Steckbrief Betahistin |
Laura Rudolph |
19.05.2025 16:20 Uhr |
Schwindelanfälle im Rahmen von Morbus Menière dauern 20 Minuten bis 24 Stunden und gehen mit Drehschwindel, Ohrgeräuschen, Hörverlust und einem Druckgefühl im Ohr einher. / © Adobe Stock/Tunatura
Wofür wird Betahistin eingesetzt?
Das typische Einsatzgebiet von Betahistin ist Schwindel, der vom Gleichgewichtsorgan herrührt – auch im Zusammenhang mit Morbus Menière, einer Innenohrerkrankung, die durch ein Symptomtrio aus Schwindelanfällen, Hörminderung und Tinnitus gekennzeichnet ist. Ebenfalls kommt der Wirkstoff bei Hydrops cochleae, einer krankhaften Flüssigkeitsansammlung im Innenohr, zur Anwendung.
Wie wirkt Betahistin?
Betahistin ist ein Histaminanalogon. Der genaue Wirkmechanismus ist nicht vollständig geklärt, jedoch gibt es plausible Hypothesen, die auf Studien an Menschen und Tieren basieren. Demnach wirkt Betahistin im neuronalen Gewebe sowohl als partieller H1-Rezeptoragonist als auch als H3-Rezeptorantagonist. Der Wirkstoff greift also in die Aktivität des Botenstoffs Histamin im zentralen Nervensystem ein und soll dadurch die Durchblutung des Innenohrs und des gesanten Gehirns erhöhen. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass sich kleine Muskeln in den Blutgefäßen des Innenohrs entspannen, wodurch der Blutfluss erleichtert wird.
Betahistin beeinflusst außerdem die Wahrnehmung und Verarbeitung von Nervenimpulsen in den Gleichgewichtszentren des Gehirns. Dies kann Schwindel, Ohrgeräusche und Kopfschmerzen sowie Übelkeit und Erbrechen lindern. Die Wirkung ist jedoch umstritten. In der BEMED-Studie (»BMJ« 2016, DOI: 10.1136/bmj.h6816) mit 221 Morbus-Menière-Patienten lag die Wirkung nur leicht über Placeboniveau.
Wie wird Betahistin dosiert?
Der Wirkstoff ist in Arzneimitteln in zwei verschiedenen Formen verfügbar: als Betahistin-Dihydrochlorid in Tabletten oder Tropfen und als Betahistin-Dimesilat in Tabletten. Die übliche Dosis des Dihydrochlorids beträgt für Erwachsene 24 bis 48 mg pro Tag und kann auf bis zu drei Einzeldosen aufgeteilt werden. Beim Dimesilat sind Tagesdosen von 6 bis 12 mg und ebenfalls bis zu drei Einmaldosen üblich. Die Dosierung sollte an die individuellen Bedürfnisse des Patienten angepasst werden.
Wie lange dauert eine Therapie mit Betahistin?
Bei Betahistin handelt es sich in der Regel um eine Langzeittherapie, die meist über mehrere Monate fortgeführt wird. Bis zum Wirkeintritt können mehrere Wochen vergehen.
Welche Wechselwirkungen sind zu beachten?
»Bei der Einnahme von Betahistin in Kombination mit anderen Arzneimitteln ist aufgrund fehlender Interaktionsdaten Vorsicht geboten«, heißt es in der Fachinformation entsprechender Präparate. Basierend auf In-vitro-Daten seien keine CYP-Interaktionen zu erwarten. Jedoch ist die Wechselwirkung von Betahistin mit unselektiven Hemmstoffen der Monoaminoxidase (MAO), beispielsweise Tranylcypromin, und mit selektiven MAO-B-Hemmern wie Selegilin und Rasagilin, zu beachten. Sie stören den Abbau von Betahistin, weshalb bei gleichzeitiger Anwendung Vorsicht geboten ist.
Als partieller H1-Rezeptoragonist kann Betahistin zudem die Wirkung von Antihistaminika abschwächen – und umgekehrt. Daher sollten beide nicht gleichzeitig eingenommen werden. Soll eine Therapie mit Betahistin auf eine Therapie mit einem Antihistaminikum folgen, empfiehlt es sich, das Antihistaminikum zunächst über etwa sechs Tage auszuschleichen. Andernfalls kann es zu Entzugserscheinungen wie Unruhe und Schlafstörungen kommen, da die meisten Antihistaminika eine leicht sedierende Wirkung haben, die dann abrupt wegfallen würde.
Ob Betahistin mit anderen Arzneimitteln interagiert, die ebenfalls bei Morbus Menière zum Einsatz kommen können, wurde nicht untersucht. Dazu zählen etwa Vasodilatanzien, Psychopharmaka wie Sedativa, Tranquilizer und Neuroleptika sowie Parasympatholytika und Vitamine.
Welche Kontraindikationen sind zu beachten?
Zu den Gegenanzeigen für eine Behandlung mit Betahistin zählen Asthma bronchiale und ein Phäochromozytom, ein Tumor, der meist im Nebennierenmark sitzt und Katecholamine wie Noradrenalin produziert. Ebenso dürfen Schwangere, Stillende sowie Kinder und Jugendliche den Wirkstoff nicht anwenden, da es nicht genug Sicherheitsdaten gibt. Eine relative Kontraindikation sind Magen-Darm-Geschwüre.
Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Als Nebenwirkungen von Betahistin werden Kopfschmerzen, Benommenheit, Herzklopfen, Magen-Darm-Beschwerden, flüchtiger Hautausschlag mit Hautrötung und Quaddelbildung sowie Hitzegefühle aufgeführt. Die Häufigkeit ist unbekannt. In seltenen Fällen kann es außerdem zu Brustbeklemmungen kommen. Gastrointestinale Beschwerden lassen sich in der Regel durch den Einnahmezeitpunkt zum oder nach dem Essen oder durch eine Verringerung der Dosis vermeiden.
Was ist bei älteren Patienten zu beachten?
Betahistin wird in der PRISCUS-Liste 2.0 als potenziell inadäquat für ältere Menschen eingestuft, da der Wirkstoff zu einer Sedierung führen kann. Er sollte bei dieser Patientengruppe nur mit Vorsicht angewendet werden.
Was ist in Bezug auf die Fahrtüchtigkeit zu beachten?
Da Betahistin zu Schläfrigkeit führen kann, kann dies die Reaktionsfähigkeit beeinträchtigen. In klinischen Studien war dieser Effekt jedoch vernachlässigbar. Dagegen kann die Schwindelerkrankung selbst, gegen die Betahistin eingenommen wird, die Reaktionsfähigkeit beeinträchtigen. Ob Betahistin-Anwender ein Fahrzeug fahren oder Maschinen bedienen dürfen, muss letztlich individuell entschieden werden.
Strukturformel Betahistin / © Wurglics