Steckbrief Pilocarpin |
Sven Siebenand |
22.06.2023 09:00 Uhr |
Pilocarpin ist vor allem aus der Augenheilkunde bekannt und wird zur Behandlung des erhöhten Augeninnendrucks eingesetzt. / Foto: Adobe Stock/ Teeradej
Wo kommt Pilocarpin in der Natur vor?
Pilocarpin ist das Hauptalkaloid der Jaborandiblätter (Folia Jaborandi). Das sind lederartige und gefiederte Blätter der bis zu drei Meter hohen Jaborandisträucher (Pilocarpus-Arten), die in Südamerika beheimatet sind.
Wie wirkt Pilocarpin?
Pilocarpin ist ein direktes Parasympathomimetikum. Das heißt, es erregt wie Acetylcholin parasympathische Rezeptoren, wird aber deutlich langsamer abgebaut. Der Wirkstoff kurbelt zum einen die Sekretion exokriner Drüsen an, etwa Schweiß-, Speichel-, Tränen-, Magen-, Bauchspeichel- sowie Darmdrüsen. Auch stimuliert er die Schleimproduktion durch die Becherzellen in den Atemwegen. Am Auge angewendet, verengt Pilocarpin die Pupille und erweitert die Abflusswege für das Kammerwasser.
In welchen Indikationen ist Pilocarpin zugelassen?
Pilocarpin wird in der Augenheilkunde zur Behandlung des erhöhten Augeninnendrucks bei Glaukom und okulärer Hypertension eingesetzt. Auch zur Pupillenverengung nach Pupillenerweiterung durch Mydriatika beziehungsweise nach Operationen kann es Anwendung finden.
Mit Salagen® gibt es auch Pilocarpin-haltige Filmtabletten. Sie sind bestimmt zur Behandlung von Symptomen wie Mundtrockenheit und Augentrockenheit bei Patienten mit Sjögren-Syndrom und zur Linderung von Symptomen einer Speicheldrüsen-Unterfunktion bei Patienten mit erheblicher Xerostomie infolge einer Bestrahlung bei Krebserkrankungen im Bereich des Kopfes und des Halses.
Welche Dosierung von Pilocarpin-Augentropfen wird empfohlen?
Augentropfen-Präparate mit Pilocarpin stehen in unterschiedliche Konzentrationen zur Verfügung, etwa 0,5-, 1- und 2-prozentige Formulierungen. Die benötigte Stärke und die Häufigkeit der Anwendung hängen von der Erkrankung sowie vom individuellen Ansprechen auf den Wirkstoff ab. Meistens sind Pilocarpin-haltige Augentropfen zwei- bis viermal täglich in den Bindehautsack einzutropfen. Bei einem akuten Glaukomanfall werden die Tropfen bis zum Erreichen des erforderlichen Druckniveaus appliziert.
Was gibt es bei der Anwendung von Pilocarpin-haltigen Augentropfen zu beachten?
Bei Erkrankungen, bei denen eine Pupillenverengung kontraindiziert ist, ist logischerweise auch der Einsatz von Pilocarpin-Augentropfen tabu. Um die systemische Resorption von Pilocarpin zu minimieren, kann man nach Applikation der Augentropfen den Tränenkanal für zwei bis drei Minuten durch leichten Fingerdruck komprimieren oder das Augenlid für diese Zeit geschlossen halten. Kontaktlinsen sollte vor der Anwendung herausgenommen und frühestens circa 15 Minuten nach der Applikation wieder eingesetzt werden.
Wie werden die Pilocarpin-Filmtabletten dosiert und eingenommen?
Bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren werden als Initialdosis für Erwachsene dreimal täglich 5 mg Pilocarpin empfohlen, die während oder direkt nach den Mahlzeiten eingenommen werden sollten. Bei Patienten mit Sjögren-Syndrom beträgt die empfohlene Dosis viermal täglich 5 mg Pilocarpin, mit den Mahlzeiten und vor dem Schlafengehen eingenommen. In beiden Indikationen sollten es pro Tag nicht mehr als 30 mg Pilocarpin sein.
Kontraindiziert ist das Mittel beispielsweise bei Patienten mit klinisch signifikanten unkontrollierten Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Nierenerkrankungen sowie wiederum bei Patienten, bei denen eine Miosis unerwünscht ist.
Welche Nebenwirkungen sind möglich?
In der Fachinformation von Salagen werden zum Beispiel Kopfschmerzen, häufigere Blasenentleerung und Schwitzen als sehr häufige Nebenwirkungen aufgezählt. Systemische Nebenwirkungen der lokalen Therapie sind selten und können wie bereits beschrieben mit geeigneten Maßnahmen umgangen oder zumindest abgemildert werden. Lokale Reaktionen am Auge wie Probleme beim Sehen in der Dämmerung oder Akkommodationstörungen sind möglich.
Welche Wechselwirkungen gilt es zu beachten?
Laut der Fachinformation von Salagen kann die gleichzeitige Einnahme von β-adrenergen Antagonisten zu Reizleitungsstörungen am Herzen führen. Bei gleichzeitiger Einnahme von Arzneimitteln mit parasympathomimetischer Wirkung ist wenig überraschend mit additiven Effekten zu rechnen. Zudem kann es unter Pilocarpin zur Antagonisierung der anticholinergen Wirkung anderer gleichzeitig angewendeter Arzneimittel kommen, zum Beispiel von inhaliertem Ipratropiumbromid.
Wenn auch nicht klinisch belegt, kann die miotische Wirkung von Pilocarpin antagonisiert werden durch langfristige Therapien mit topisch oder systemisch verabreichten Corticoiden, Anticholinergika, Antihistaminika, Pethidin, Sympathomimetika oder trizyklischen Antidepressiva. Zudem kann Pilocarpin auch nach lokaler Applikation am Auge die Wirkung depolarisierender Muskelrelaxanzien verlängern. Die Wirkung stabilisierender Muskelrelaxanzien kann dagegen vermindert werden.
Was ist mit Pilocarpin in Schwangerschaft und Stillzeit?
Eine Empfehlung für den Einsatz in Schwangerschaft und Stillzeit existiert nicht.
Was kann Pilocarpin noch?
Halbfeste Pilocarpin-Zubereitungen werden als mögliche Behandlung der Phthiriasis palpebrarum, eines Befalls der Wimpern mit Filzläusen, genannt. Zudem lassen sich in der Forschung mithilfe von Pilocarpin epileptische Anfälle auslösen.
Strukturformel Pilocarpin / Foto: Wurglics