SGLT2-Hemmung induziert Senolyse |
Theo Dingermann |
05.06.2024 10:30 Uhr |
SGLT2-Hemmer senken unter anderem das kardiovaskuläre Risiko. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass sie womöglich senolytische Eigenschaften haben. / Foto: Getty Images/stockce
Obwohl die meisten somatischen Zellen eine begrenzte Lebensdauer haben, können sie nach Erschöpfung der Replikationsaktivität oder nach Markierung bestimmter Zellschäden in einen im Wesentlichen irreversiblen Wachstumsstillstand übergehen. Dieser wird als zelluläre Seneszenz bezeichnet. Für den Organismus ist das keine optimale Lösung, denn die Anhäufung seneszenter Zellen kann wegen der Sekretion verschiedener Signalmoleküle beim Menschen und bei Mäusen vaskuläre Entzündungen und andere Funktionsstörungen verursachen.
Inzwischen gibt es mehrere Wirkstoffe, denen senolytische Eigenschaften, also eine Senkung der seneszenten Zelllast, zugeschrieben werden. Ein Neuzugang in diesem Segment könnten SGLT2-Hemmer sein, wie nun Forschende um Dr. Goro Katsuumi von der Juntendo University Graduate School of Medicine in Tokio am Beispiel des SGLT2-Hemmers Canagliflozin in einer Publikation im Wissenschaftsjournal »Nature aging« aufzeigen.
Die Forschenden studierten die senolytischen Eigenschaften von Canagliflozin an einem Mausmodell für ernährungsbedingte Fettleibigkeit, in dem sich zelluläre Seneszenz durch eine fettreiche Diät (HFD) induzieren lässt. Durch die orale Behandlung der Mäuse mit Canagliflozin ließ sich erwartungsgemäß eine signifikante Verbesserung des Glucosestoffwechsels und eine verringerte Insulinresistenz im Vergleich zu den HFD-Kontrolltieren erreichen. Darüber hinaus führte die Intervention aber auch zu einer Verringerung der mit Seneszenz-assoziierten Marker, darunter der Aktivität der Seneszenz-assoziierten β-Galaktosidase (SA-β-gal) und der pro-inflammatorischen Faktoren des Seneszenz-assoziierten sekretorischen Phänotyps (SASP).
Ein SASP definiert die Fähigkeit seneszenter Zellen, eine Vielzahl von extrazellulären Modulatoren zu exprimieren und zu sezernieren, darunter Zytokine, Chemokine, Proteasen, Wachstumsfaktoren und bioaktive Lipide. Je nach Kontext kann dies für den Organismus positive aber auch negative Konsequenzen haben. So stimuliert der SASP die immunvermittelte Beseitigung potenziell tumorerzeugender Zellen, begrenzt die Fibrose und fördert die Wundheilung und Geweberegeneration. Auf der anderen Seite kann der SASP zur Chronifizierung von Entzündungen beitragen und das Wachstum und Überleben von Tumorzellen fördern.
Durch die Behandlung mit Canagliflozin zeigten Mäuse signifikante Änderungen in ihrem Fettgewebe. Dort verringerte sich das Entzündungsgeschehen und das Ausmaß an oxidativem Stress. In-vivo-Fluoreszenzstudien ließen erkennen, dass sich durch eine Intervention mit Canagliflozin zudem die SA-β-gal-Aktivität reduzieren ließ und seneszente Zellen eliminiert wurden.
Auf Basis metabolomischer Analyse ließen sich erste Einblicke in die molekularen Mechanismen erhalten, die der senolytischen Aktivität von Canagliflozin zugrunde liegen. Dabei zeigte sich, dass die SGLT2-Hemmung einen signifikanten Anstieg des Plasmaspiegels von 5-Aminoimidazol-4-Carboxamid-1-β-D-Ribofuranosid (AICAR) induzierte. Von diesem Metaboliten ist bekannt, dass er die Adenosinmonophosphat-aktivierte Proteinkinase (AMPK) aktiviert.
Tatsächlich konnten die Forschenden eine gesteigerte AMPK- und eine verringerte SA-β-gal-Aktivität in ihrem Tiermodell sowohl durch eine Behandlung mit AICAR als auch mit dem SGLT2-Inhibitor zeigen. Umgekehrt führte eine Hemmung von AMPK zu einem Anstieg der SA-β-gal-Aktivität, was die Rolle von AICAR und AMPK bei der durch SGLT2-Hemmung induzierten Senolyse bestätigt.
Weitere Einblicke in den senolytischen Wirkmechanismus der SGLT2-Inhibitoren erschlossen sich den Forschenden, nachdem sie die Hypothese überprüften, wonach eventuell auch immunologische Mechanismen beteiligt sein könnten. So ist bekannt, dass das Immunsystem und PD-1/PD-L1-vermittelte Signale aktiv an der Zellseneszenz beteiligt sind. Zudem weiß man, dass die AMPK die Expression von PD-L1 negativ reguliert.
Tatsächlich reduzierte die SGLT2-Hemmung mit Canagliflozin die zuvor erhöhte Anzahl PD-L1-positiver seneszenter Zellen in den Mäusen deutlich. Umgekehrt führte eine Immunsuppression nach einer Canagliflozin-Behandlung zu einem Anstieg der seneszenten Zellen, was darauf hindeutet, dass die senolytischen Effekte von Canagliflozin teilweise durch das Immunsystem vermittelt werden.
All diese Effekte blieben bei den Mäusen nicht ohne physiologische Konsequenzen. So konnten die Forschenden registrieren, dass die SGLT2-Hemmung zur Besserung spezifischer altersbedingter Pathologien führte. Die Mäuse wurden körperlich aktiver und die Lebensdauer der behandelten Tiere stieg an.
Insgesamt unterstreichen diese Ergebnisse, dass beim Einsatz von SGLT2-Inhibitoren mit Effekten zu rechnen ist, die weit über ein Diabetesmanagement hinausgehen. Ob diese Wirkstoffklasse tatsächlich das Potenzial besitzt, im Rahmen einer senolytischen Strategie auch altersbedingten Erkrankungen vorzubeugen oder zu behandeln, müssen weitere Studien zeigen.