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Bohrende Fragen an der Oberkante Unterlippe

19.02.2001  00:00 Uhr

ZAHNMEDIZIN

Bohrende Fragen an der Oberkante Unterlippe

von Elke Wolf, Rödermark

Die Zahnputzsünden der Kindheit trägt man ein Leben lang mit sich herum - als Amalgamfüllung. Auch Gold schimmert schöner am Hals als im Mund. Nachlässige Zahnpflege ruft die Bakterien in der Mundhöhle nicht nur auf den Plan, Löcher in den Zahn zu ätzen, sondern sich auch ins Zahnfleisch zu fressen. Eine Folge des zerstörerischen Werks ist Zahnausfall, jedoch stehen auch Herzinfarkt, Diabetes und Frühgeburten auf der Anschlagsliste der Parodontitis-Keime. Immer deutlicher erkennen Wissenschaftler, welchen Einfluss die Mikroben im Mund auf den Gesamtorganismus des Menschen haben. Keine blendenden Aussichten an der Oberkante Unterlippe.

Bakterien in der Mundhöhle sind ausgesprochen gesellig. Denn offenbar tummeln sich hier weit mehr Mikroorganismen, als man bislang angenommen hat. Etwa 500 Spezies sind derzeit identifiziert. Doch mit modernsten Gensonden kommen Forscher immer mehr Keimen auf die Spur. Wie in jedem anderen Ökosystem gibt es hier friedliche Gesellen, aber auch ein paar Unholde, die dem Gebiss zu schaffen machen.

In der Schusslinie der Bakterien steht nicht nur der Zahn, in den sie Löcher graben und damit Karies verursachen, auch das Zahnfleisch bekommt die Attacken zu spüren. Anfangs unbemerkt und damit nicht schmerzhaft nutzen die Siedler im Mund gezielt die Schwachstelle des Zahnfleischs aus: die Saumzellen, die direkt am Zahn haften und den Zahn im knöchernen Zahnfach verankern. Die Bakterien setzen Toxine frei, die in das Saumhäutchen eindringen und es auflockern. Der Organismus antwortet mit Abwehrzellen, die in das Gewebe einströmen und dessen Durchlässigkeit erhöhen. Die Toxine können daraufhin in das Bindegewebe des Zahnfleischs vorstoßen; dieses entzündet sich (Gingivitis).

Wird jetzt nicht mit der richtigen Zahnpflege und einem Zahnarztbesuch Einhalt geboten, rötet sich das Zahnfleisch zusehends und schwillt an (Parodontitis). Beim Essen und bei leichter Berührung blutet das Gewebe. Zwischen Zahn und Fleisch entstehen Taschen, die sich sechs bis 30 Millimeter tief eingraben können. Essensreste geben den Bakterien Nahrung, deren Zahl explodiert förmlich. Dem Zahnfleisch bleibt nur der Rückzug, weil die Bakterien in der Zahnfleischtasche Gewebe abbauende Kollagenasen aktivieren. Der Zahn lockert sich und fällt schlimmstenfalls aus.

Biofilm schützt Bewohner vor Belästigungen

Bislang ist es nicht gelungen, einzelnen Spezies den Schwund im Mund in die buchstäbliche Tasche zu schieben. Klinische Symptome wie Blutung oder tiefe Taschen korrelieren zwar gut mit der Anwesenheit bestimmter Bakterienarten in der Plaque, aber diese sind auch an gesunden Zahnfleischstellen nachgewiesen worden. Vielmehr vermuten Mikrobiologen, dass der Gewebeschaden durch die Kombination von Bakterien verursacht wird, die in einer Plaque zusammenleben.

Freilich konnten die Wissenschaftler bestimmte Leitkeime ausmachen. Einer der Hauptübeltäter ist Porphyromonas gingivalis, in 63 Prozent aller Patienten-Münder zu finden. P. gingivalis besitzt von allen möglichen parodontalen Krankheitserregern das breiteste Spektrum an Gewebe abbauenden Enzymen. In ungeheurer Geschwindigkeit bauen die Proteasen Kollagen, Immunglobuline oder Komplement ab, das Bindegewebe des Zahnfleischs wird förmlich zerstückelt. Das Fatale: P. gingivalis bildet Membranvesikel, die in großer Zahl ins umliegende Gewebe verspritzt werden und die sezernierten Proteasen erhalten.

Ein weiterer übler Geselle ist Actinobacillus actinomycetemcomitans, der rund 30 Prozent der Parodontitis-Münder befällt und im Übrigen auch mit Harnwegsinfektionen, Meningitis oder Osteomyelitis in Verbindung gebracht wird. P. actinomycetemcomitans umhüllt sich mit einer Kapsel und ist dadurch weitgehend vor Komplement und Phagozytose gefeit. Ansonsten gehören noch Kollagenasen und Fimbrien zu seinem Werkzeug; letztes besteht aus einem Lipopolysaccharid mit extrem starker Knochen resorbierender Aktivität und der Fähigkeit, die Funktion von Neutrophilen zu beeinträchtigen. Wie sein Bruder P. gingivalis bildet A. actinomycetemcomitans Membranvesikel, die einige dieser Stoffe in der Umgebung verbreiten.

Bakterien lieben die Gemeinschaft. Aus polymeren Kohlenhydraten und Eiweißmolekülen schaffen sie sich gemeinschaftlichen Wohnraum. Jedes Bakterium, das anhaftet, wird zur Andockstolle für weitere Keime. Werden die Bakterien nicht täglich entfernt, bilden sie einen zähen Belag, der einen Keil zwischen Zahn und Fleisch treibt. Verschiedene Mikrobenarten leben in diesem Biofilm einträchtig zusammen, ihre unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten machen solche Lebensgemeinschaften für alle Beteiligten profitabel. Die schleimige Unterkunft bietet ihren Bewohnern auch einen gewissen Schutz vor widrigen Umwelteinflüssen, etwa vor Attacken des Immunsystems oder der Bürste. Auch mit Antibiotika ist diesen Biotopen weitaus schwerer beizukommen als freilebenden Bakterien.

Personen mit profunder Parodontitis haben eine etwa acht mal neun Zentimeter große Wundfläche im Mund, informiert das Zentrum für Zahn, Mund- und Kieferheilkunde der Universität Köln. Diese Wundfläche ist mit etwa 1011 Mikroorganismen besiedelt, also mehr als es Menschen auf der Erde gibt. Immer wenn das entzündete Parodont belastet wird, etwa beim Essen oder Zähneputzen, kommt es zu einer Bakteriämie. Die Mikroben gelangen durch die kleinen Wunden in den Blutstrom und somit in jeden Winkel des Körpers. Und das ist der Grund, warum die Parodontitis nicht nur im Mund Schäden anrichtet. Sie steht unter Verdacht, systemische Erkrankungen auslösen beziehungsweise anfachen zu können. Die Spannbreite reicht von Atherosklerose über Frühgeburten bis hin zu Diabetes.

Bakterien der Mundhöhle schaden Herz und Hirn

Studien zeigen, dass Personen mit Parodontitis unabhängig von anderen Risikofaktoren mindestens zweimal häufiger einen Herzinfarkt erleiden. Gleiches gilt für die Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall zu bekommen. Diese epidemiologischen Daten korrelieren mit den Ergebnissen von Tierexperimenten, bei denen Forscher mit Parodontitis-assoziierten Keimen dosisabhängig eine Atherosklerose auslösten. Mehr noch: Sie haben Mundbakterien wie P. gingivalis genau in den atherogenen Plaques der Arterien nachweisen können, die die Ischämie auslösten. Die bislang vorliegenden Daten reichen jedoch nicht aus, um zu behaupten, dass Parodontitis Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorruft. Sie gilt aber als unabhängiger Risikofaktor bei der Entwicklung der Atherosklerose.

Offenbar sind die Siedler im Zahnbelag in der Lage, verschiedene Entzündungsmediatoren freizusetzen, wodurch an den Gefäßwänden vermehrt Cholesterol haften bleibt und die Thrombozytenaggregation angekurbelt wird. Untersuchungen einer anderen Arbeitsgruppe legen nahe, dass die bakteriellen Winzlinge die Blutgerinnung in die Irre führen. So bringt beispielsweise Streptococcus sanguis Blut zum Verklumpen. Die Forscher haben herausgefunden, dass ein Eiweiß der Streptokokken dem menschlichen Kollagen ähnelt, das bei der Wundheilung eine Rolle spielt. Anscheinend täuschen die Bakterien dem Immunsystem eine Wunde vor. Die Gerinnungskaskade wird in Gang gebracht, das Blutgefäß eingeschnürt.

Die Bakterien siedeln bevorzugt an Prothesen wie künstlichen Herzklappen oder Hüftgelenken, weil sie hier ähnlich gute Bedingungen finden wie auf Zähnen. Deshalb sollten Patienten mit künstlichen Herzklappen vom Zahnarzt nur unter Antibiotika-Gabe behandelt werden. Das Risiko, dass Parodontitis-Keime wie Streptokokken oder Staphylokokken eine Endokarditis hervorrufen könnten, wäre ansonsten zu groß. Denn eine Bakteriämie wird durch die Zahnbehandlung oder auch schon durch das Entfernen von Zahnstein in Gang gesetzt.

Gebissinspektion vor der Schwangerschaft, bei Rauchern und Diabetikern

Ein Viertel der Frühgeburten in den USA ist nicht durch bekannte Auslöser wie Rauchen, Alkohol oder Mehrlingsschwangerschaften zu erklären. Aus Tierexperimenten ist bekannt, dass bakterielle Toxine Frühgeburten auslösen können. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass auch schwangere Frauen mit einer Parodontitis eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, ein Frühchen zur Welt zu bringen. Endotoxine sind in der Lage, über Zytokine die Produktion von Wehen fördernden Prostaglandinen anzuregen. In der Tat fand man bei Frauen, die eine Frühgeburt hatten, höhere Blutwerte an Prostaglandin E2. Nimmt man alle Studien zusammen, steigt das Risiko einer Frühgeburt bei Schwangeren mit Parodontitis um das Siebenfache.

Gute Nachrichten für Raucher gibt es bekanntlich nicht. Da macht auch das Parodontitis-Risiko keine Ausnahme; es ist dreimal so hoch. Zudem sind die Erfolge der Parodontitis-Therapie und die Wundheilung bei Rauchern im Vergleich zu Nikotin-Abstinenzlern deutlich reduziert. Bei Rauchern findet man stets eine signifikant erhöhte Persistenz beispielsweise von A. actinomycetemcomitans oder P. gingivalis nach der mechanischen Lokaltherapie: 88 Prozent der Nichtraucher waren frei von diesen lästigen Gesellen verglichen mit 33 Prozent der Nichtraucher.

Nicht nur die erhöhte Plaqueansammlung macht Raucherzähne anfällig, sondern der Zigarettenqualm mindert Durchblutung und Abwehrkraft des Zahnfleischs. Wichtige Abwehrfaktoren wie das sekretorische Immunglobulin A im Speichel und das Serum-IgG sind reduziert. Außerdem werden bei Rauchern vermehrt Entzündungsmediatoren aus Monozyten freigesetzt.

Was die Zusammenhänge von Parodontitis und Diabetes betrifft, führen die Winzlinge im Mund die Forscher noch an der Nase herum. Fest steht zwar, dass sowohl Typ-1- als auch Typ-2-Diabetes das Risiko für die Ausbildung einer Parodontitis etwa verdoppeln. Und auch umgekehrt scheint sich eine Parodontitis als Infektionskrankheit ungünstig auf die Blutzuckereinstellung des Diabetikers auszuwirken. Wie sich die beiden Erkrankungen konkret beeinflussen, ist noch schleierhaft. Vermutlich bringen Lipopolysaccharide, die von den Parodontitis-Keimen produziert werden, die Stoffwechsel-Einstellung ins Wanken.

Gebiss-gesunde Diabetiker haben gegenüber Zahnfleisch-geschädigten Zuckerkranken deutlich weniger Nephropathien, Retinopathien oder Schwierigkeiten bei der Wundheilung. Studien belegen, dass durch eine erfolgreiche parodontale Behandlung die täglich benötigte Insulinmenge reduziert werden kann. Andere Untersuchungen zeigen, dass durch eine Parodontitis-Behandlung der HbA1c-Wert sinkt. Zu diesem Themenkomplex existieren zwar viele kleinere sporadische Untersuchungen, aus denen aber keine allgemeinen Verhaltensregeln abgeleitet werden können. Eines legen sie zumindest nahe: Diabetiker sollten auf ihre Zahnpflege ein besonderes Augenmerk haben und eine Zahnfleischentzündung sofort behandeln lassen.

Um die Mundgesundheit ist es schlecht bestellt

Prinzipiell gilt das für alle Menschen. Ist doch die Parodontitis nach der Karies vermutlich die häufigste chronische Infektionskrankheit der Welt. Bereits ein Viertel der Kindergartenkinder hat eine behandlungsbedürftige Karies. Laut der Gesellschaft für Parodontologie ist das Zahnfleisch bei rund 80 bis 90 Prozent der Deutschen entzündet, und bei rund einem Drittel davon haben sich die Bakterien bereits so weit ins Zahnfleisch gegraben, dass sich eine Parodontitis manifestiert hat.

Der Zahnarzt schabt mit speziellem Besteck die Bakterien vom Zahn, säubert die Zahnfleischtaschen und versucht mit hoch dosierten Fluorid-Präparaten, die in Mitleidenschaft gezogenen Zahnstrukturen wieder aufzubauen. Fäden oder Mini-Implantate, die mit Antibiotika beschickt sind, sollen die bakteriellen Unruhestifter schachmatt setzen. Alle Säuberungsmaßnahmen sind nur bedingt erfolgreich: Nach ein paar Monaten erlangen die Mikroben wieder die Oberhand. Leitkeime wie. A. actinomycetemcomitans sind extrem widerstandsfähig, sie überleben am Zungenrücken, in der Wangenschleimhaut oder an den Mandeln, hat eine Forschergruppe um den Mikrobiologen Professor Dr. Helge Karch aus Würzburg herausgefunden. Deshalb müssen die Bakterien-Reservoire ein- bis zweimal im Jahr gereinigt werden.

Bedenklich: Ob die Infektion im Mund rechtzeitig behandelt wird, scheint ein Vabanquespiel zu sein. Denn nur weniger als vier Prozent ihrer Leistungen haben Kassenzahnärzte 1998 für die Behandlung von Parodontitis verwendet. Insgesamt haben die Zahnärzte für 27 Millionen Mark Leistungen erbracht. In vielen Fällen wird das Dilemma am Zahnfleisch erst entdeckt, wenn die Zähne bereits ausfallen. Außerdem scheint sich bei den Zahnärzten und den Kollegen aus der Humanmedizin nur zögerlich herumzusprechen, dass Parodontitis keinesfalls eine auf den Mund beschränkte Krankheit ist. Konkrete Konzepte zur Zusammenarbeit werden zwar diskutiert, sind aber noch nicht umgesetzt.

Sich die Bakterien einzufangen, bedarf es keiner großen Nachlässigkeit. Der Kariesauslöser Nummer eins, Streptococcus mutans, wird von Mund zu Mund per Speichel übertragen. Und so wird der Keim zwischen Geschwistern und Partnern leicht weitergereicht. Untersuchungen von Paaren, die seit längerem zusammenleben, zeigen denn auch: Wer Tag für Tag einen Parodontitis-Mund küsst, der hat die Bakterien bald selbst intus. Studien aus Finnland und den USA wiesen nach, dass sich bis zu sechzig Prozent der Kinder A. actinomycetemcomitans bei ihren Eltern holen.

 

Mund-Art

Zahnerkrankungen sind kein Schicksal. Man hat es mit Bürste und Co. im wahrsten Sinne des Wortes selbst in der Hand, ob Karies, Gingivitis und Parodontitis eine Chance haben. Mit der richtigen Mundhygiene, ergänzt durch halbjährliche zahnärztliche Betreuung, können Zahnerkrankungen zu 90 Prozent vermieden werden. Doch die Deutschen sind Zahnputzmuffel.

  • Bürste statt Bohrer: Die Deutschen verwenden ihre Zahnbürsten, bis sich die Borsten biegen. Rund 112 Millionen Zahnbürsten gehen in Deutschland nach Berechnungen der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung pro Jahr über die Ladentheke. Berücksichtigten die Deutschen den Rat von Experten, alle zwei bis drei Monate eine neue Zahnbürste zu verwenden, müssten bei 80 Millionen Einwohnern über 300 Millionen Bürsten im Jahr verkauft werden. Zu empfehlen sind Bürsten mit abgerundeten, mittelharten Kunststoffborsten. Besonders effektiv reinigen Bürsten mit zum Teil erhöhten, schräg stehenden Borsten (zum Beispiel elmex inter X®) und Doppelkopfzahnbürsten (zum Beispiel E'Vita Dent®). Naturborsten sind out, da sie leicht aufquellen und damit Bakterien idealen Nährboden bieten. Elektrische Zahnbürsten mit rotierenden oder oszillierenden Bürsten haben den Vorteil, dass sie die Putzbewegung bis zu den Zahnzwischenräumen automatisch ausführen.
  • Die Tücke liegt in der Lücke: Zu einer optimalen Mundhygiene gehört mehr als Zahnbürste und -creme. Denn die Bürste kann nur drei Fünftel der Zahnoberfläche effektiv reinigen. Die anderen zwei Fünftel in den Zahnzwischenräumen bleiben außen vor. Zahnseide oder Interdentalbürstchen beheben dieses Manko. Doch nur zehn Prozent der Deutschen verwenden Zahnseide - allerdings mit durchschnittlich drei Metern im Jahr recht zurückhaltend. Zum Vergleich: Wenn man für die tägliche Reinigung etwa 50 Zentimeter Faden ansetzt, bräuchte man im Jahr 182,5 Meter Fädelgarn. Interdentalbürstchen reinigen größere Zwischenräume etwa bei Implantaten, Brücken oder festen Spangen. Die Bürsten gibt es in Zylinder- oder Kegelform; sie sollten so groß gewählt werden, dass sie den Zahnzwischenraum gerade ausfüllen.
  • Zahncreme nur mit Fluor: Bei Zahnpasten immer auf ausreichenden Fluoridgehalt achten. Er sollte für Erwachsene 0,1 bis 0,15 Prozent (1000 bis 1500 ppm) und für Kinder unter sechs Jahren 0,05 Prozent (500 ppm) betragen. Fluoride erhöhen die Widerstandskraft des Zahnschmelzes und hemmen die Vergärung der Bakterien, so dass in der Plaque weniger Säure entsteht. Als besonders effektiv erwies sich in vielen klinischen Studien bei Zahnfleischentzündungen die Kombination von Aminfluorid und Zinnfluorid (zum Beispiel Meridol®). Tipp: Nach dem Putzen den Mund nur mit wenig Wasser ausspülen; Fluoride brauchen Zeit, um wirken zu können.
    Auch andere Wirkstoffe - teils mit, teils ohne Fluoridzusatz - gegen spezielle Zahnprobleme sind im Handel. Gegen Zahnfleischentzündung kommen Pasten mit Vitamin A (zum Beispiel aronal forte®) oder Kräuterextrakten (zum Beispiel Parodontax®) auf die Bürste. Bei schmerzhaften freiliegenden Zahnhälsen soll beispielsweise eine Kombination aus Aminfluorid und einem speziellen Polymer (zum Beispiel elmex sensitive®) oder aus Fluorid und Zinkcitrat (zum Beispiel Sensodyne®F) die Reizweiterleitung erschweren. Und Pyrophosphate, häufig in Kombination mit Zinkcitrat/Zinkchlorid oder Copolymeren (zum Beispiel Blendax® Antibelag), werden angewendet, um die Neubildung von Zahnstein zu erschweren.
  • Was hart macht: Die Menge an Fluorid, die in den ersten Lebensjahren - au ch schon vor dem Zahndurchbruch - zugeführt wird, bestimmt die Widerstandsfähigkeit des Zahnschmelzes gegenüber den Säureattacken der Mikroorganismen. Deshalb ist die Fluoridzufuhr gerade im Kindesalter besonders wichtig. Die Gesellschaft für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde (DGZMK) schreibt in einer aktuellen Stellungnahme, dass nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der lokale Einsatz von Fluoriden der systemischen Applikation vorzuziehen ist. Fluoride wirkten in erster Linie durch direkten Kontakt mit Zahnhartsubstanz Karies hemmend. Vor dem sechsten Lebensmonat müssten keine Fluoride supplementiert werden. Ab dem Durchbruch der ersten Milchzähne sollten Kinderzahnpasten mit maximal 0,05 Prozent Fluorid zum Einsatz kommen. Kinder ab sechs Jahren können auf Erwachsenen-Zahncremes umsteigen. Die DGZMK rät nur zu Fluorid-Supplementen in Form von Tabletten, wenn keine fluoridhaltige Zahnpasta und kein fluoridhaltiges Speisesalz verwendet werden. Auch höher dosierte Fluoridlacke, -lösungen oder -gele sollten im Kindesalter nur zum Einsatz kommen, wenn es der Zahnarzt ausdrücklich empfohlen hat. Im Erwachsenenalter können fluoridhaltige Gele einmal wöchentlich aufgetragen werden, um Karies zu verhindern und die Remineralisation von entkalktem Zahnschmelz anzukurbeln.
  • Bakterielle Schlupfwinkel ausspülen: Vorteil von Mundspüllösungen ist, dass sie Zahnflächen erreichen, die der Bürste entgehen. Sie sind jedoch nur als Ergänzung zum Zähneputzen gedacht oder im Notfall, wenn die Bürste nicht zur Hand ist. Die Auswahl ist groß: Sie reicht von Schmelz härtendem Amin- und Zinnfluorid (zum Beispiel Meridol®) über pflanzliche Wirkstoffe wie Myrrhe, Kamille oder Rhabarber (zum Beispiel Pyralvex®, Kamillosan®, Parodontax®) bis hin zu desinfizierenden Stoffen wie Chlorhexidin (zum Beispiel Corsodyl®), Hexetidin (zum Beispiel Hexoral®) oder Dequaliniumchlorid (zum Beispiel Maltyl®). Letztere wirken besonders gut gegen die Neubildung von Zahnbelag und Zahnfleischentzündungen. Von einer langfristigen Anwendung wird jedoch abgeraten, da sie vorübergehend Zahn und Zunge verfärben und den Geschmack verändern können.

 

Ohne Fleiß kein Weiß

Der wichtigste Baustein bei der Vermeidung der Zahnfleischinfektion ist die tägliche Reinigung Zahn für Zahn. Nur so werden den Bakterien die Lebensbedingungen im Mund von vornherein erschwert. Doch Mundbakterien müssen nicht in jedem Falle Unholde sein.

Mikrobiologen aus Gainsville, Florida, haben einen im Mund lebenden Streptococcus-mutans-Stamm im Labor gentechnisch so verändert, dass er nicht mehr in der Lage ist, Milchsäure zu produzieren. Diese Säure im Zahnbelag greift dann den Zahnschmelz an. Aber der abgewandelte Bakterienstamm kann noch mehr: In der Mundhöhle von Mäusen verdrängte er die natürlichen Bakterien der Spezies. Die Experten fanden heraus, dass die veränderten Bakterien in Rattenversuchen über sechs Monate genetisch stabil blieben und nicht mutierten. Zudem konnten sie den pH-Wert nicht so weit senken, dass Karies entsteht. Jetzt sind klinische Studien geplant. So könnten vielleicht bald die gentechnisch veränderten Bakterien die Zahnbürste ersetzen.

Manche Menschen scheinen auch gegen Leitkeime wie Actinobacillus geradezu immun zu sein. Die Arbeitsgruppe aus Würzburg hat herausgefunden warum. Von Actinobacillus existieren mindestens drei verschiedene Stämme, von denen nur einer die Zahnfleisch zersetzende Kraft in sich trägt. Pro Mund siedelt meist nur ein Stamm. Welche Menschen dafür prädestiniert sind, den Bösewicht einzufangen, ist bislang unklar.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Forschungsergebnissen für die tägliche Praxis? Genau genommen werfen die vorgestellten Erkenntnisse mehr Fragen auf als beantwortet werden können. Die Untersuchungen beziehen sich allesamt auf die Parodontitis; wie sieht die Lage bei Gingivitis-Patienten aus? Sind vor jeder zahnärztlichen Behandlung antibakteriell wirksame Mundspüllösungen indiziert oder bei Diabetikern und Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sogar eine Prämedikation mit Antibiotika? Sollten Frauen mit Parodontitis während der Schwangerschaft überhaupt behandelt werden? Ist es sinnvoll, für Schwangere spezielle Hygieneprogramme zu etablieren? Sollte eine Parodontalbehandlung bei Rauchern und Diabetikern immer mit Hilfe von Antibiotika erfolgen? Nur eines ist sicher: "Gesund im Mund" hat positive Auswirkungen auf den Gesamtorganismus.

 

Pille gegen Parodontitis "Erste Pille gegen Zahnausfall": So wurde Ende 1998 die Einführung des Medikaments Periostat™ auf dem amerikanischen Markt gepriesen. Hält das Arzneimittel, was die Werbung verspricht? Der Arzneistoff ist Doxycyclin, das neben seiner antibakteriellen Wirkung auch Kollagenasen zu hemmen vermag, also Gewebe abbauende Enzyme, die in der Pathophysiologie der Parodontitis eine Rolle spielen. Periostat enthält Doxycyclin in solcher Konzentration, dass die hemmende Wirkung auf die Kollagenasen, nicht jedoch die antibakterielle Wirkung zum Tragen kommt.

Die Inhibition der Kollagenasen sei ein interessanter Weg, gegen die Parodontitis vorzugehen, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde (DGZMK) in einer Stellungnahme. Allerdings werde der auslösende Faktor, nämlich die bakterielle Invasion, nicht behandelt. Die bakterielle Plaque müsse der Zahnarzt nach wie vor mechanisch aus der Tasche entfernen. Die DGZMK betont deshalb, dass Periostat nur zusätzlich zu der unumgänglichen mechanischen Taschenreinigung verabreicht werden kann. Periostat ist bislang nicht in Deutschland verfügbar.

 

Literatur

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  12. Lares, E., Gesunde Zähne - ein Leben lang. Dt. Apoth. Ztg. 21 (2000) 65 - 75.
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  23. Wu, T. et al., Periodontitis und die Auswirkungen auf Herz und Hirn. Arch. Internal Med. 160 (2000) 2749.

Die Autorin

Elke Wolf studierte Pharmazie in Frankfurt. Die Approbation als Apothekerin erfolgte 1995 im Anschluss an das praktische Jahr in der Apotheke Esser in Rödermark/Hessen und in der pharmazeutischen Industrie bei der damaligen Sandoz AG in Nürnberg. Nach einem Praktikum während des Studiums und einem Volontariat bei der Pharmazeutischen Zeitung ist sie seit 1997 als freie Journalistin tätig. Die PZ-Leser kennen Frau Wolf seither als Autorin zahlreicher spannender Titelbeiträge.

 

Anschrift der Verfasserin:
Elke Wolf
Traminer Straße 13
63322 Rödermark

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