Springende Gene zur Genomeditierung |
Theo Dingermann |
05.07.2024 09:00 Uhr |
Hervorzuheben ist, dass beide untersuchten Systeme, IS110 und IS1111, zur Transposition nur ein einziges Protein benötigen, das zudem weniger als halb so groß ist wie viele der Cas-Enzyme, die in CRISPR/Cas-Systemen für die Genomeditierung verwendet werden. Dieser Größenunterschied ist für potenzielle medizinische Anwendungen wichtig. Denn die Viren, die häufig verwendet werden, um Genomeditierungs-Komponenten in menschliche Zellen einzuschleusen, haben nur eine begrenzte Ladekapazität.
Obwohl natürlich spekuliert wird, wie nützlich die neu entdeckten Systeme sein könnten, ist eine genaue Kenntnis der Funktionsmechanismen unabdingbar, bevor über sinnvolle Applikationen nachgedacht werden kann.
Darauf verweisen auch Experten, die vom Science Media Center zu den Publikationen befragt wurden.
So betont beispielsweise Professor Dr. Holger Puchta, Inhaber des Lehrstuhls Molekularbiologie und Biochemie der Pflanzen am Karlsruher Institut für Technologie, dass es sich hier um Grundlagenforschung handele. Das Neue an den Arbeiten sei die Entdeckung der bRNA und die Aufklärung des Mechanismus, nach dem diese RNA das DNA-Element zum Targetlokus lenkt. »Da man die bRNA nach Belieben sowohl in den Bereichen für die Target- als auch für die Insert-Erkennung verändern kann, hat man so ein neues programmierbares Werkzeug geschaffen, jede beliebige DNA an jede beliebige Stelle ins Genom zu integrieren«, sagt er. »Das Ganze hat ein herausragendes Potenzial, ist aber momentan noch relativ weit von einer praktischen Anwendung in Medizin oder Pflanzenzüchtung entfernt.«
Das bestätigt auch Professor Dr. Lennart Randau, Leiter der Arbeitsgruppe Prokaryotische RNA-Biologie im Fachbereich Genetik der Philipps-Universität Marburg. Die Entdeckung könne mit einer sehr kompakten Rekombinase und einem eleganten Mechanismus zur Auswahl der auszutauschenden DNA-Elemente punkten. Bisher sind aber alle Arbeiten an Bakterien gemacht worden. In Eukaryoten (Zellen mit Zellkern) kommen IS-Elemente nicht vor. Randau sieht aber keinen Grund, warum das System nicht auch für einen Einsatz beispielsweise in menschlichen Zellen optimiert werden könne.
Allerdings könnten hierfür »umfangreiche technische Anpassungen erforderlich sein«, ergänzt Professor Dr. Chase Beisel, Leiter der Forschungsabteilung Synthetische RNA-Biologie am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg . »Wenn es gelingt, könnte das Werkzeug besonders nützlich für den Bereich Gentherapie sein, der auf dem Austausch von Genen beruht, sowie für Pflanzen, um wünschenswerte Eigenschaften wie Trockenheitsresistenz zu erzeugen.«
Er weist auf einen interessanten Vorteil der Genomeditierung mithilfe der IS-Biologie hin: »Das Werkzeug kann große DNA-Sequenzen einfügen, ohne dabei doppelsträngige Brüche zu erzeugen. Diese Fähigkeit wurde bereits früher gezeigt, erforderte aber mehrere Schritte oder viele Komponenten. Im Gegensatz dazu wird die DNA-Insertion hier mit nur drei Komponenten und in einem einzigen Schritt durchgeführt.«