Steckbrief Glatirameracetat |
Daniela Hüttemann |
20.02.2025 18:00 Uhr |
Copaxone® ist das Originator-Präparat. Dabei soll das »Cop« für Copolymer und »axon« für die Nervenzellfortsätze stehen, deren Myelinschicht bei einer MS vom Immunsystem attackiert wird. / © Adobe Stock/Andrew Barker
Wie wirkt Glatirameracetat?
Glatirameracetat ist ein synthetisch hergestelltes Eiweißmolekül. Es besteht aus den vier natürlich vorkommenden Aminosäuren L-Alanin, L-Glutaminsäure, L-Lysin und L-Tyrosin in zufälliger Reihenfolge, aber festem molaren Verhältnis, die sich zu Polypeptiden unterschiedlicher Länge verbinden. Der genaue Wirkmechanismus bei MS ist unbekannt. Auf jeden Fall wirkt es immunmodulierend: Glatirameracetat reduziert nachweislich die Schubfrequenz bei MS. Da das Molekül Ähnlichkeit mit Myelin hat, einem Baustein der Isolierschicht der Nervenzellen, könnte es wie eine Desensibilisierung wirken.
Was ist das Einsatzgebiet von Glatirameracetat?
Zugelassen ist Glatirameracetat zur Behandlung von rezidivierenden Formen der MS, also schubförmiger MS, nicht jedoch bei primär oder sekundär progredienter MS.
Welche Gegenanzeigen gibt es?
Bei bestehenden Herzerkrankungen sollte die Anwendung nur unter Vorsicht erfolgen. Sicherheit und Wirksamkeit bei Kindern und Jugendlichen sind nicht erwiesen. Für 12- bis 18-Jährige gibt es Daten in begrenztem Umfang, die auf ein vergleichbares Sicherheitsprofil von 20 mg Glatirameracetat wie bei Erwachsenen hinweisen. Unter 12 Jahren darf es nicht angewendet werden.
Wie wird Glatirameracetat angewendet?
Glatirameracetat verabreicht sich der Patient nach entsprechender Schulung selbst subkutan in Bauch, Arm, Hüfte oder Oberschenkel, entweder 20 mg einmal täglich oder 40 mg dreimal wöchentlich im Abstand von mindestens 48 Stunden. Die Injektionsstelle sollte jedes Mal gewechselt werden, um Irritationen und Schmerzen zu vermeiden.
Welche Wechselwirkungen gibt es mit Glatirameracetat?
Klinisch relevante Interaktionen sind laut ABDA-Artikelstamm bisher nicht bekannt.
Welche Nebenwirkungen sind zu beachten?
Sehr häufig kommt es unter der Anwendung von Glatirameracetat zu Infektionen, Angst, Depression, Kopfschmerzen, Vasodilatation, Dyspnoe, Übelkeit, Ausschlag, Gelenk-, Brust- und Rückenschmerzen, Schwäche und Kraftlosigkeit sowie Reaktionen und Schmerz an der Injektionsstelle. Auch eine Gefäßerweiterung (Flush), Brustschmerzen, Dyspnoe, Herzklopfen oder Tachykardie innnerhalb von Minuten nach einer Injektion können vorkommen. Diese Reaktionen sind jedoch meist vorübergehend. Möglich sind auch anaphylaktische Reaktionen und Leberschäden. Im August 2024 machte ein Rote-Hand-Brief darauf aufmerksam, dass anaphylaktische Reaktionen auch Monate bis Jahre nach Therapiebeginn auftreten können.
Darf Glatirameracetat in Schwangerschaft und Stillzeit angewendet werden?
Auch schwangere und stillende Frauen mit MS können Glatirameracetat anwenden. Der Erfahrungsumfang ist laut Embryotox, dem Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Berliner Charité, im ersten Schwangerschaftsdrittel hoch und es sei bislang keine Teratogenität beobachtet worden. Glatirameracetat muss bei der Planung und nach Eintreten einer Schwangerschaft nicht abgesetzt werden. Laut Embryotox ist im Verlauf der Schwangerschaft, vor allem im dritten Trimenon, eine Therapiepause vertretbar, da durch die Schwangerschaft meist die Krankheitsaktivität nachlässt. Eine Fortführung der Therapie sei jedoch akzeptabel. Ebenfalls als sicher gelten Interferone. Beide Wirkstoffklassen können gemäß Leitlinie nach Nutzen-Risiko-Abwägung bei hoher Krankheitsaktivität fortgeführt werden.
Welchen Stellenwert hat Glatirameracetat in der MS-Therapie?
Glatirameracetat steht seit 2001 unter dem Namen Copaxone® in Deutschland zur Verfügung. In den USA war das Originalpräparat von Teva bereits 1996 auf den Markt gekommen. Daneben sind die Biosimilars Clift® und Glatirameracetat AbZ verfügbar.
Gemäß der aktuellen MS-Leitlinie sollten zu Therapiebeginn in der Regel Medikamente aus der Wirksamkeitskategorie 1 gewählt werden, insbesondere Interferone oder Glatirameracetat, deren Wirksamkeit vergleichbar ist (in diese Kategorie gehören außerdem Teriflunomid und Dimethylfumarat). Die Auswahl soll sich in erster Linie nach den Nebenwirkungen sowie Vorlieben und Vorerkrankungen des Patienten richten. Bei einem wahrscheinlich hochaktiven MS-Verlauf startet die Therapie dagegen mit Medikamenten aus den Kategorien 2 oder 3.