Titel
Bei weiterer Einschränkung der Verordnungsfähigkeit von pflanzlichen
Arzneimitteln ist mit einem Rückgang der ärztlichen Verschreibung zu
rechnen. Gleichzeitig nimmt der Anteil von OTC-Präparaten im Markt der
Phytopharmaka stetig zu. Beides unterstreicht die zunehmende Bedeutung
der Selbstmedikation. Die Kompetenz des Offizinapothekers bei der
Abgabe entsprechender Arzneimittel wird damit immer wichtiger.
Zur Vorbereitung einer Publikationsserie über wichtige Phytotherapeutika, die
aufgrund ihrer pharmazeutischen Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
bewertet werden, informieren wir hier zunächst über generelle Aspekte, die bei der
Beurteilung der Präparate von Bedeutung sind. Ein Schwerpunkt dieser Arbeit
besteht in einer Zusammenstellung von Bewertungskriterien für Therapiestudien.
Normierung und Standardisierung der pharmazeutischen Qualität
Phytopharmaka sollten auf wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe normiert sein.
Das ist leider nur selten möglich, da nur in sehr wenigen Fällen die
Einzelkomponenten bekannt sind. Da deshalb meistens der Extrakt als
wirksamkeitsbestimmender Bestandteil eines Fertigarzneimittels angesehen wird,
besteht die wichtigste Normierungsmaßnahme in der Festlegung und Deklaration des
Droge-Extrakt-Verhältnisses (DEV).
Eine Alternative zur Normierung ist die Standardisierung. Dabei werden
Ausgangsmaterial, Herstellung, Normierung und die analytische Spezifikation von
Ausgangsstoff und Extrakt einbezogen. Die Standardisierung ist die Basis eines
reproduzierbaren Herstellungsprozesses der für den Qualitätsnachweis eines
Extraktes von der Zulassungsbehörde gefordert wird.
Dennoch zeigen Phytopharmaka bei der Standardisierung noch unübersehbare
Defizite. Dies wird sehr deutlich dadurch, daß entsprechend einer EU-Richtlinie die
Deklaration normierter Bestandteile, die nicht mehr als wirksamkeitsbestimmende
Inhaltsstoffe angesehen werden können, auf Phytopharmaka untersagt ist. Das
einzelne Drogen (zum Beispiel Johanniskraut) betreffende Verbot wurde in
Deutschland durch ein Schreiben, den sogenannten Bühler-Brief vom 7. September
1995, das an die Verbände BAH und BPI gerichtet war, aus dem BfArM bekannt
gemacht.
Ein Hintergrund dieser Entscheidung war, daß die Deklaration von Standardwerten
für Marketingzwecke mißbraucht zu werden schien. Denn hohe Standardwerte von
Inhaltsstoffen, deren Beitrag zur Wirksamkeit des Phytopharmakons noch nicht
zweifelsfrei belegt war, täuschten bei Laien wie bei wenig informierten Fachleuten
eine bestimmte Qualität vor, manchmal sogar eine Überlegenheit zu einem
Vergleichspräparat. Es drängte sich teilweise der Verdacht auf, daß besonders hohe
Werte der Standardsubstanz durch Zumischen, und damit durch Verdünnen des
eigentlichen Extraktes, artifiziell eingestellt wurden. Die Konsequenz dieses
kaufmännisch, aber nicht pharmazeutisch geleiteten Handelns war das Verbot
solcher Deklarationen durch die Zulassungsbehörde.
Das strikte Verbot wird zu Recht derzeit wieder vorsichtig gelockert. Eine
Deklaration bestimmter Standardisierungsparameter ist nämlich nicht nur sinnvoll,
sondern auch begrüßenswert. Denn so, wie der Extrakthersteller über die
Standardisierung eine Vergleichbarkeit einzelner Chargen seines Präparates
sicherstellt und belegt, wäre auch für den Arzneimittelfachmann eine vergleichende
Bewertung unterschiedlicher Phytopharmaka möglich.
Allerdings muß die Standardisierungspraxis kritisch überdacht werden. Zum Teil
benutzen verschiedene Hersteller unterschiedliche Analyseparameter und -methoden
um eine gleichbleibende Qualität zu gewährleisten. Dies ermöglicht zwar einen
Vergleich unterschiedlicher Chargen eines bestimmten Produktes, nicht aber einen
Vergleich verschiedener Produkte. Für einzelne Drogen sollten daher bestimmte
Standardsubstanzgruppen definiert und einheitliche Verfahren zu ihrer Bestimmung
festgelegt werden.
Wirksamkeit
Ein Wirksamkeitsnachweis läßt sich nur mit einer kontrollierten, anerkannten
methodischen Kriterien genügenden klinischen Studie erbringen. Allerdings können
Anwendungsbeobachtungen (AWB) zum Nachweis der Wirksamkeit von
Phytopharmaka herangezogen werden, wenn klinische Prüfungen nicht durchführbar
sind (unspezifische Indikationen, Befindlichkeitsstörungen mit Krankheitswert) oder
Patientengruppen untersucht werden sollen, die in klinischen Studien nicht
berücksichtigt wurden (Kinder, Schwangere, stillende Mütter). Daten aus
Tierversuchen können bei manchen Indikationen wertvolle Hinweise auf eine
Wirksamkeit liefern, das gilt besonders dann, wenn sich klinische Prüfparameter am
Menschen nur schwer formulieren lassen. Daten aus In-vitro-Experimenten können
ebenfalls zur Beurteilung der Phytopharmaka herangezogen werden. Ein
Wirksamkeitsnachweis kann mit solchen Daten jedoch nicht geführt werden. Es ist
ein grundlegendes Problem der Phytotherapie, daß häufig in nicht statthafter Art und
Weise aus Wirkungen in In-vitro-Modellen auf die In-vivo-Wirksamkeit
geschlossen wird. Dies gilt um so mehr, da häufig Daten zu Metabolisums und
Pharmakokinetik fehlen, die nachweisen, daß Substanzen bioverfügbar sind.
Studienarten
Die Art der Studie sollte bereits aus dem Titel oder Untertitel einer Studie ersichtlich
sein. Das verlangt das Consolidated-Standards-of-Reporting-Trials (CONSORT)
Statement 1996. Verspricht der Titel eine kontrollierte, randomisierte Studie, ist dies
ein Hinweis auf gute Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Ist das Erscheinungsbild
der Krankheit oder das Auftreten möglicher Störfaktoren wenig homogen, kann die
Vergleichbarkeit durch eine Blockstudie erhöht werden.
Die höchste Homogenität wird erreicht, wenn Prüf- und Vergleichspräparat an
einem Individuum getestet werden. Topisch angewendete Arzneimittel können recht
gut im Rechts-Links-Vergleich an einer Versuchsperson getestet werden. Dagegen
kann in Cross-over-Studien leicht ein Zeittrend oder eine verzögerte Wirkung der
ersten Therapie die Vergleichbarkeit beeinträchtigen.
Wenn die Beurteilung durch den Arzt als Maß für den Erfolg der Therapie eine
entscheidende Rolle spielt und nicht an objektiven Parametern gemessen werden
kann, sollten Doppelblindstudien durchgeführt werden. Kontrollierte
Vergleichsstudien gegen Placebo sind jedoch aus ethischen Gründen nicht immer
vertretbar und außerdem sehr kostspielig. Beobachtungsstudien können durchaus
Hinweise zur Wirksamkeit eines Arzneimittels aufzeigen. Sie müssen jedoch
sorgfältig geplant und durchgeführt werden.
Multizenterstudien werden durchgeführt, wenn in einem überschaubaren Zeitraum in
einer Praxis oder Klinik nicht genügend Patienten mit der zu behandelnden
Krankheit für eine Studie rekrutiert werden können. Eine transparente Darstellung
erfordert, daß aus der Publikation der Untersuchung hervorgeht, wie viele
Kliniken/Praxen an der Studie teilgenommen haben, wie viele Patienten jeweils in die
Untersuchungen eingebracht wurden und wer für die Organisation der
Randomisierung und die Koordination der Prüfzentren verantwortlich war. Wegen
des breiteren Patientenkollektivs ist die Vergleichbarkeit der Probanden häufig
problematisch, die Ergebnisse lassen sich jedoch besser verallgemeinern.
Zulassungstatus
Der Apotheker wird solche Präparate bevorzugen, die mit klarer Indikationsangabe
der Apothekenpflicht und damit seinem Beratungsauftrag unterliegen. Präparate, die
auf anderen Vertriebswegen vermarktet werden, dürften nur selten in Apotheken
empfohlen werden, auch wenn ihre Zusammensetzung teilweise mit
apothekenpflichtigen Präparaten identisch ist. Die apothekenpflichtigen
Fertigarzneimittel lassen sich generell entsprechend ihrem Zulassungsstatus grob in
drei Gruppen differenzieren:
- regulär zugelassene Präparate
- fiktiv zugelassene Präparate
- traditionell angewandte Arzneimittel
Aus der Sicht des Apothekers ergibt sich folgende Beurteilung der unterschiedlichen
Präparategruppen. Nur bei einem zugelassenen oder nachzugelassenen Präparat
kann er davon ausgehen, daß Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit den
Anforderungen des AMG entsprechend belegt wurde. Prinzipiell kann auch ein
Präparat, das mit einer traditionellen Indikation vermarktet wird, solchen Standards
entsprechen, muß es jedoch nicht. Deshalb sollten solche Präparate Präparate
zweiter Wahl darstellen. Präparate, die nicht an Zulassungsnummer oder
Indikationsangabe hinsichtlich ihres Status eingeordnet werden können, sind nicht zu
beurteilen und können daher auch in der Regel nicht empfohlen werden.
Diese Bewertung wird von pharmazeutischen Unternehmern oder deren
Interessenverbänden kritisiert, da einerseits Präparate negativ beurteilt werden, die
sich noch in der Nachzulassung befinden, deren Wirksamkeit aber durchaus in
validen Studien belegt wird, andererseits auch bei den mit traditioneller
Indikationsgabe vermarkteten Präparaten eine Wirksamkeit von vornherein nicht
ausgeschlossen werden kann. Dieser Einwand ist durchaus berechtigt, ignoriert aber,
daß dem Apotheker der Zulassungsstatus nicht transparent ist und auch kaum
Informationen zu Therapiestudien vorliegen. Bedingt ist dieser Zustand durch die in
der Vergangenheit nicht ausreichende Informationspolitik der Hersteller, die vor
allem auf die Ärzte ausgerichtet war, aber auch durch den langen Zeitraum, der für
die Bearbeitung der Nachzulassungsanträge beim Amt benötigt wird.
PZ-Titel von Irmgard van Rensen, Henning Blume, Michael Ihrig, Hartmut
Morck, Theo Dingermann und Markus Veit


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