Steckt dieses Protein dahinter? |
Laura Rudolph |
21.08.2023 09:00 Uhr |
Da es bisher keine spezifische Therapie zur Behandlung von ME/CFS gibt, bleibt Betroffenen derzeit nur die symptomatische Behandlung. / Foto: Getty Images/Jena Ardell
Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine Multisystemerkrankung, die die Lebensqualität der Betroffenen stark einschränkt. Zu chronischer Erschöpfung kommen kognitive Störungen sowie Muskel- und Gelenkschmerzen als mögliche Symptome hinzu. In Deutschland leiden schätzungsweise 300.000 bis 400.000 Menschen an ME/CFS – und unter der Annahme einer hohen Dunkelziffer noch weitaus mehr. Im Zuge der Coronapandemie stieg die Bekanntheit des Syndroms, da es als stärkste Ausprägung von Long Covid gilt.
Bislang gibt es weder ausreichendes Wissen über den Ursprung der Erkrankung noch eine spezifische Therapie. Nun hat eine Forschungsgruppe um Dr. Ping-yuan Wang vom National Heart, Lung, and Blood Institute in den USA in einem Experiment mit Mäusen ein Protein entdeckt, das möglicherweise an der Entstehung der Krankheit beteiligt sein könnte. Dieser Ansatzpunkt könnte zur Entwicklung eines Wirkstoffs gegen ME/CFS beitragen. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichte die Gruppe kürzlich im Fachjournal »PNAS«.
Es handelt sich dabei um das Protein Wiskott-Aldrich Syndrome Protein Family Member 3 (WASF3) und gehört somit zu einer Proteinfamilie , die bei Defiziten mit der Erbkrankheit Wiskott-Aldrich-Syndrom assoziiert ist. Der Veröffentlichung zufolge könnte eine WASF3-Überexpression die Zellatmung in den Mitochondrien stören und dadurch zu ME/CFS beitragen. Bei der Zellatmung wird durch die Oxidation von Glucose Energie gewonnen.
Die Forschenden untersuchten genetisch veränderte Mäuse, die eine verstärkte Expression des Proteins aufwiesen. Diese Mäuse ermüdeten im Vergleich zu genetisch unveränderten Mäusen mit normaler WASF3-Expression deutlich schneller auf dem Laufband und wiesen eine gestörte Funktion ihrer Mitochondrien auf. Im Detail war die Bildung des respiratorischen Superkomplexes beeinträchtigt und die Konzentration des Komplex IV der Atmungskette erniedrigt.
Außerdem induzierten die Forschenden die WASF3-Bildung bei Mäusen durch Stress des endoplasmatischen Retikulums, vermittelt durch Endotoxine (feste Bestandteile der äußeren Zellmembran gramnegativer Bakterien). Daraufhin wiesen diese ebenfalls Beeinträchtigungen der mitochondrialen Atmungskette auf.
In Patienten mit chronischer Müdigkeit habe die Verringerung der WASF3-Konzentration durch die pharmakologische Hemmung von Stress des endoplasmatischen Retikulums die Funktion der Mitochondrien verbessert, berichten die Studienautoren in ihrer Publikation. Ergänzend dazu hätten Gewebeproben aus Skelettmuskeln von einer Kohorte von ME/CFS-Patienten erhöhte WASF3-Proteinspiegel und abnorm hohen Stress des endoplasmatischen Retikulums ergeben.
»Unsere Studie zeigt nicht nur einen möglichen Mechanismus für den bioenergetischen Mangel bei ME/CFS auf, sondern kann auch Einblicke in andere Erkrankungen geben, die mit Müdigkeit einhergehen, wie zum Beispiel rheumatische Erkrankungen und Long Covid«, schlussfolgern die Forschenden.
Um diese Erkenntnisse zu bestätigen, sind jedoch weitere Studien notwendig, wie auch die Immunologin Professor Dr. Akiko Iwasaki von der Yale School of Medicine betont, die nicht an der Arbeit beteiligt war. In einem Artikel auf der Nachrichtenseite des Fachjournals »Science« lobt sie die Forschungsarbeit als »sehr gut gemacht«, gibt jedoch zu bedenken, dass WASF3 wahrscheinlich »nur ein Teil des Puzzles ist und nicht die ganze Krankheit erklärt«. Das Protein könne etwa als Verbindungsstück zwischen anderen Krankheitsauslösern und den Symptomen fungieren, mutmaßt die Expertin.
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