Stadtplanung nach Vorbild des Gehirns |
Jennifer Evans |
29.09.2025 07:00 Uhr |
Stadtplanung nach Gehirnprinzipien: Parallelen wie Vernetzung, Effizienz und Kommunikation lassen sich übertragen – und nutzen. / © Getty Images/Andriy Onufriyenko
Angesichts unserer zersplitterten Städte, in denen soziale Unterschiede zunehmen und Ressourcenoptimierung immer dringender wird, hält der Umweltneurowissenschaftler Dr. Robin Mazumder es für sinnvoll, wenn Stadtplaner von einem Nervensystem lernen würden, das auf das kollektive Überleben ausgerichtet ist. Er ist Postdoktorand am Future Cities Institute der Universität Waterloo in Kanada und untersucht, wie die physische und soziale Struktur von Städten Gefühle, Verhalten und zwischenmenschliche Beziehungen beeinflusst.
Geht es nach Mazumder sollten Städte von den Organisationsprinzipien des Gehirns lernen. In seinen Augen würde so nicht nur die Gesellschaft besser funktionieren, sondern auch die Lebensqualität der Menschen in den Metropolen steigen. In seinem Kommentar im Fachjournal »Nature Human Behaviour« bringt er dafür das Konzept der »Neuromimikry« ins Spiel.
Neuromimikry versteht sich als Erweiterung der Biomimikry, welche natürliche Strukturen und Prozesse als Vorbild für technische Innovationen nutzt. Als ein historisches Beispiel nennt er etwa den 1934 von Nervenzellen inspirierten »Schmitt-Trigger«, eine elektronische Schaltung, die analoge Signalschwankungen in stabile digitale Signale umwandelt. Wenn die Natur Modelle für Hardware liefere, warum nicht auch für lebenswertere Städte – zumal Stadt und Gehirn über vergleichbare Strukturen und Netzwerke verfügten, argumentiert er.
Das Gehirn arbeitet an der Grenze zwischen Ordnung und Chaos. Ähnlich hochdynamisch und wenig linear funktionieren auch städtische Systeme. Ein Erklärungsmodell liefert das mathematische Konzept der sogenannten freien Energie, das auf den britischen Neurowissenschaftler Karl Friston zurückgeht. Es beschreibt, wie das Gehirn Überraschungen minimiert, indem es sein Weltmodell kontinuierlich anpasst oder die Welt an seine Vorhersage anpasst. Und damit reduziert sich die freie Energie.
Übertragen auf die Stadt heißt das: Planung sollte Ressourcen effizient nutzen und Unterschiede ausgleichen. Dabei gehe es nicht darum, die Stadt wie ein Gehirn aufzubauen, sondern wichtige Prinzipien des zentralen Nervensystems wie Kommunikation, Vernetzung, Bewegung und Ressourcenverteilung zu übernehmen, betont Mazumder.
Beispiel Verkehrsplanung: Wie das Gehirn ist auch eine Stadt abhängig von Effizienz und Qualität seiner Verbindungen. So nutzt ein isolierter Radweg wenig, wenn er nicht in ein größeres Netz eingebunden ist. Netzwerkeffekte zeigen laut Mazumder: Je besser die Knotenpunkte einer Infrastruktur verbunden sind, desto häufiger kommen sie zum Einsatz. Konzepte wie die sogenannte 15-Minuten-Stadt verdeutlichen, wie Nähe und gute Anbindung Lebensqualität schaffen und Menschen ihr Auto häufiger stehen lassen können.
Außerdem arbeitet das Gehirn mit spezialisierten Regionen etwa für Sehen oder Sprache. Eine Verbindung zwischen solchen Gehirnregionen ist für bestimmte kognitive Prozesse nötig. Übertragen auf eine Stadt bedeutet das: bestimmte Viertel könnten sich auf eine konkrete Funktion konzentrieren – sei es auf Kunst, Innovation oder Industrie. Das sei nicht nur kostengünstiger, sondern fördere die Zusammenarbeit und stärke einige Bereiche der Stadt, so der Umweltneurowissenschaftler.
Für ebenso übertragbar hält der Autor das Prinzip der Selbstorganisation von Gehirnzellen. Selbstbau und Selbstverwaltung könnten urbane Resilienz stärken und dynamisches Wachstum ermöglichen, wenn sie etwa auf Bürgerinitiative fußen.
Schließlich verweist er auf die Bedeutung von Heilung, Anpassung und Feedback. Das Gehirn reagiere auf Verletzungen, korrigiere Fehler und lerne aus Erfahrungen. Städte sollten seiner Ansicht nach ähnlich handeln: auf Probleme reagieren, aus Fehlplanungen lernen und evidenzbasierte Verbesserungen umsetzen.
Neuromimikry liefert seiner Auffassung nach einen Ansatz, um Städte reaktionsfähiger, gesünder und nachhaltiger zu gestalten – in Analogie zu den Prinzipien, die das Überleben des Gehirns sichern.