Nach vorläufigen Ergebnissen liegen die Sterbefallzahlen in Deutschland seit der 13. Kalenderwoche (23. bis 29. März 2020) über dem Durchschnitt der jeweiligen Kalenderwochen der Jahre 2016 bis 2019. / Foto: Destatis
Während der Corona-Pandemie sind laut Statistischem Bundesamt überdurchschnittlich viele Menschen in Deutschland gestorben. Das geht aus einer am Freitag veröffentlichten Sonderauswertung hervor. Für die jüngeren Daten nutzen die Statistiker die Sterbefallmeldungen der Standesämter. Derzeit liegen damit vorläufige Daten bis 12. April vor.
Demnach liegen die Sterbefallzahlen in Deutschland seit 23. März »über dem Durchschnitt der jeweiligen Kalenderwochen der Jahre 2016 bis 2019«. In der letzten Märzwoche seien mindestens 19.385 Menschen gestorben, zwischen 30. März und 5. April mindestens 20.207 und zwischen 6. und 12. April mindestens 19.872. Im Vergleich starben in der letzten Woche, für die Daten vorliegen, knapp 2000 Menschen beziehungsweise 11 Prozent mehr als im vierjährigen Durchschnitt für diese Woche.
Vergleicht man einzelne Jahre, waren es zwischen 6. und 12. April 18 Prozent mehr Tote als 2017 und 4 Prozent mehr als 2018. »Die aktuelle Entwicklung ist auffällig, weil die Sterbefallzahlen in dieser Jahreszeit aufgrund der ausklingenden Grippewelle üblicherweise von Woche zu Woche abnehmen«, urteilen die Statistiker. »Dies deutet auf eine Übersterblichkeit im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie hin.«
»Im europäischen Vergleich ist der Umfang der Übersterblichkeit in Deutschland bislang gering«, rechnet das Statistische Bundesamt vor. Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Schweden, Schweiz und Spanien hätten »zum Teil wesentlich höhere Sterbezahlen im Vergleich zum Durchschnitt der Vorjahre«. Keine auffälligen Veränderungen gibt es demnach lediglich in Norwegen und Tschechien.
Der europäischen Mortalitäts-Monitoring-Initiative EuroMOMO zufolge zeigen die gepoolten Daten in Europa eine deutlich erhöhte Gesamtsterblichkeit, die durch eine »sehr beträchtliche Übersterblichkeit in einzelnen Ländern getrieben wird«. Diese Übersterblichkeit sei vor allem in der Altersgruppe über 65 Jahren zu erkennen, in geringerem Umfang auch in der Gruppe der 15- bis 64-Jährigen.
Von Kalenderwoche 10 bis 18 seien geschätzt 149.000 zusätzliche zu dem in diese Zeitraum erwartbaren Todesfälle in den teilnehmenden 24 europäischen Ländern aufgetreten, heißt es im Wochenbericht der KW 18. Davon waren 137.500 in der Altersgruppe über 65 Jahren und 11.500 in der Gruppe zwischen 15 und 64 Jahren zu beobachten. Der genannte Zeitraum umfasse das Ende der Influenzasaison und den Start der Covid-19-Pandemie.
Professor Dr. Tim Friede, Leiter des Instituts für Medizinische Statistik der Universitätsmedizin Göttingen, hält die Aussagekraft solcher Wochenvergleiche für begrenzt. Generell gebe es bei den Sterbefallzahlen »eine hohe Varianz«, sagte Friede der Deutschen Presse-Agentur. Auch wenn die Zahlen seit Beginn der Coronakrise höher seien, so sei man doch »deutlich unter den Maxima anderer Jahre. Die Mortalitätszahlen liegen im Rahmen dessen, was wir auch in den vergangenen Jahren gesehen haben.«
Es sei nicht möglich, anhand der Zahlen die zur Eindämmung der Pandemie eingeleiteten Maßnahmen zu bewerten. »Das wäre erst im langfristigen Verlauf nach mehreren Lockdown- und Lockerungsphasen möglich.« Erste Hinweise könne man aber aus dem internationalen Vergleich ziehen. Dieser zeige ganz klar, »dass im Gegensatz zu anderen Ländern die Mortalitätszahlen in Deutschland nicht durch die Decke gegangen sind.«
In der aktuellen Diskussion würden bisweilen Ursache und Wirkung verkehrt: Wenn die Zahl der Todesfälle gering ist, sei das vermutlich die Folge der eingeleiteten Maßnahmen, aber keinesfalls ein Argument, dass die Maßnahmen unnötig waren. »Die Frage der Kausalität ist ohnehin schwierig«, so Friede: Bei den nun vorliegenden Zahlen gebe es keine Angaben zur Todesursache und »ich wüsste aber auch nicht, wie man das zeitnah vernünftig abbilden könnte«.
Das Statistische Bundesamt will als Lehre aus der Corona-Pandemie krisenrelevante Daten künftig schneller liefern, wie Präsident Georg Thiel der »Frankfurter Rundschau« (Freitag) sagte. »Wir brauchen monatliche und vierteljährliche Daten, ältere Statistiken sind zum Krisenmanagement schlicht nicht geeignet«, so Thiel. »Das packen wir an. Daten, die in Krisensituationen dringend benötigt werden, wollen wir künftig schneller bereitstellen können.«
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