Steckbrief Liraglutid |
Daniela Hüttemann |
31.05.2023 07:00 Uhr |
Liraglutid ist ein Biologikum, das parenteral gegeben werden muss. Es wird einmal täglich gespritzt, in der Regel vom Patienten selbst. / Foto: Adobe Stock/mehmet
Wie wirkt Liraglutid?
Liraglutid ist ein Analogon des Inkretin-Hormons Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) und wird daher auch als Inkretinmimetikum bezeichnet. Wie GLP-1 stimuliert Liraglutid glucoseabhängig die Insulinsekretion, senkt die Glucagonsekretion, verlangsamt die Magenentleerung und reduziert den Appetit. Es kann also den Blutzucker senken und dabei helfen, das Gewicht zu reduzieren. Durch chemische Modifikationen ist es länger wirksam als das natürliche GLP-1.
Was sind die Einsatzgebiete von Liraglutid?
Seit 2009 ist Liraglutid in Deutschland als Victoza® verfügbar zur Behandlung eines unzureichend kontrollierten Typ-2-Diabetes bei Erwachsenen und Kindern ab zehn Jahren zusätzlich zu Diät und körperlicher Aktivität. Es kann mit anderen Antidiabetika kombiniert werden oder als Monotherapie eingesetzt werden, wenn Metformin aufgrund einer Unverträglichkeit oder Kontraindikation ungeeignet ist. Als Antidiabetikum ist Liraglutid verordnungsfähig zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Seit 2016 steht Liraglutid darüber hinaus als Saxenda® als Antiadipositum für Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren ergänzend zu einer kalorienreduzierten Ernährung und mehr körperlicher Aktivität zur Verfügung. Der Ausgangs-BMI muss entweder mindestens 30 kg/m2 betragen oder zwischen 27 und 30 kg/m2, wenn mindestens eine gewichtsbedingte Begleiterkrankung vorliegt. Zum Abnehmen ist Liraglutid bislang nicht verordnungsfähig zulasten der GKV (Stand Mai 2023).
Welche Gegenanzeigen gibt es?
Liraglutid darf Diabetes-Patienten nicht als Ersatz für Insulin verordnet werden. Bei Typ-1-Diabetes soll es nicht eingesetzt werden. Nicht empfohlen wird die Anwendung bei Herzinsuffizienz NYHA-Stadium IV und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Vorsicht ist angebracht bei leichter bis mittelschwerer Einschränkung der Leberfunktion sowie Schilddrüsenerkrankungen.
Da Sicherheit und Wirksamkeit zur Gewichtsreduktion bei folgenden Gruppen nicht erwiesen sind, wird die Anwendung von Saxenda hier nicht empfohlen: Alter ab 75 Jahren oder unter zwölf Jahren, bei gleichzeitiger Anwendung von anderen Produkten zur Gewichtsreduktion oder von Arzneimitteln, die zu einer Gewichtszunahme führen können, bei Adipositas als Folge einer endokrinen Störung oder Essstörung sowie bei schwerer Einschränkung der Nieren- oder Leberfunktion.
Dürfen Schwangere und Stillende mit Liraglutid behandelt werden?
Es liegen nur begrenzte Daten vor, daher darf Liraglutid nicht während der Schwangerschaft und soll nicht während der Stillzeit eingesetzt werden.
Wie wird Liraglutid dosiert?
Gestartet wird in beiden Indikationen mit 0,6 ml Liraglutid einmal täglich. Zur Gewichtsreduktion wird innerhalb von fünf Wochen bis auf eine Erhaltungsdosis von 3,0 mg einmal täglich hochdosiert. Bei Diabetes beträgt die Erhaltungsdosis nur maximal 1,8 mg täglich. Für Saxenda gilt: Hat der Patient nach zwölf Wochen Behandlung mit der Erhaltungsdosis nicht mindestens 5 Prozent des ursprünglichen Körpergewichts verloren, soll das Arzneimittel wieder abgesetzt werden, weil der Patient offensichtlich nicht darauf anspricht.
Unabhängig von der Indikation wird Liraglutid einmal täglich subkutan per Fertigpen in Bauch, Oberschenkel oder Oberarm gespritzt. Die Applikation kann unabhängig von den Mahlzeiten erfolgen, aber jeden Tag möglichst etwa zur gleichen Zeit.
Welche Nebenwirkungen sind möglich?
Sehr häufig kommt es zu Kopfschmerzen und gastrointestinalen Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Verstopfung. Schwindel, Mundtrockenheit, Geschmacksstörungen, Blähungen und Sodbrennen sind häufig, ebenso Schlafstörungen in den ersten drei Monaten.
Besonders gewarnt wird in Produkt- und Fachinformationen vor Hypoglykämien, akuter Pankreatitis, Gallensteinen und Gallenentzündung, Dehydrierung und in der Folge Beeinträchtigung der Nierenfunktion und akutem Nierenversagen. Da Liraglutid die Herzfrequenz erhöhen kann, sollte diese regelmäßig ärztlich überprüft werden.
Welche Wechselwirkungen sind zu beachten?
Bei Diabetes-Patienten, die mit Insulin beziehungsweise Sulfonylharnstoffen behandelt werden, sollte der Arzt beim Start einer Liraglutid-Behandlung eine Dosisreduktion dieser Wirkstoffe erwägen, um das Risiko für eine Hypoglykämie zu senken. Der Patient soll regelmäßig selbst den Blutzucker kontrollieren, um die Insulindosis anzupassen.
Welche weiteren GLP-1-Analoga gibt es?
Der erste GLP-1-Agonist auf dem deutschen Markt war 2007 Exenatid (Byetta™), Liraglutid folgte 2009 und seitdem noch Lixisenatid, Dulaglutid und Semaglutid. Die entsprechenden Präparate unterscheiden sich teilweise in ihrer Wirkdauer, in den zugelassenen Indikationen und in der Darreichungsform. So muss Exenatid als Byetta™ zweimal täglich gespritzt werden, als Bydureon® ebenso wie Dulaglutid (Trulicity®) und Semaglutid (Ozempic®) nur einmal wöchentlich. Lixisenatid steht als Suliqua® als Fixkombination mit Insulin glargin für die einmal tägliche Anwendung zur Verfügung. Semaglutid ist als Rybelsus® zudem in Tablettenform zugelassen (Einnahme einmal täglich). Alle genannten Präparate werden bei Typ-2-Diabetes eingesetzt. Darüber hinaus besitzt Semaglutid als Wegovy™ auch eine Zulassung als Antiadipositum; dieses Präparat wird einmal wöchentlich gespritzt. Weder Rybelsus noch Wegovy wurden allerdings vom Hersteller Novo Nordisk bislang in Europa auf den Markt gebracht.
Was steckt hinter dem Hype um die GLP-1-Analoga?
Nach Berichten über zum Teil erhebliche Gewichtsverluste unter Anwendung von GLP-1-Analoga ist die Nachfrage nach den Wirkstoffen stark gestiegen. Das hat Folgen: Saxenda ist zurzeit nicht lieferbar und auch Ozempic wird voraussichtlich für das gesamte Jahr 2023 nicht zu bekommen sein, obwohl dieses Präparat ja eigentlich nur zur Behandlung von Typ-2-Diabetikern zugelassen ist. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die als Antidiabetika zugelassenen GLP-1-Analoga häufig off Label zum Abnehmen eingesetzt werden.
Sollte die Lieferfähigkeit der Präparate deren Auswahl irgendwann nicht mehr einschränken, könnte sich abzeichnen, dass Semaglutid als Antiadipositum besser wirksam ist als Liraglutid. Das zeigte jedenfalls die STEP-8-Studie, deren Ergebnisse 2022 im Fachjournal »JAMA« erschienen (DOI: 10.1001/jama.2021.23619). Die Teilnehmenden nahmen darin innerhalb von 68 Wochen mit Semaglutid durchschnittlich 15,8 Prozent ihres Ausgangs-Körpergewichts von 104 kg ab, mit Liraglutid 6,4 Prozent.