Sport ist die beste Medizin |
Sport fürs Herz: Schon zehn Minuten langsames Joggen täglich halbiert das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben. / Foto: Adobe Stock/Mediteraneo
Der Volksmund weiß es schon lange: »Wer rastet, der rostet« und »Bewegung ist die beste Medizin«. Wie sehr – und warum – er damit recht hat, dazu lieferten Forschende in den letzten Jahren immer mehr Erkenntnisse. Und stellten dabei fest, dass die gesundheitlichen Effekte von regelmäßigem Sport die bisherigen Erwartungen oft weit übertrafen.
Zahlreiche Studien belegen inzwischen, dass körperliches Training das Leben verlängert – unabhängig von Alter, Gesundheitszustand und Art eventueller Erkrankungen. Menschen, die täglich 15 Minuten lang sportlich aktiv sind, senken ihr Mortalitätsrisiko um 14 Prozent und leben im Schnitt drei Jahre länger als Bewegungsmuffel. Das zeigte eine prospektive Studie aus Taiwan mit mehr als 400.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Wer 50 Minuten intensiv trainierte, konnte sein Sterberisiko sogar um knapp die Hälfte verringern (1). Eine ähnliche Dosis-Wirkungs-Relation bestätigen viele andere Studien.
Einer der Hauptgründe für den lebensverlängernden Effekt von Sport ist der positive Einfluss auf kardiovaskuläre Risikofaktoren. Das ist seit Langem bekannt und wird dennoch oft unterschätzt (Tabelle).
»Bei Bluthochdruck gibt es keine bessere Medizin als allgemeines Ausdauertraining«, sagt Dr. Christiane Wilke vom Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln. »Dadurch könnte man eine Menge Blutdrucksenker sparen.«
Erkrankungsgruppe | Beispiele |
---|---|
metabolisch | Adipositas, Hyperlipidämie, metabolisches Syndrom, Typ-2- und Typ-1-Diabetes, polyzystisches Ovar-Syndrom |
kardiovaskulär | Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Schlaganfall, periphere arterielle Verschlusskrankheit |
Atemwegserkrankungen | COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung), Asthma, zystische Fibrose (Mukoviszidose) |
Erkrankungen des Bewegungsapparats | Osteoporose, Rückenschmerzen, Morbus Bechterew, Arthrose, rheumatoide Arthritis |
Krebs | |
Schmerzsyndrome | Fibromyalgie, Dysmenorrhö |
psychiatrisch | Depression, Angsterkrankungen, Schizophrenie |
neurologisch | Demenz, Parkinson, MS, Migräne |
Regelmäßige Bewegung mit leicht erhöhter Pulsfrequenz verbessert die Sauerstoffzufuhr und ökonomisiert so die Herzarbeit. Pro Schlag fließt also mehr sauerstoff- und nährstoffreiches Blut zu den Organen. In einer Metaanalyse sank der systolische Blutdruck bei Menschen mit Hypertonie durch regelmäßiges Training im Schnitt um 8,3 und der diastolische Wert um 5,2 mmHg (2). Gleichzeitig nahm der Gefäßwiderstand im Körperkreislauf ab. Vermittelt wird diese Wirkung offenbar durch das autonome Nervensystem: Bei körperlich fitten Menschen schüttet der Organismus weniger blutdrucksteigernde Botenstoffe wie Noradrenalin und Renin aus.
Selbst von Kraftsport – früher ein No-Go für Bluthochdruckkranke – raten Experten heute nicht mehr ab. Voraussetzung ist allerdings die richtige Technik: Weil das kurzzeitige Luftanhalten bei Belastung zu Blutdruckspitzen führen kann, sollten Betroffene auf eine gleichmäßige Atmung achten. Zahlreiche Studien belegen inzwischen, dass intensives Muskeltraining Hypertonie lindern kann. Insbesondere isometrische Übungen schnitten oft sogar besser als Ausdauersport ab.
Die jungen Ballerinas zeigen es: ein Herz für Sport. / Foto: Getty Images/Nastasic
Auch das Lipidprofil verbessert sich durch Sport: In Studien stieg das »gute« HDL-Cholesterol durch dreimal wöchentliches Ausdauertraining um bis zu 15 mg/dl, während der Triglyceridwert um bis zu 28 mg/dl sank (3). Zudem fördert Sport die Ausschüttung gefäßerweiternder Botenstoffe und verbessert die Endothelfunktion. All das bremst die Entstehung von atherosklerotischen Plaques und verringert die Gefahr eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls – die häufigsten Todesursachen in Deutschland.
Schon mit vergleichsweise wenig Aufwand lassen sich beeindruckende Effekte erzielen. Unabhängig von anderen Einflussfaktoren wie Übergewicht, familiärer Veranlagung und Rauchen halbieren zehn Minuten langsames Joggen täglich das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben (4). Das ist mehr, als Medikamente schaffen.
Ein erhöhter Blutzuckerspiegel – neben Hypertonie und Dyslipidämie ein weiterer Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – lässt sich durch körperliche Aktivität ebenfalls regulieren. Hier waren sowohl Ausdauersport als auch Muskeltraining effektiv. »Aktives Gewebe, also Muskelmasse, verbraucht auch in Ruhe viel mehr Energie als Fett. Dadurch wird Blutzucker besser abgebaut«, erläutert die Sportwissenschaftlerin. Muskelarbeit verbessert außerdem die Insulinsensitivität der Zellen, selbst wenn bereits ein Typ-2-Diabetes vorliegt.
Eine große Metaanalyse zeigte: Schon 2,5 Stunden flottes Spazierengehen pro Woche verringert bei Gesunden das Diabetesrisiko um 30 Prozent (5). Menschen, die bereits an Diabetes erkrankt waren, konnten ihren HbA1c-Wert durch strukturiertes Training um durchschnittlich 0,7 Prozent senken (6).
Zum Vergleich: Das Standard-Antidiabetikum Metformin bewirkt in der Monotherapie eine HbA1c-Senkung von 1,3 Prozent – führt aber auch oft zu Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall.
Vor wenigen Jahren entdeckte eine deutsche Forschungsgruppe einen weiteren Mechanismus, über den Sport zu einem längeren Leben beitragen könnte. Sie fand heraus, dass regelmäßiges Ausdauertraining die Telomerase-Aktivität in Blutzellen erhöht (7). Dieses Enzym verlängert die Telomere – die Schutzkappen an den Enden der Chromosomen, die im Verlauf der Zellalterung immer mehr abgebaut werden. Die Telomerlänge gilt unter anderem als Marker für die Endothelfunktion und das Atheroskleroserisiko.
Relativ neu ist auch die Erkenntnis, dass die Skelettmuskulatur in Bewegung eigene Botenstoffe produziert, die Myokine. Einige von ihnen wirken beispielsweise antientzündlich und bremsen die Plaquebildung. Auch sie tragen dazu bei, dass Sport vor Atherosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall schützt.
Körperliche Aktivität beeinflusst aber nicht nur das Herz-Kreislauf-System positiv. Auch die Knochengesundheit profitiert – vor allem von Krafttraining. »Die höhere Belastung des Bewegungsapparates regt die Osteoblastenaktivität an«, erklärt Wilke. Das steigert den Knochenaufbau und damit die Knochendichte; Osteopenie und Osteoporose wird entgegengewirkt. »Das funktioniert sowohl in der Prävention als auch in der Therapie – in praktisch jedem Stadium«, so die Expertin.
Kurze intensive Trainingseinheiten mit hoher Kraft haben Studien zufolge einen stärkeren Effekt als länger anhaltende moderate Belastungen. Für knochengesunde Menschen eignen sich auch Sportarten mit schnellen Stopps, Richtungswechseln und Sprüngen – wie etwa Fußball, Tennis oder ein »High Impact Workout«.
Wichtig ist ein möglichst umfassendes Ganzkörpertraining. Denn: Die Knochenmasse steigt nur an denjenigen Skelettstellen, auf die die Belastung einwirkt. Läufer verfügen daher meist über gute Dichtewerte im Femur (Oberschenkelknochen), aber vergleichsweise niedrige im Bereich der Lendenwirbel. Und leider gehen die erzielten Effekte wieder zurück, wenn das Training unterbrochen wird.
Sportlich aktive Kinder und Jugendliche profitieren dagegen lange von der maximalen Knochenmasse, die sie bis Mitte 20 aufbauen konnten: Der höhere Ausgangswert lässt die Knochendichte mit dem altersbedingten Rückgang von etwa 1 bis 2 Prozent pro Jahr erst später in kritische Bereiche sinken.
Bei Menschen, die bereits an Osteoporose leiden, steht dem potenziellen Benefit eines intensiven Muskeltrainings ein erhöhtes Frakturrisiko entgegen. Für diese Patienten sei Nordic Walking oder Vibrationstraining eine gute Alternative, rät Wilke. Auch ein angepasstes leichtes Krafttraining nach sport- oder physiotherapeutischer Anleitung könne den Knochenschwund reduzieren. Von der oft empfohlenen Wassergymnastik oder dem Schwimmen hält sie in diesem Zusammenhang wenig: »Für den Knochenaufbau braucht es den Einfluss der Schwerkraft. Der fehlt im Wasser.«
Unabhängig von der Knochenstabilität fördert körperliches Training auch die Koordination, die Beweglichkeit, das Reaktionsvermögen und das Gleichgewichtsgefühl. All das trägt ebenfalls dazu bei, Osteoporose-bedingte Knochenbrüche durch Stürze zu vermeiden.
Auch bei anderen chronisch-degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparats hilft Sport. Zum Beispiel bei Arthrose: »Der Knorpel ernährt sich durch Be- und Entlastung«, erklärt Wilke. Training fördere also die Knorpelqualität. Das beugt altersbedingten Abnutzungserscheinungen am Knochen vor und bremst bei einer bereits bestehenden Erkrankung das Fortschreiten. Zudem kann eine gut ausgebildete Muskulatur das betroffene Gelenk entlasten.
Die internationale Arthrose-Gesellschaft OARSI empfiehlt Patienten deshalb als wichtigste Therapiemaßnahme Bewegung – auch wenn sie anfangs schmerzt (8). In Studien haben sich beispielsweise tägliche Spaziergänge, Krafttraining, Yoga oder Wassergymnastik als hilfreich erwiesen.
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Menschen, bei denen ein Trainingsprogramm nicht anschlägt, also keine körperlichen Veränderungen bringt, werden oft als Nonresponder bezeichnet. Neuere Forschungsergebnisse sprechen jedoch dafür, dass es solche untrainierbaren Personen vermutlich gar nicht gibt. Ausschlaggebend sind vielmehr die Art und Intensität des Trainingsreizes: Manche Menschen sprechen beispielsweise auf zweimal wöchentliche Aktivität an, andere erst auf den doppelten Umfang. Bleibt der erhoffte Erfolg aus, so hilft es in der Regel, die Trainingsdauer und -häufigkeit zu steigern. Auch ein Wechsel der Sport- oder Trainingsart kann eine Verbesserung bringen – etwa vom Ausdauer- zum Intervalltraining.
Von Bedeutung ist zudem, welche Zielgröße durch das Training beeinflusst werden soll: Muskelmasse, Ausdauer, Gewicht, Blutfettwerte, Insulinempfindlichkeit oder maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit? Zwar fanden Studien durchaus Unterschiede, ob und wie stark sich einzelne Parameter bei den Probanden verbesserten. Verantwortlich dafür scheinen genetische Unterschiede. Dass sich überhaupt kein gesundheitlicher Effekt zeigte, kam jedoch nicht vor.
Bei akuten entzündlichen Prozessen – also geröteten heißen Gelenken etwa bei chronischer Polyarthritis – rät Wilke zu vorsichtiger Bewegung ohne große Belastung. Generell tue angemessenes Training aber auch Rheumapatienten gut, betont sie. Bewegungsübungen könnten helfen, die Gelenkfunktion, Muskelkraft und Alltagsbewältigung zu verbessern. Insbesondere könne Sport das Schmerzempfinden reduzieren: »Bewegungsreize vergrößern das Reizangebot für das Nervensystem. Dadurch verlagert sich der Fokus und die Schmerzwahrnehmung sinkt.«
Schmerzlinderung durch Sport? Für Menschen mit Fibromyalgie können regelmäßiges Ausdauertraining und Tai Chi hilfreich sein. / Foto: Getty Images/Kosamtu
Auch Menschen mit Fibromyalgie, einem nicht entzündlichen Muskelschmerz-Syndrom, profitieren von dieser Anhebung der Schmerzschwelle. Bei ihnen gelten regelmäßiges Ausdauertraining und Tai Chi als wirksamste Therapiemaßnahmen.
Darüber hinaus wirkt Bewegung chronischen Entzündungsreaktionen entgegen – nicht nur, aber auch bei rheumatoider Arthritis. Durch sportliche Aktivität sinkt langfristig der Serumspiegel an proinflammatorischen Markern wie CRP (C-reaktives Protein), Tumornekrosefaktor-alfa und -Interleukin-6. Unmittelbar nach einer hohen Belastung können diese Werte allerdings vorübergehend steigen.
Ähnlich differenziert reagiert das Immunsystem auf Sport. Hochintensive Trainingseinheiten schwächen es kurzfristig, doch nach einer Erholungsphase kehrt seine Leistungsfähigkeit zurück. Langfristig verbessert regelmäßige Bewegung die Immunfunktion: Die Zahl und Aktivität der B- und T-Zellen im Blut steigen, die Infektanfälligkeit sinkt. Besonders ausgeprägt scheint dieser Effekt zu sein, wenn das Training im Freien stattfindet.
Studien zeigen, dass die altersbedingte Schwächung der Abwehrkräfte (Immunseneszenz) bei sportlich aktiven Menschen deutlich langsamer abläuft als bei inaktiven (9). »Außerdem profitiert das Immunsystem vom verbesserten Stoffwechsel. Die Durchblutung peripherer Gebiete nimmt zu, Krankheitserreger werden schneller abtransportiert und die Regenerationsfähigkeit der Zellen steigt«, erläutert Wilke.
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Gesetzliche Krankenkassen beteiligen sich an den Kosten für einen Sportkurs, wenn der Anbieter bei der Zentralen Prüfstelle für Prävention zertifiziert ist. Erstattet werden in der Regel 80 bis 100 Prozent des Preises für bis zu zwei Kurse jährlich. Das gilt auch für Online-Angebote. Manche Krankenkassen bieten zusätzlich eigene Programme und Kurse an, an denen die Versicherten kostenfrei teilnehmen können.
Bei einigen Krankheitsbildern kann der Arzt darüber hinaus Rehasport verordnen, für den die Kasse die kompletten Kosten übernimmt: zum Beispiel bei Diabetes, Adipositas oder Rheuma sowie nach einem Schlaganfall, einem Bandscheibenvorfall oder einer Krebserkrankung.
Zumindest zum Teil lässt sich das verringerte Krebsrisiko bei Sportlern durch ein leistungsfähigeres Immunsystem erklären, beispielsweise durch die höhere Aktivität von natürlichen Killer-(NK-)Zellen, die Tumorzellen bekämpfen.
Eine große Metaanalyse belegt: Wer in seiner Freizeit viel Sport treibt, reduziert die Wahrscheinlichkeit für Lungenkrebs um 26 Prozent, für Darmkrebs um 16 Prozent und für Brustkrebs um 10 Prozent. Einzig für das maligne Melanom fand sich ein höheres Risiko, bedingt vermutlich durch die erhöhte UV-Dosis bei Draußen-Sportarten (10). Durch Sonnenschutz und regelmäßige Hautkrebsvorsorge lässt sich dem jedoch entgegenwirken.
Selbst nach einer Krebsdiagnose ist es nicht zu spät, mit dem Sport anzufangen. Patienten, die an Brust- oder Darmkrebs erkrankt waren, konnten ihr Sterberisiko in Studien durch regelmäßiges Training um mehr als ein Drittel senken (11). Darüber hinaus reduziert die körperliche Aktivität die oft sehr belastende Fatigue, verbessert die Lebensqualität und das psychische Wohlbefinden. Sind die Leukozyten- und Hämoglobinwerte während einer Chemo- oder Strahlentherapie jedoch sehr niedrig, raten Mediziner vom Training ab. Gleiches gilt bei Knochenmetastasen.
Nicht zu unterschätzen ist nach Erfahrung von Christiane Wilke die stimmungsaufhellende Wirkung von Sport: »Egal ob Kraft- oder Ausdauertraining – der Körper schüttet Endorphine aus.« Die höhere Konzentration von Dopamin, Serotonin und Noradrenalin im Blut reduziere Stressgefühle und hebe nachhaltig die Laune.
Zahlreiche Studien belegen: Bei Menschen mit Depressionen wirkt regelmäßiges physisches Training ähnlich effektiv wie eine Pharmako- oder Psychotherapie (12). Positive Effekte zeigte es auch bei Angsterkrankungen und Schlafstörungen. Patienten mit Schizophrenie konnten durch Sport Halluzinationen und andere psychische Symptome lindern.
Gehirn und Nervensystem profitieren darüber hinaus auch auf zellulärer Ebene von körperlicher Bewegung. Sie schafft etwas, was bisher kein Medikament kann: Sie stimuliert das Wachstum neuer Nervenverbindungen. Insbesondere im Hippocampus und im frontalen Cortex, also wichtigen Hirnregionen für die Gedächtnis- und die Lernfunktion, lässt Sport nachweislich neue Nervenzellen sprießen. Gefördert wird die sportvermittelte Neurogenese mutmaßlich durch den Wachstumsfaktor BDNF (brain-derived neurotrophic factor), eine verbesserte Sauerstoffversorgung des Gehirns und antientzündliche Effekte.
Das kann einer Demenz vorbeugen. Metaanalysen belegen, dass körperliche Aktivität das Risiko für Alzheimer um 28 Prozent und das für vaskuläre Demenz um 38 Prozent reduziert. Als besonders geeignet gelten Ausdauersportarten wie Schwimmen oder Laufen, aber auch Gesellschaftstanz. In einer schwedischen Langzeitstudie ergab sich für Frauen mit einem hohen Fitnesslevel sogar ein um 88 Prozent verringertes Risiko für Demenzen jeglicher Ursache (13). Im Anfangsstadium der Erkrankung hilft körperliches Training, das Fortschreiten zu verlangsamen und die kognitive Leistungsfähigkeit länger zu erhalten.
Bei anderen neurologischen Erkrankungen wird Sport ebenfalls als potentes Heilmittel eingesetzt. »Bei Parkinson reduziert körperliches Training den Tremor und verbessert die Bewegungssicherheit«, weiß Wilke. Menschen mit multipler Sklerose (MS) können durch regelmäßige Bewegung den Verlust ihrer motorischen Funktionen bremsen und bleiben länger selbstständig.
»Bei einer Ataxie, einer klassischen Kleinhirnstörung, die das Gleichgewicht und die Bewegungskoordination beeinträchtigt, kann man durch gezieltes Training Kompensationsmechanismen erarbeiten.« Das ist aber nur unter fachkundiger Anleitung möglich.
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Regelmäßige Bewegung verändert das Darmmikrobiom – unabhängig von der Ernährung. Im Verdauungstrakt trainierter Menschen siedeln mehr Bakterien, die kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat produzieren. Diese senken den pH-Wert im Darm, was die Ausbreitung pathogener Keime bremsen könnte. Zudem gibt es Hinweise, dass ein Mangel an kurzkettigen Fettsäuren mit entzündlichen Darmerkrankungen, zum Beispiel Colitis ulcerosa, in Zusammenhang steht.
Die Liste der positiven Wirkungen von Sport auf die Gesundheit ließe sich fast endlos fortsetzen. »Bewegung ist wirklich Medizin – in praktisch jeder Hinsicht«, bringt es Wilke auf den Punkt.
Wer lange inaktiv war oder chronisch krank ist, sollte sich vor dem Start seiner Sportkarriere ärztlich durchchecken lassen. / Foto: Getty Images/StefaNikolic
Eine der ganz wenigen Ausnahmen: »Bei akuten Infektionen sollte man mit dem Training pausieren.« Der Körper braucht dann seine Kräfte, um die Krankheitserreger zu bekämpfen. Belastet man ihn zusätzlich durch Sport, können verschleppte Keime unter Umständen eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) verursachen. Auch ein plötzlich einschießender Schmerz ist ein Warnsignal, dass man eine Pause einlegen sollte.
Wer lange inaktiv war, sollte sich vor dem Start seiner Sportkarriere sicherheitshalber ärztlich durchchecken lassen. Das Gleiche gilt bei Vorerkrankungen. Denn nicht jede Sportart eignet sich für jede Krankheit. Beispielsweise sollten sich Menschen, die Antikoagulanzien einnehmen oder an einer fortgeschrittenen Osteoporose leiden, nicht an einer verletzungsintensiven Kontaktsportart versuchen.
Bleibt die Frage nach der richtigen Dosierung. Wie lang und wie häufig muss ich Sport treiben, um einen gesundheitlichen Effekt zu erzielen? »Jede Form von Aktivität ist besser als keine«, antwortet die Sportwissenschaftlerin diplomatisch. »Für ältere Menschen, die sich bisher wenig bewegt haben, ist es schon super, wenn sie regelmäßig spazieren gehen.« Um funktionelle und morphologische Anpassungsprozesse auszulösen, müsse allerdings ein gewisser Belastungsreiz überschritten werden, der je nach den individuellen Voraussetzungen und dem Trainingszustand unterschiedlich ist.
Die WHO empfiehlt Erwachsenen jede Woche mindestens 150 bis 300 Minuten aerobes Ausdauertraining von moderater Intensität. Gemeint ist damit ein Puls von 50 bis 70 Prozent der maximalen Herzfrequenz. Diese wiederum lässt sich nach der Faustregel »220 minus Lebensalter« grob abschätzen. »Man atmet zwar etwas schneller, kann sich aber noch unterhalten«, veranschaulicht es Wilke.
Zusätzlich zum Ausdauersport rät die Gesundheitsorganisation an mindestens zwei Tagen der Woche zu einem umfassenden Krafttraining. Menschen ab dem 65. Lebensjahr sollten zunehmend den Fokus auf Gleichgewichts-, Koordinations- und Kräftigungsübungen legen. Studien zufolge können aber auch kurze und dafür etwas kräftigere Bewegungseinheiten, die unter den WHO-Vorgaben bleiben, das Sterberisiko bereits deutlich reduzieren.
Sport muss Spaß machen – in diesem Fall beiden. / Foto: Getty Images/Daniel Lozano Gonzalez
Wichtig ist nach Wilkes Erfahrung vor allem eins: »Man muss Spaß daran haben.« Studien hätten gezeigt, dass dieser Faktor für die gesundheitsfördernde Wirkung von größerer Bedeutung sei als die Art des Sports. Also: lieber mit Begeisterung Tennis spielen als widerwillig Bahnen im Schwimmbad ziehen. Um langfristig Erfolg zu erzielen, empfiehlt sie, niederschwellig anzufangen – etwa mit einer halben Stunde Spazierengehen pro Woche – und sich langsam zu steigern.
Wer allein nicht gegen seinen inneren Schweinehund ankommt, verabredet sich am besten mit einem Trainingspartner oder trifft sich mit Gleichgesinnten im Verein. Die Expertin ist überzeugt: »Das soziale Miteinander beim Sport ist ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Gesundheit.«
Clara Wildenrath ist Diplom-Biologin, Wissenschaftsjournalistin und Buchautorin. Sie berichtet sowohl für Fachkreise als auch für Laien über Grundlagen und Neuerungen in der Medizin. Zu ihren Schwerpunktthemen gehören unter anderem die Gynäkologie, Immunologie und Biochemie.