Sonnenschutz für die Pool-Position |
An Sonnenschutz führt kein Weg vorbei – und das reichlich und nicht nur im Schwimmbad und am Strand. / Foto: Getty Images/Olena Starostenko
In zurückgestellten Urinproben Hunderter Kita-Kinder und Erwachsener haben Behörden im Frühjahr vermehrt ein Stoffwechselabbauprodukt von Weichmachern namens Mono-n-hexylphthalat (MnHexP) nachgewiesen. Zuerst wurde das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen fündig, dann das Umweltbundesamt bei der vorläufigen Datenauswertung der Deutschen Umweltstudie.
Das Kritische daran: MnHexP ist ein Metabolit von Di-n-hexylphthalat (DnHexP), ein Weichmacher, der laut Bundesumweltamt in der EU seit 2023 ohne Zulassung grundsätzlich nicht mehr verwendet werden darf. MnHexP gilt als fortpflanzungsschädigender Stoff. Die Suche nach den Ursachen für die erhöhten Werte in den Urinproben läuft, bislang gibt es nur Mutmaßungen. Als eine mögliche Quelle standen schon relativ früh Sonnenschutzmittel in Verdacht, auch weil die Urinproben aus den Sommermonaten auffällig erhöht waren.
Konkret im Verdacht steht der chemische UV-Filter Diethylamino-Hydroxybenzoyl-Hexyl-Benzoat (DHHB), der DnHexP als Verunreinigung enthalten könnte, das wiederum zu MnHexP verstoffwechselt wird. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) schreibt zwar in seiner Stellungnahme, dass sowohl die Aufnahme des Abbauprodukts MnHexP als auch die seiner möglichen Ausgangsstoffe »so weit wie möglich reduziert werden sollte«.
Das Bundesinstitut sah aber »keinen Anlass für eine erhöhte Besorgnis. Die nachgewiesenen Konzentrationen bewegen sich in einem Bereich, der auch bei anderen Phthalaten im Rahmen von Reihenuntersuchungen nachgewiesen wurde«. Auch von Sonnenschutzmitteln, die mit DnHexP verunreinigt seien, gehe nach aktuellem Wissensstand keine akute Gefahr aus, gesundheitliche Beeinträchtigungen seien »sehr unwahrscheinlich«.
DHHB gehört zu den UV-Filtern der neueren Generation und gilt als idealer – da UV-A-photostabiler – Ersatz für ältere, in die Kritik geratene UV-Filter wie Octocrylen, Octinoxat oder Oxybenzon. DHHB ist ein unsymmetrisch substituiertes Benzophenon. Die aromatische Ringstruktur fungiert als UV-Absorber, die hydrophoben Substituenten sorgen für Wasserfestigkeit in dermatologischen Zubereitungen. Auch in anderen Kosmetika findet DHHB immer häufiger Verwendung.
Das Problem – und hier ergibt sich der Link zu den auffälligen Urinproben – ist die Tatsache, dass bei seiner Herstellung als Verunreinigung (»verfahrensbedingte Nebenkomponente in sehr geringen Konzentrationen«) das Weichmacher-Phthalat DnHexP entstehen kann. Dieser wurde in der EU schon vor Jahren als »besonders besorgniserregend« eingestuft und ist seit 2019 als Inhaltsstoff in Lebensmittelkontaktmaterialien, Spielzeug und kosmetischen Zubereitungen, zu denen neben Anti-Aging-Kosmetika auch Sonnenschutzprodukte zählen, verboten.
Umso bemerkenswerter ist das Testergebnis des Verbrauchermagazins »Ökotest« vom Juni: Dessen Labore hatten DnHexP-Rückstände in 7 von 25 getesteten Sonnenschutzpräparaten für Kinder nachgewiesen. Und auch bei Erwachsenen-Präparaten wurden die Verbraucherschützer in ihrer Juli-Analyse in 3 von 19 Präparaten fündig. Dass diese Weichmacher-Abbauprodukte nicht »technisch unvermeidbar« seien, beweise die Tatsache, dass andere geprüfte Sonnencremes frei von DnHexP waren, obwohl sie ebenfalls den UV-Filter DHHB enthielten.
Ein weiterer UV-Filter – wenn auch nur in Spuren – fiel im Ökotest-Labor negativ auf: Octocrylen. Als Partialagonist am Estrogenrezeptor gehört Octocrylen zu den hormonaktiven Substanzen und kann vermutlich Schilddrüse und Fortpflanzungsorgane schädigen. Übrigens genauso wie sein krebserregendes Zerfallsprodukt Benzophenon, das entsteht, wenn Sonnencreme zu lange gelagert wird. Hierzulande wird Octocrylen von vielen Herstellern nicht mehr verwendet. Die Verpackungen sind dann oft mit dem sichtbaren Hinweis »Ohne Octocrylen« versehen.
Auch unter dem Aspekt der Umweltverträglichkeit ist Octocrylen, so wie auch Oxybenzon und Octinoxat, in der Vergangenheit negativ aufgefallen. Die Filter können nämlich längerfristig gesehen die sensiblen Ökosysteme der Gewässer aus dem Gleichgewicht bringen. Sie schädigen das Erbgut von Korallen und Fischen. Weil sie sich nur langsam abbauen, reichern sie sich in den Korallen an und führen zur Korallenbleiche. In einigen Ländern sind derartige Sonnenschutzmittel aus Umweltschutzgründen verboten, etwa auf Hawaii, den US-amerikanischen Jungfrauen-Inseln sowie auf der zu den Niederlanden gehörenden karibischen Insel Bonaire.
Sollte man daher in Sachen Sonnenschutz besser auf anorganische Filter wie Titandioxid und Zinkoxid ausweichen? Auch bei ihnen hat sich eine gewisse Verunsicherung breit gemacht, spätestens seit Titandioxid (TiO2) im August 2022 als Zusatzstoff in Lebensmitteln (E 171) generell verboten wurde. In Arzneimitteln ist Titandioxid hingegen nach wie vor erlaubt.
Die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) war nach Sichtung neuer Studien zu dem Urteil gelangt, dass sich Nanopartikel dieses Weißpigments nach oraler Aufnahme in Gewebe anreichern können. Das könne Entzündungen triggern, vor allem bei gestörter Darmbarriere. Darüber hinaus haben sie möglicherweise auch eine genotoxische Wirkung, können also die menschliche DNA schädigen.
Mikronisiertes und topisch appliziertes Titandioxid in Form eines Sonnenschutzes dringt dagegen nach bisherigem Kenntnisstand gar nicht erst oder nur in vernächlässigbarem Umfang in die Blutbahn vor. Das Prinzip der physikalischen Filter beruht eben darauf, dass sie auf der Hautoberfläche eine deckende Schicht bilden, die das Sonnenlicht reflektiert. Studien belegten, dass zum Beispiel Nano-Titandioxid in den Formen, in denen sie in kosmetischen Mitteln verwendet werden, nicht in den menschlichen Blutkreislauf eindringen kann, schreibt das BfR. Gesundheitliche Risiken seien bei Nano-Titandioxid als UV-Filter in einer Konzentration von bis zu 25 Prozent in Sonnenschutzmitteln unwahrscheinlich. Wichtig: Dies bezieht sich auf gesunde, intakte Haut. Menschen, deren Haut krankheitsbedingt geschädigt ist, etwa bei Allergien, Akne oder Neurodermitis, sollten sich mit einem Facharzt abstimmen.
Viele moderne Sonnencremes enthalten eine Kombination aus mineralischen und chemischen UV-Filtern. Bei Mischungen mit Zinkoxid ist allerdings Vorsicht geboten, da es den Zerfall der chemischen Filter beschleunigen kann. In einer Untersuchung verringerte Zinkoxid in Kombination mit den UV-Filtern Avobenzon, Octisalat, Homosalat und Octocrylen den UV-A-Schutz um 91,8 Prozent.
Trotz aller Bedenken: Sonnenschutzpräparate müssen sein. »Wir vergessen zu sehr, dass Sonnenlicht ein Karzinogen ist, vor dem wir uns gut schützen können«, formuliert es der Vorsitzende der European Skin Cancer Foundation, Professor Dr. Eggert Stockfleth von der Dermatologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum. »Vielen ist zu wenig bewusst, dass 80 Prozent der Exposition gegenüber Sonnenstrahlen im Alltag erfolgt. Es ist zwar wichtig, dass wir uns am Strand eincremen. Aber auch wenn wir joggen, Rad fahren oder nur spazieren gehen oder draußen essen: Immer bekommen wir Sonne ab, die zu Schäden führen kann. Auch dabei müssen wir uns schützen.«
Diese Fehleinschätzung der Deutschen bestätigt einmal mehr eine aktuelle repräsentative Umfrage im Auftrag des Industrieverbandes Körperpflege- und Waschmittel: 53 Prozent aller Befragten gaben an, Sonnenschutzmittel nur im Sommer zu verwenden, wenn sie am Strand oder im Schwimmbad sind. Stockfleth weist darauf hin, dass bei besonders empfindlichen Menschen – also die Phototypen I und II – der Eigenschutz der Haut bei starkem Sonnenschein oft nur fünf bis zehn Minuten reicht. Danach drohen Sonnenbrand.
Um die Möglichkeiten der Prävention besser zu nutzen, hat die Deutsche Krebshilfe zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Prävention vor zwei Jahren eine Initiative ins Leben gerufen, die Menschen am Strand über den UV-Index informiert. Dabei handelt es sich um eine Flagge – die »Sun Safety Flag« –, auf der ein flirrender bunter Sonnenkranz auf schwarzem Grund abgebildet ist.
Die »Sun Safety Flag« zeigt einen flirrenden Sonnenkranz auf schwarzem Grund. Ist sie zu sehen, können sich Strandgäste am Flaggenmast über den UV-Index und notwendige Schutzmaßnahmen informieren. / Foto: Deutsche Krebshilfe/Vladimir Krug
Ist die Flagge am Strand zu sehen, können Badegäste den UV-Index anhand einer Farbskala am Flaggenmast ablesen. Die Werte des UV-Index reichen von 1 bis 11+. Das System funktioniert denkbar einfach: Bei Grün bedarf es keiner Maßnahmen, bei Rot lautet die Empfehlung, in den Schatten zu gehen und Sonnenschutzmaßnahmen zu ergreifen. Verknüpft ist die Warnanzeige außerdem mit einer Micro-Site, die über das Handy aufgerufen werden kann und den UV-Index und die erforderlichen Maßnahmen erklärt.
In der diesjährigen Badesaison beteiligen sich erneut sämtliche Nord- und Ostseegemeinden an der Initiative. Aufgrund der positiven Resonanz wird das Projekt nun auch in Süddeutschland etwa in der Chiemsee-Region umgesetzt.
Neben UV-A-, UV-B- und Infrarot-Strahlung ist auch ein weiterer Anteil des Lichts in Verdacht geraten, Haut und Augen schädigen zu können: blaues oder sogenanntes HEV-Licht. Dieses hochenergetische sichtbare Licht liegt im Lichtspektrum direkt neben der UV-Strahlung und erscheint für das Auge blau-lila. In künstlicher Form wird es auch von Bildschirmen abgestrahlt.
Der Markt bietet inzwischen spezielle Brillen, Kontaktlinsen und Sonnenschutzpräparate mit Blue-Light-Filtern (wie Avène Intense Protect Sonnenfluid SPF 50+ mit dem ersten organischen Blue-Light-Filter Triasorb™, Eucerin® Photoaging Control Face Sun Fluid LSF 50+).
»UVA- und UVB-Strahlen sind zwar sehr schädlich, decken aber nur rund 5 Prozent des Strahlenspektrums der Sonne ab. Bei HEV sprechen wir von mehr als 30 Prozent des Spektrums«, informiert Stockfleth. »Es dringt tief in die unteren Hautschichten ein. Studien zufolge erzeugt es immensen oxidativen Stress und kann damit die Zellen schädigen. Es zerstört Kollagen und Elastin und lässt die Haut vorzeitig altern. Altersflecken und Hyperpigmentierung sind die Folgen. Außerdem behindert blaues Licht die Reparatur von DNA-Schäden, die durch UVB-Strahlen entstehen.«