so klar.
Die geringe Brustkrebsrate bei Frauen in Japan oder China schreiben Forscher im Allgemeinen den Phytohormonen zu. So verzehren asiatische Frauen viele Speisen, die Sojabohnen enthalten. Diese sind besonders reich an Isoflavonen, die zu den Phytohormonen zählen. Einer der prominentesten und am besten untersuchten Vertreter ist das Genistein. Es dockt am selben Rezeptor an wie Estrogen. Wissenschaftler vermuten, dass Phytoestrogene krebshemmend wirken, indem sie Hormonrezeptoren blockieren, also einen antiestrogenen Effekt ausüben.
Das könnte auch die Tatsache erklären, dass asiatische Frauen im Vergleich zu Frauen westlicher Länder nicht nur ein um 25 Prozent niedrigeres Brustkrebsrisiko haben, sondern auch einen auf durchschnittlich 32 Tage verlängerten Menstruationszyklus. Ihr Blut enthält dreiundvierzigmal so viel Genistein wie das von Finninnen, zeigen epidemiologische Untersuchungen. Tierexperimentelle Beobachtungen bestätigen die krebsprotektive Wirkung von Genistein.
Genistein scheint jedoch eine Doppelrolle zu spielen. Denn paradoxerweise scheint es auch über Krebs fördernde Eigenschaften zu verfügen. Das geht aus Untersuchungen an menschlichen Brustkrebszellen hervor. Genistein regte hormonabhängige Krebszellen zum Wachstum an und förderte schon bei niedriger Konzentration das Tumorwachstum bei Tieren. Das wirft die Frage auf, ob die protektive Wirkung von Sojabohnen möglicherweise nicht Phytohormonen, sondern anderen pflanzlichen Bestandteilen, etwa Antioxidantien, zukommt. Ein Indiz für diese These: Sojabohnenprodukte können auch das Wachstum nicht hormonabhängiger Tumoren unterdrücken.
Fragezeichen anderer Art stehen hinter der Wirkung der vielen anderen pflanzlichen Komponenten, seien es Antioxidantien, Vitamine, Selen oder sekundäre Pflanzenstoffe wie das Lycopin der Tomate oder Sulphoraphan des Brokkolis. Zwar reduzieren Lebensmittel, die reich an Antioxidantien und sekundären Pflanzeninhaltsstoffen sind, das Risiko degenerativer Erkrankungen. Ob Supplemente Gleiches bewirken können, ist offen. Interventionsstudien hätten zumindest keinen Effekt gezeigt, informierte Professor Dr. Hans Konrad Biesalski von der Universität Hohenheim auf dem gerade zurückliegenden Pharmacon in Meran. Nur in kleinen Studien profitierten Risikogruppen wie Raucher. Die zusätzliche Einnahme von Vitamin-Megadosen lehnte er ab.
Krebsprävention mit Selen? Der Einsatz von Selen zur Krebsprävention ist umstritten. In-vitro-Untersuchungen zeigen zwar, dass Selen antioxidative Schutzsysteme unterstützt, die Immunkompetenz verbessert, DNA-Reparaturmechanismen stabilisiert und an der Induktion der Apoptose in Tumorzellen mitwirkt. Ob sich diese Effekte auch klinisch niederschlagen, ist nach wie vor widersprüchlich. Einige Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass die zusätzliche Gabe von Selen-Präparaten die Häufigkeit von Krebserkrankungen nicht mindert. Andere Studien zeigen, dass eine erhöhte Selen-Zufuhr das Krebsrisiko drücken kann.
Um Licht ins Dunkel zu bringen, unterstützt die Deutsche Krebshilfe eine Würzburger Arbeitsgruppe mit rund 260.000 Euro. Die Wissenschaftler haben dabei ein ganz bestimmtes Protein, das Selenoprotein, im Visier. Dieses spielt vermutlich eine Schlüsselrolle, wenn es um die Ausschaltung reaktiver Sauerstoffspezies geht. Es könnte als Bindeglied zwischen Selen in der Nahrung und Selen-haltigen Enzymen fungieren. Zudem wird es als Transporteiweiß und als Reservoir für Selen gehandelt.
Um zu klären, ob dieses Protein bei der Synthese der Selen-haltigen Schutzenzyme und damit bei der Verhinderung von Krebs eine Schlüsselrolle spielt, schalten die Wissenschaftler das Gen für die Bildung dieses Proteins im Experiment gezielt aus. Sie wollen beobachten, ob die veränderten Zellen vor dem Angriff reaktiver Sauerstoffverbindungen schlechter geschützt sind und ob dies mit einer erhöhten Neigung zur Tumorbildung in den unterschiedlichen Organen einhergeht.
Brustkrebs: Testen durch Tasten reicht nicht
Dieser Krebs ist eine Massenkrankheit; in Deutschland erkranken jährlich rund 46.000 Frauen an Brustkrebs, 17.000 sterben. Die Zahl der Mammakarzinom-bedingten Todesfälle bei Frauen zwischen 50 und 70 Jahren ließe sich durch die Einführung einer qualitätsgesicherten Mammographie-Untersuchung um bis zu einem Drittel senken. Mit dieser Röntgenuntersuchung lassen sich in mehr als 90 Prozent der Fälle Vorstadien von Brustkrebs oder die Erkrankung im Frühstadium erkennen. "Ergebnisse von wissenschaftlichen Untersuchungen sprechen dafür, dass durch eine bessere Brustkrebsfrüherkennung mehr Frauen mit dieser Erkrankung geheilt werden können", erklärte Professor Dr. Rolf Kreienberg, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, anlässlich des Deutschen Krebskongresses im März in Berlin.
Indes sieht der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen für Frauen ab 30 Jahren nur ein Abtasten der Brüste und der Achselhöhlen vor. Ein unhaltbarer Zustand, findet die Deutsche Krebsgesellschaft. Könnten doch zwischen 3500 und 4000 Todesfälle vermieden werden, wenn in Deutschland der Brustkrebs so angegangen würde wie in den USA oder Holland - mit einem flächendeckenden Früherkennungsprogramm inklusive Mammographie. Während in den USA die Sterblichkeit der Brustkrebspatientinnen in den vergangenen Jahren kontinuierlich sank, blieb sie in Deutschland konstant hoch. Bei 25 Prozent der Frauen entdecken US-Ärzte eine gut behandelbare Vorstufe, während ihre deutschen Kollegen gerade mal bei fünf Prozent der Frauen dieses kleine In-situ-Karzinom feststellen.
Auch eine Untersuchung aus Dänemark, die kürzlich für Aufsehen gesorgt hatte, weil sie die Effektivität des Röntgen-Screenings in Zweifel zog, bringt die hiesige Krebsgesellschaft nicht von der Notwendigkeit des Mammographie-Screenings ab. Dänische Wissenschaftler hatten mehrere Studien gemeinsam ausgewertet und den positiven Effekt des Screenings einer zum Teil radikaleren Therapie der mittels Mammographie entdeckten Tumoren zugeschrieben. Deutsche Brustkrebsexperten kommen zu einer anderen Aussage: Zwar lieferten die hier bewerteten Studien keine eindeutigen Beweise für die Senkung der Sterblichkeit durch Mammographie, doch sei die günstigere Prognose bei Frühstadien wissenschaftlich belegt.
Im Herbst letzten Jahres haben denn alle fünf Fraktionen des Bundestages die Einführung eines nationalen Mammographie-Programms bei Frauen zwischen 50 und 70 Jahren beschlossen. In diesem Jahr begannen in Wiesbaden, Bremen und Weser-Ems drei Modellprojekte. Sie orientieren sich am holländischen Vorbild und sollen erproben, unter welchen Bedingungen ein bundesweites Screening eingeführt werden kann. Dieses soll nach den optimistischen Prognosen von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt bereits 2003 starten.
Cervixkarzinom: Papillomaviren gesucht
Das zytologische Screening von Zellen des Gebärmutterhalses, der Papanicolaou- oder Pap-Test, gilt als der erfolgreichste Früherkennungstest. Wo dieser Test konsequent genutzt wird, ist die Sterblichkeit um bis zu 70 Prozent zurückgegangen. So auch in Deutschland. War vor wenigen Jahren das Cervixkarzinom noch die häufigste Krebserkrankung der weiblichen Genitalorgane, ist es heute von Karzinomen des Gebärmutterkörpers und der Eierstöcke abgelöst worden. Auch die Todesraten gehen kontinuierlich zurück. Das gesetzliche Früherkennungsprogramm mit dem Pap-Test hat daran einen nicht unbedeutenden Anteil. Leider verhelfen die Zellabstriche vom Gebärmutterhals selten zu einer Früherkennung des Krebses am Gebärmutterkörper.
Doch um die bisherige Cervixkrebs-Vorsorge hatte es vor kurzem erheblichen Wirbel gegeben. Bei geringgradiger Zellveränderung, also Krebsvorstufen, entgeht manchen Erhebungen zufolge mehr als die Hälfte der entarteten Zellen dem Betrachter. Die Schwachstellen der zytologischen Untersuchung sind in der Tat nur schwer auszuräumen: So hängt das Ergebnis etwa davon ab, wie der Arzt die Zellprobe entnimmt, wie er sie ausstreicht und fixiert oder wie geübt die Zytologie-Assistentin das Präparat unter dem Mikroskop begutachtet. Trotz aller Mängel: Es sind jene Frauen am wenigsten gefährdet, die sich regelmäßig untersuchen lassen. 60 Prozent aller Cervixkarzinome werden schließlich bei Frauen ausgemacht, die nie oder vor mehr als fünf Jahren eine Vorsorgeuntersuchung wahrgenommen hatten.
Mehr Sicherheit versprechen sich Experten von einer Kombination des Pap-Tests mit einem Test auf Human-Papilloma-Viren (HPV). Denn nahezu jedem Cervixkarzinom geht eine Infektion mit diesen Viren voraus. Das Dilemma: Mehr als 100 Papilloma-Virustypen kommen beim Menschen vor, aber nur die Typen 16 und 18 gelten als kanzerogen. Der allgemeine Nachweis einer HPV-Infektion könnte also falschen Alarm auslösen. Nahezu die Hälfte aller Frauen unter 30 Jahren wird von derartigen Viren befallen. Aber bei mehr als 90 Prozent der Infizierten merzt die Immunabwehr den Erreger aus. Und nur bei zwei Prozent der Frauen, die das Virus nicht aus eigener Kraft eliminieren können, entwickeln sich später Vorstufen bösartiger Zellen.
In Zukunft könnte es jedoch gelingen, den Kreis der tatsächlich gefährdeten Frauen besser einzugrenzen. Zwei Heidelberger Forscher haben zusammen mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum einen Test entwickelt, der mit dem letztjährigen Hufeland-Preis ausgezeichnet wurde. Dieser als "CIN-tect" bezeichnete Test zeigt an, ob die Zelle durch die Viren bereits entartet ist. Da nur die wirklich bedrohlichen Zellen mit Hilfe charakteristischer Antikörper angefärbt werden, können Unstimmigkeiten bei der Beurteilung minimiert werden. Zwar bilden sich auch die so identifizierten Krebsvorstufen in rund 70 Prozent der Fälle von selbst zurück. Doch die Wissenschaftler können in einer weiteren Untersuchung überprüfen, welche Zellen die Virus-DNA bereits in ihr eigenes Erbgut eingebaut haben. Das ist der maßgebliche Schritt zur Entartung.
Und auch zwei kürzlich veröffentlichte Studien (13, 14) bieten Diskussionsstoff, wie unter sexuell aktiven Frauen Risikogruppen definiert werden könnten, für die ein Routine-Screening auf HPV-Infektion sinnvoll wäre. Die Untersuchungen haben zu Tage gebracht, dass diejenigen HPV-infizierten Frauen ein erhöhtes Risiko für Gebärmutterhalskrebs hatten, die schon länger als fünf Jahre peroral verhüteten oder viele Kinder geboren hatten. Festzuhalten ist: Bislang gibt es kein HPV-Screening für alle sexuell aktiven Frauen.
Krebsprävention auf einen Blick
Übersichtstabelle zum Download (pdf-Format, 80 kB).
Darmkrebs: Ohrring als Symbol
Genauso lautlos wie seine Tumore wachsen, hat sich Darmkrebs in Deutschland mit 57.000 Erkrankungen pro Jahr auf Platz zwei der krebsbedingten Todesfälle vorgearbeitet. Dem setzen nun diverse Fachgesellschaften eine gewaltige Aufklärungskampagne entgegen. Den Anfang hat der Darmkrebsmonat März gemacht. Ein Perl-Ohrstecker ("Genauso groß ist der unentdeckte Tumor in ihrem Darm") stand im Mittelpunkt der Medienkampagne.
Das ehrgeizige Ziel der Organisationen ist es, die Sterberate an Darmkrebs in den nächsten fünf Jahren von 30.000 auf 15.000 zu halbieren. Die Heilungschancen sind gerade bei dieser Krebsart mit 90 Prozent bei rechtzeitiger Diagnose recht gut. Dass Werbung und Informationen die Menschen zur Früherkennungsuntersuchung treiben, zeigt das Beispiel USA. Konsequente Aufklärungskampagnen trugen dazu bei, dass die Darmkrebs-Sterberate von 60 auf 35 Prozent zurückging.
Die Chancen stehen deshalb recht gut, da Dickdarmkrebs sehr langsam wächst. Zehn bis 15 Jahre dauert es, bis sich aus Zellwucherungen in der Darmschleimhaut über zunächst gutartige Polypen dysplastische Polypen entwickeln. Schon die gutartigen Vertreter sondern meist okkultes Blut in den Darm ab. Diese ansonsten symptomlosen Frühstadien sind zu über 90 Prozent heilbar. In Deutschland wird aber die Hälfte aller Wucherungen erst im Stadium drei und vier entdeckt, also dann, wenn deutliche Symptome wie blutiger Stuhl, starke Gewichtsabnahme und Magen-Darm-Beschwerden darauf aufmerksam machen. Ist der Krebs schon so weit vorangeschritten, kann nur noch ein Drittel der Patienten gerettet werden.
Studien haben belegt, dass ein Screening auf okkultes Blut das Auftreten bösartiger Polypen signifikant um ein Drittel senkt. Ab 45 Jahren sollte jeder einmal jährlich seinen Stuhl beim Arzt testen lassen (Haemoccult®-Test). Die Untersuchung wird von den Krankenkassen bezahlt. Zum 1. Juli 2002 hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen ein neues Früherkennungsprogramm beschlossen - ein Programm, das die Deutsche Krebsgesellschaft schon seit Jahren fordert. Alle Versicherten sollen sich ab dem 56. Lebensjahr entscheiden können - entweder für eine Spiegelung des gesamten Dickdarms oder für die weitere jährliche Untersuchung des Stuhls auf okkultes Blut. Die Darmspiegelung wird nach zehn Jahren wiederholt.
In der Regel macht sich Darmkrebs nicht bei Menschen unter 45 Jahren breit. Bei etwa einem Drittel der Patienten besteht jedoch eine familiäre Veranlagung; dann sieht man sich oft schon in jüngeren Jahren mit der Diagnose konfrontiert. Die Fachgesellschaften raten deshalb: Sind nahe Verwandte an Darmkrebs vor dem 45. Lebensjahr erkrankt, sollte man selbst bei völliger Beschwerdefreiheit die Chancen der Früherkennung wahrnehmen.
Hautkrebs: Blicke helfen heilen
Neben dem Bronchialkarzinom gibt es kaum eine andere Krebsart, die so eindeutig mit persönlichen Verhaltensweisen assoziiert ist wie der Hautkrebs. Die Tatsache, dass dessen Zahl seit geraumer Zeit dramatisch in die Höhe schnellt, ist vermutlich die Folge des weit verbreiteten Wunsches nach Bräune um jeden Preis. Die Neuerkrankungsraten des malignen Melanoms haben sich seit den siebziger Jahren annähernd vervierfacht. Zwar entfallen auf die übrigen bösartigen Neubildungen wie Spinaliom, Basalzell- oder Plattenepithelkarzinom deutlich mehr Erkrankungen, doch verlaufen sie nur in Ausnahmefällen tödlich. In Deutschland kommen auf 100.000 Einwohner jährlich 12 neue maligne Melanome, 25 Plattenepithel- und 80 Basalzellkarzinome.
Entscheidend für die Prognose ist die frühzeitige Erkennung des Tumors. Ist er noch klein, kann ihn der Dermatologe leicht entfernen, und die Heilungschancen liegen bei annähernd 100 Prozent. Dabei ist Eile geboten, da Melanome zur Metastasierung neigen und in die Tiefe wachsen. Sind erst einmal Tochtergeschwülste vorhanden, steht derzeit keine Therapie zur Verfügung. Der Prävention kommt also eine entscheidende Rolle zu.
Laut Leistungskatalog kommt die GKV bei Frauen ab dem 30. und bei Männern ab dem 45. Lebensjahr einmal im Jahr für die Kosten einer Inspektion der gesamten Haut, der Kopfhaut und der sichtbaren Schleimhäute auf. Die Erstattung regelmäßiger Untersuchungen scheint jedoch nicht bei allen Krankenkassen an der Tagesordnung zu sein. Nur Risikopatienten oder solche, bei denen ein konkreter Verdacht vorliegt, können auf Kostenübernahme hoffen.
Am besten schaut man den nackten Tatsachen selbst ins Auge und sucht die Haut regelmäßig nach Unregelmäßigkeiten ab. Dabei hilfreich ist die altbekannte ABCD-Regel:
Prostatakrebs: Eine Frage des Alters
Jedes Jahr sehen sich in Deutschland etwa 31.500 Männer mit der Diagnose Prostatakrebs konfrontiert. Damit ist die Vorsteherdrüse die Körperstelle geworden, bei der sich beim Mann am häufigsten bösartige Geschwülste bilden. Seit Ende der achtziger Jahre ist das Prostatakarzinom auf Expansionskurs. Das liegt zum einen an der zunehmenden Lebenserwartung, denn dieses Karzinom macht erst - wenn überhaupt - in fortgeschrittenem Alter auf sich aufmerksam. Das mittlere Erkrankungsalter liegt denn auch bei vergleichsweise hohen 72 Jahren, sechs Jahre mehr als für Krebs insgesamt. Vor dem 50. Geburtstag ist kaum damit zu rechnen. Zum anderen bringt der Einsatz neuer Methoden wie der PSA-Test häufigere Diagnosen.
Autopsie-Studien decken viele unentdeckte, asymptomatische Prostatakarzinome bei den 70- und besonders bei den über 80-Jährigen auf, die unentdeckt keinen Einfluss auf Lebenserwartung und -qualität haben. Schätzungsweise ein Viertel aller Männer über 50 und sogar jeder zweite über 70 Jahren tragen einen Krebskeim in der Prostata. Meist wird er jedoch nicht gefährlich, weil er nur langsam wächst. Solche Karzinome aggressiv zu behandeln, wäre unnötig. Gefährlich sind indessen jene Geschwulste, die invasiv wachsen und Metastasen bilden. Dagegen muss konsequent vorgegangen werden, und zwar mit Operation, Strahlen- und Chemotherapie. Jetzt ist es an der Reihe der Forscher, biochemische Marker zu finden, die eine zuverlässige Aussage über die Bösartigkeit eines Prostatakarzinoms erlauben.
Der Krebsherd in der Vorsteherdrüse verursacht im Anfangsstadium keine Beschwerden. Gerade weil typische Symptome fehlen, ist es für Männer ab dem 45. Lebensjahr so wichtig, an den Früherkennungsuntersuchungen der Krankenkassen teilzunehmen. Dabei soll vor allem die Tastuntersuchung dem Arzt Aufschluss geben, ob die Prostata in die Schusslinie von Krebszellen geraten ist. Etwa die Hälfte bis zwei Drittel aller Karzinome sind dem tastenden Finger zugänglich. Viele Urologen kritisieren jedoch: Die rektale Untersuchung könne man eigentlich nicht als Früherkennungsmaßnahme bezeichnen, da sich dabei eher ein Spätbefund ergibt. Denn bei der Hälfte der Männer sind bereits andere Organe befallen, wenn der Arzt ein Karzinom ertastet.
Die einzige echte Früherkennungsuntersuchung ist die Bestimmung des PSA-Wertes, die die Kassen jedoch noch immer nicht erstatten (es sei denn, der Test erfolgt bei berechtigtem Verdacht) und die die Deutsche Krebsgesellschaft schon seit Jahren im GKV-Leistungskatalog sehen will. Bei bösartigen Tumoren der Prostata ist der PSA-Wert in über 90 Prozent der Fälle erhöht. Freilich bedeutet nicht automatisch jeder erhöhte Wert das Vorhandensein eines Krebses.
Der PSA-Test (zum Beispiel PSA-Schnelltest von Cardimac) wird auch über Apotheken vertrieben. Der Test erfasst das Prostata-spezifische Antigen (PSA), ein Glykoprotein, das im Blutserum vorkommt und bei einer Entartung der Vorsteherdrüse verstärkt gebildet wird. Für den Test entnimmt der Mann zwei Tropfen Blut am Finger oder Ohrläppchen, trägt sie auf eine Testkarte auf, tropft eine spezielle Verdünnung auf das gleiche Feld und kann dann nach rund 15 Minuten den PSA-Wert anhand von Farbstreifen ablesen. Werte unter 4 ng/ml gelten als normal, zwischen 4 und 10 ng/ml als kontrollbedürftig, über 10 ng/ml als tumorverdächtig. Dann ist der Gang zum Arzt angezeigt.
Das PSA-Set eignet sich zwar auch zur Selbsttestung für zu Hause. Bei der Abgabe in der Offizin sollte man dem Kunden jedoch anbieten, den Test mit ihm gemeinsam zu machen. Zum Beispiel ist der Hinweis wichtig, dass sportliche Betätigung, rheumatische Erkrankungen oder ein kürzlich erfolgter Samenerguss den PSA-Wert in die Höhe treiben. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie hält den PSA-Wert für eine Selbsttestung ungeeignet und kritisiert den Vertrieb über die Apotheken. Ihre Kritikpunkte liegen auf der Hand: Der PSA-Wert habe eine zu hohe individuelle Spannbreite, und um den pathologischen Wert beurteilen zu können, müsse der persönliche Normalwert bekannt sein. Erhöhte Werte beim Selbsttest verunsichern also zuweilen vorschnell den Mann.
Stubenhocker leben gefährlich Sport ist nicht jedermanns Sache. Vielleicht könnte jedoch folgende Erkenntnis so manchen Bewegungsmuffel aus dem Fernsehsessel holen: Regelmäßige Bewegung kann das Krebsrisiko um 10 bis 70 Prozent senken. Vor allem dem Kolon-, Mamma- und Prostatakarzinom scheint sportliche Betätigung ein Schnippchen schlagen zu können. So ergab eine Analyse von 39 Kohorten- und Fallkontrollstudien, dass körperliche Aktivität das Dickdarmkrebsrisiko bis zu 70 Prozent senken kann. Männer, die mehr als 2500 kcal pro Woche zusätzlich verbrauchten, wurden mit einem um 40 Prozent niedrigeren Erkrankungsrisiko belohnt als die Männer, die in der Woche nur für 1000 kcal schwitzten. Bei Frauen vermochten vier Stunden mittlerer oder drei Stunden hoher sportlicher Intensität das Risiko um die Hälfte zu drücken.
Die Auswertung von 28 Studien mit annähernd 110.000 Brustkrebspatientinnen ergab rückblickend eine relative Risikoreduktion um 30 Prozent, wenn die Frauen sportlich aktiv waren. Und auch gegen Prostatakrebs scheint Bewegung günstig zu sein. Die Wahrscheinlichkeit, von einem Karzinom heimgesucht zu werden, lag zwischen zehn und 70 Prozent niedriger, wenn die Männer 1000 bis 3000 kcal pro Woche durch Sport verbrauchten.
Literatur
Die Autorin
Elke Wolf studierte Pharmazie in Frankfurt. Die Approbation als Apothekerin erfolgte 1995 im Anschluss an das praktische Jahr in der Apotheke Esser in Rödermark/Hessen und in der pharmazeutischen Industrie bei der damaligen Sandoz AG in Nürnberg. Nach einem Praktikum während des Studiums und einem Volontariat bei der Pharmazeutischen Zeitung schreibt sie seit 1997 als freie Journalistin für Fach- und Publikumsmedien sowie für die Industrie. Die PZ-Leser kennen Frau Wolf seither als Autorin zahlreicher spannender Titelbeiträge.
Anschrift der Verfasserin:
Elke Wolf
Traminer Straße 13
63322 Rödermark
© 2002 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de