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Covid-19-Impfstoffe

STIKO stellt Grundlagen für Priorisierung vor

Einzelne Covid-19-Impfstoffe stehen in Europa kurz vor der Zulassung. Doch wer soll zuerst geimpft werden? Ein Positionspapier zu den ethischen Rahmenbedingungen einer möglichen Priorisierung haben Experten heute in Berlin präsentiert.
Charlotte Kurz
Christina Hohmann-Jeddi
09.11.2020  14:38 Uhr

»Alle warten sehnlich auf einen Covid-19-Impfstoff«, sagte Professor Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut, am Montag in der Bundespressekonferenz in Berlin. Noch hat keiner der Vakzinekandidaten eine Zulassung in der EU, aber zwei befinden sich bereits in einem Zulassungsverfahren bei der zuständigen Behörde EMA. Ganz vorne im Rennen ist neben der mRNA-Vakzine von BioNTech und Pfizer der Vektorimpfstoff, den die Universität Oxford zusammen mit Astra-Zeneca entwickelt. Mit einer Zulassung ist in wenigen Wochen zu rechnen, BioNTech hat heute erste, sehr positive Daten der Phase-III-Studie präsentiert. Wenn es soweit ist, wird sich die Frage stellen, wer bei knappen Ressourcen zuerst geimpft werden sollte.

Mit dieser Frage hat sich die STIKO beschäftigt, die laut Infektionsschutzgesetz die Aufgabe hat, Empfehlungen für Impfungen zu erarbeiten und zu veröffentlichen. Dabei befand sich die Kommission im Fall von Covid-19 in einer ungewöhnlichen, bisher noch nicht dagewesenen Situation, machte Mertens deutlich. Zum einen muss sie sich mit Impfstoffen beschäftigen, die noch nicht zugelassen sind, zum anderen muss sie erstmals eine Priorisierung vornehmen. Denn zu Anfang, in der ersten Zeit nach der Zulassung eines Covid-19-Impfstoffs, wird es voraussichtlich nicht genügend Impfstoff geben, um alle Impfwilligen in der Bevölkerung zu versorgen.

Daher hat die STIKO zusammen mit dem Deutschen Ethikrat und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina ethische Rahmenbedingungen erarbeitet, nach denen eine Priorisierung erfolgen kann. Diese müsse auf Basis der bestmöglichen verfügbaren Evidenz so gestaltet sein, dass sie den höchsten Nutzen für die gesamte Gesellschaft bringe. Ein entsprechendes Positionspapier stellten die drei Institutionen zusammen in Berlin vor.

Vier Impfziele im Blick

Demnach basiert die Impfpriorisierung auf medizinischen, ethischen und rechtlichen Prinzipien, berichtete Professor Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats. Laut Positionspapier formuliert die Arbeitsgruppe vier Impfziele: Die Verhinderung schwerer Covid-19-Verläufe und Todesfälle, den Schutz von Personen mit besonders hohem arbeitsbedingtem Infektionsrisiko, die Verhinderung von Transmission sowie Schutz in Umgebungen mit hohem Anteil vulnerabler Personen und in solchen mit hohem Ausbruchspotenzial und die Aufrechterhaltung staatlicher Funktionen und des öffentlichen Lebens.

Um diese Ziele zu erreichen, nennt die STIKO-Arbeitsgruppe drei Bevölkerungsgruppen, die zuerst geimpft werden sollen. Zuallererst stehen Personen, die zur Risikogruppe gehören, auf der Liste. Dies sind unter anderem Personen, »die aufgrund ihres Alters oder vorbelasteten Gesundheitszustandes« ein deutlich erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Covid-19-Verlauf haben. Damit sollen vor allem Personen, die in Pflegeheimen leben, besser geschützt werden.

Als zweite Gruppe nennt die Arbeitsgruppe diejenigen, die dicht mit Covid-19-Patienten zusammen sind und damit selbst ein erhöhtes Risiko haben, sich anzustecken. Demnach soll vor allem medizinisches Personal in stationären und ambulanten Einrichtungen der Gesundheitsversorgung sowie der Altenpflege prioritär geimpft werden. Als dritte Gruppe nennt das Positionspapier Personen, die relevante Funktionen für das Gemeinwesen erfüllen, etwa Mitarbeiter der Polizei, von Sicherheitsbehörden, Gesundheitsämtern, der Feuerwehr, aber auch Lehrer und Erzieher, insbesondere wenn sie direkten Kontakt mit Patienten, Risikogruppen oder potenziell Infizierten haben. Diese Gruppe sollten nicht in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge, sondern parallel geimpft werden. Für alle drei Gruppen seien bestimmte Kontingente vorzuhalten.

Weiter betont die STIKO, dass diese Empfehlung im Laufe der Pandemie abhängig von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen weiter angepasst wird. So stehen beispielsweise noch die Ergebnisse der Phase-III-Studien mit den einzelnen Impfstoffkandidaten aus. Mertens erklärte dazu in der Bundespressekonferenz, dass die Priorisierung immer feingliedriger werden müsse. Detaillierte Empfehlungen würden derzeit erarbeitet, sie sollten bis Ende des Jahres vorgelegt werden, aber spätestens wenn ein Impfstoff zu Verfügung steht. Sie müssten vor allem auch praktikabel sein, sagte Mertens. 

Impfung bleibt freiwillig

Grundlage von allem sei das Prinzip der Selbstbestimmung, betonte Buyx. Eine Impfpflicht werde es definitiv nicht geben. Die Medizinethikerin empfiehlt, die Priorisierung gesetzlich zu verankern. Die weitere Konkretisierung könnte dann mittels einer Rechtsverordnung erfolgen. »Wenn man diese Art einer Bevorzugung macht, muss man das auf einer gesetzlichen Basis machen.«

Wann nach der Impfung der priorisierten Gruppen auch Impfstoff für die restliche Bevölkerung zur Verfügung stehe, sei derzeit noch nicht abschließend zu beantworten, sagte Professor Gerald Haug, Präsident der Leopoldina. Ab dem Sommer könnte sich seiner Einschätzung nach diese Perspektive eröffnen. Insgesamt müssten sich etwa 70 Prozent der Bevölkerung impfen lassen, um die viel zitierte Herdenimmunität zu erreichen. Nach bisherigen Umfragen sind zwischen 50 und 60 Prozent der Deutschen hierzu bereit. Es müsse zusätzliches Vertrauen in die Impfungen gewonnen werden.

Spahn: Empfehlung jetzt zu politischen Entscheidungen führen

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) begrüßte die Vorstellung der Priorisierung: »Heute haben wir mit dem Papier der Wissenschaft schon eine gute, erste Konkretisierung und Grundlage und jetzt geht es darum, sie Zug um Zug zu politischen Entscheidungen zu führen und damit praktikabel zu machen.« Die bayerische Landesregierung hatte sich bereits Ende Oktober auf eine ähnliche Priorisierungsstrategie geeinigt.

Auch Spahn betonte erneut die Freiwilligkeit des Impfens. Um trotzdem eine gute Impfquote zu erzielen, brauche es eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Deshalb sei es wichtig, die Frage, wer zuerst geimpft werden soll, im parlamentarisch-politischen, wissenschaftlichen aber auch privaten Umfeld zu diskutieren, so Spahn.

Zuständig für die Entscheidung, wer am Ende zu den priorisierten Gruppen gehört und wer nicht, sei die Behörde vor Ort. Die Kriterien müssten möglichst korrekt und pragmatisch gehandhabt werden. Wenn es nach dem Alter ginge, wäre der Personalausweis ein geeignetes Mittel. Medizinisches Personal müsste entsprechende Bescheinigungen mitbringen und Ärzte könnten Personen, die einer Risikogruppe angehören, medizinische Berechtigungen ausstellen.

Priorisierung soll im Bundestag entschieden werden

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz Eugen Brysch fordert: »Die Krise ist Zeit der Exekutive. Doch jetzt schlägt die Stunde der Legislative, des Deutschen Bundestages. Denn von der Impfstoffverteilung hängt es ab, wer zuerst geschützt wird. Expertengremien sind hilfreich für eine ethische Diskussion. Jedoch ist dies kein Ersatz für die Entscheidung des Parlaments. Die Bundesregierung darf nicht einfach über die Köpfe der gewählten Abgeordneten entscheiden.«

Auch die Partei Die Linke fordert eine entsprechende Diskussion und Entscheidung im Bundestag: »Die heute vorgelegten Vorschläge sind sehr wertvoll, aber sie ersetzen nicht den politischen Diskurs unterschiedlicher Meinungen und Perspektiven«, erklärte Achim Kessler, gesundheitspolitischer Sprecher der Linken im Bundestag. 

»Völlig zu Recht wird im Positionspapier darauf hingewiesen, dass dies eine vom Parlament beschlossene gesetzliche Regelung erfordert«, betont Kessler. Zudem sei es sehr zu begrüßen, dass den Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich eine hohe Priorität bei der Impfstoffverteilung eingeräumt wird. »Das ist nicht nur deshalb sinnvoll, weil bei ihnen eine Ansteckungsgefahr aus der Arbeit heraus existiert und weil gerade diese Menschen besonders eng mit Risikogruppen umgehen. Es ist auch eine ethische Verpflichtung des Staates, die aus der oft aufopferungsvollen Arbeit dieser Menschen gerade in der momentanen Krisensituation resultiert«, so Kessler.

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