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Click-Chemie

Synthese nach dem Lego-Prinzip

Der diesjährige Chemie-Nobelpreis ist an drei organische Chemiker verliehen worden, die die Click-Chemie und bioorthogonale Chemie erdacht und vorangebracht haben. Eine pharmazeutische Würdigung.
Pascal Heitel
Manfred Schubert-Zsilavecz
18.10.2022  18:00 Uhr

Professor Dr. Carolyn R. Bertozzi (USA), Professor Dr. Morten Meldal (Dänemark) und Professor Dr. K. Barry Sharpless (USA) – das sind die Preisträger des Chemie-Nobelpreises 2022. Für Sharpless (81) ist es nach 2001 bereits der zweite Nobelpreis für Chemie. Er ist zweifelsfrei der konzeptionelle Vor­denker der Click-Chemie, mit der ­chemische Bausteine vergleichsweise einfach miteinander verbunden werden können. Meldal (68) hat die Click-­Chemie mit der Kupfer-katalysierten 1,3-dipolaren Cycloadditionsreaktion zeitgleich mit Sharpless entscheidend vorangetrieben und ihr so einem enormen Schub verliehen. Bertozzi (56)

wiederum hat die Click-Chemie für biologische Anwendungen optimiert und wendete sie in Form der bioortho­gonalen Chemie an lebenden Organismen an.

Die prämierten Methoden ­gehören heute zum etablierten Instrumenta­rium der biomedizinisch-pharmazeu­tischen Forschung, nicht zuletzt um gezielt Wirkstoffbiblio­theken zu erschließen und zelluläre Prozesse zu studieren.

Ein Teil passt genau zum anderen

Das Prinzip der Click-Chemie kann mit einer Gürtelschnalle oder mit Lego-Steinen verglichen werden: Ein Teil passt genau zum anderen. Kommt es zum »Klick«, ist die Gürtelschnalle geschlossen oder die Lego-Steine sind miteinander verknüpft. Im Fall der Click-Reaktion werden bevorzugt Bindungen von Kohlenstoff­atomen mit Heteroatomen, also Nicht-Kohlenstoffatomen gebildet.

Das grundlegende Konzept der Click-Chemie hatte Sharpless mit seiner Arbeitsgruppe 2001 in der Zeitschrift »Angewandte Chemie« veröffentlicht. Im Einführungsteil dieser Veröffentlichung würdigt er die Verdienste und Leistungskraft der organischen Synthese-Chemie, insbesondere was die aufwendigen Totalsynthesen komplexer Naturstoffmoleküle betrifft. Gleichzeitig stellt Sharpless visionär fest, dass mit den chemischen Reaktionen, die für die Synthese komplexer Moleküle ein­gesetzt werden, auch erhebliche

Limitationen verbunden sind. So ist ins­besondere die Herstellung großer Substanzbibliotheken, die in der pharmazeutischen Industrie für die Entwicklung von Arzneistoffen (small mole­cules) unverzichtbar sind, über diesen Weg schlichtweg nicht möglich.

Belastbaren Einschätzungen zufolge liegt die Zahl akzeptabler Wirkstoffkandidaten bei 1062 bis 1063 Einzel­molekülen, was einer enormen strukturellen Vielfalt entspricht. Vor diesem Hintergrund postulierte Sharpless, dass es wenig sinnvoll sei, in schwer ­zugänglichen strukturellen Umfeldern – wie sie bis zum Jahr 2000 über­wiegend genutzt wurden – nach der gewünschten pharmazeutischen Funktion zu suchen. Stattdessen schlug er einfache Synthesemethoden (Click-Chemie) vor, für die eine wichtige Regel gilt: Jegliche Suche nach neuen Wirkstoffen muss auf Moleküle beschränkt bleiben, die leicht herzustellen sind. Dabei bezog sich Sharpless auf die Herstellung von Primärmetaboliten in der Natur. Während Sekundärmetaboliten ein ausgedehntes Netz aus Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen aufweisen, auf dem das Haupt­augenmerk der synthetisch arbeitenden Chemiker zur damaligen Zeit lag, sind es unter Heteroatomverknüpfung ablaufende Kondensationen, die zum Aufbau von Poly­nukleotiden, Polypeptiden und Polysacchariden verwendet werden.

Ein neuer Werkzeugkasten der Chemie

Dem Beispiel der Natur folgend, war Sharpless bestrebt, Moleküle durch Zusammenfügen kleinerer Einheiten über Heteroatombindungen (C-X-C) zu bilden. Das Ziel ist der Einsatz von leistungsfähigen und selektiven modularen »Baueinheiten«, die bei Synthesen mit hoher Zuverlässigkeit verwendbar sind. Diese Herangehensweise wurde von Sharpless »Click-Chemie« genannt, wobei strenge Kriterien definiert wurden, die eine chemische Reaktion erfüllen muss, um Anwendung zu finden. Unter anderem werden eine breite Anwendbarkeit, einfache Reaktionsbedingungen, hohe Ausbeuten, keine störenden Nebenprodukte, Stereospezifität und einfache Reinigung gefordert. Es ist wichtig zu verstehen, dass Click-­Reaktionen die benötigten Charak­teristika aus starken thermodyna­mischen Triebkräften beziehen. Derartige Reaktionen verlaufen schnell bis zum vollständigen Umsatz und ­haben die Tendenz, selektiv nur ein Produkt zu liefern. Als typische Reak­tionen für die Click-Chemie werden folgende Reak­tionen vorgeschlagen:

  • 1,3-dipolare Cycloadditionen und Diels-Alder-Reaktionen
  • Nucleophile Ringöffnungsreaktionen von gespannten Heterocyclen (zum Beispiel Epoxide)
  • Nichtaldolartige Carbonylreaktionen
  • Additionen an C-C-Mehrfachbin­dungen

Eine entscheidende Weiterentwicklung wurde von ­Medal und Sharpless 2001 mit der Einführung von Kupfer-katalysierten Azid-Alkin-Cycloadditionen (CuAAC) zur Herstellung von 1,2,3-Triazolen ­erreicht (Abbildung 1).

1,2,3-Triazole sind wichtige Pharmakophore, die in mehreren Arzneistoffen zu finden sind, unter anderem im Breitsprektrum-Cephalosporin-Antibiotikum Cefatrizin (Abbildung 2).

Click-Chemie in lebenden Zellen

Im Jahr 2003 prägte Bertozzi den Begriff »bioorthogonal«. Damit bezeichnete sie Reaktionen, die in biologischen Systemen mit so hoher Selektivität ablaufen, dass sie zelluläre Funktionen nicht beeinflussen. Bioorthogonale ­Reaktionen können auch in lebenden Organismen durchgeführt werden.

Dafür bediente sich Bertozzi der Click-Chemie von Meldal und Sharpless. Allerdings waren die in der ­ursprünglichen Version eingesetzten Kupfer-Konzentrationen toxisch und verhinderten einen Einsatz in Zellen oder lebenden Organismen. Um auf Kupfer als Katalysator verzichten zu können, setzte Bertozzi spezielle Alkine in Form von Cyclooctinen ein, welche durch die hohe Ringspannung sehr ­reaktiv sind und bereits in Abwesenheit von Kupfer-Ionen mit Aziden zu Triazolen reagieren (Abbildung 3).

Mit dieser Reaktion legte sie den Grundstein zur Anwendung der Click-Chemie in biologischen Systemen. Da sich Bertozzis Arbeiten mit der Glyko­sylierung der Zelloberfläche beschäftigen, wandte sie die neu entwickelte Reaktion als erstes auf Glykoproteine an. Dazu wurde eine humane Zelllinie so verändert, dass sie Glykoproteine mit Azidgruppe auf der Zelloberfläche exprimiert. Durch anschließende Click-Reaktion mithilfe von Cyclooctin-Derivaten wurden Fluoreszenzfarbstoffe kovalent gebunden. Auf diese Weise können Glykoproteine sichtbar gemacht und wichtige zelluläre Vorgänge live verfolgt werden.

Die Anwendungen der bioortho­gonalen Variante dieser Click-Reaktion sind äußerst vielfältig. Beispielsweise entziehen sich Tumorzellen dem Immunsystem, indem sie auf ihrer Oberfläche Glykoproteine exprimieren, die die Aktivität von Immunzellen ­beeinträchtigen. Mithilfe der bioorthogonalen Chemie können gegen solche Glykoproteine spezifische Antikörper mit Enzymen gekoppelt werden, die die ­Zuckermoleküle auf der Tumorzelloberfläche entfernen. Als Folge erkennt das Immunsystem die fehlerhaft programmierte Tumorzelle und leitet ­deren Zerstörung ein.

Zudem lässt sich mit der Techno­logie die Bewegung von bestimmten Mole­külen in lebenden Zellen verfolgen, um mehr über fundamentale Prozesse der Zelle zu erfahren und dies für neue Therapieansätze zu nutzen. Mit bioorthogonaler Chemie können außerdem »off targets« identifiziert werden, also Pro­teine, mit denen Arzneistoffe ungewollt interagieren und dadurch Neben­wirkungen entfalten.

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