Serotonin-Mangel als Erklärung für einige Long-Covid-Symptome |
Daniela Hüttemann |
24.10.2023 16:00 Uhr |
Konzentrationsschwierigkeiten, Fatigue und andere neurokognitive Symptome könnten an einem Serotonin-Mangel nach einer Virusinfektion liegen, postulieren Forschende. / Foto: Adobe Stock/Andrzej Wilusz
Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, warum einige Menschen nach einer SARS-CoV-2-Infektion teils wochen- und monatelang unter Symptomen leiden, darunter auch Entzündungsreaktionen, die sich chronifiziert haben, ein Verbleiben von Viren im Körper (virale Persistenz), eine vermehrte Neigung zu kleinsten Blutklümpchen (Hyperkoagualibität) und Störungen im vegetativen Nervensystem.
Jetzt haben Forschende einen möglichen Pathomechanismus gefunden, der mit einem erniedrigten Serotonin-Spiegel im Blut einhergeht, was alle vier Hypothesen verbinden würde, berichtet die Gruppe aktuell im Fachjournal »Cell«. Virusinfektionen und Entzündungen vom Typ I, die durch Interferon ausgelöst werden, führten demnach über drei Mechanismen zu einer Verringerung des Serotonin-Spiegels:
Dieser periphere Serotonin-Mangel, wie er bei Versuchstieren und auch im Blut betroffener Patienten nachgewiesen wurde, beeinflusse dann den Vagusnerv, was neurokognitive Probleme hervorrufen könne.
»Allerdings war der Grad der Serotonin-Reduktion in den untersuchten Patientenkohorten mit PASC (Post-Acute Sequelae of Covid/Post Covid) unterschiedlich stark ausgeprägt und bei einigen gar nicht nachweisbar«, schränkt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) in einer Pressemitteilung zur Studie ein. Die Fachgesellschaft weist zwar auf Limitationen der Studie hin, hält die Hypothese jedoch für schlüssig. Prospektive Studien mit Kontrollgruppen müssten nun folgen.
Bestätigen sich die Ergebnisse, könnten sie laut DGN-Pressesprecher Professor Dr. Peter Berlit auch jenseits von SARS-CoV-2 bedeutsam sein: Verringerte Serotonin-Spiegel seien nicht Covid-19-spezifisch, sondern auch von anderen viralen Erkrankungen bekannt, die ebenfalls postvirale Syndrome auslösen können, etwa Dengue-Fieber. »Es ist daher wichtig, dass Covid-19 und PASC weiter beforscht werden, auch wenn die Pandemie nun als weitgehend überstanden gilt.«
Die DGN nimmt keine Stellung dazu, ob eine Behandlung mit Antidepressiva wie den selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren eine mögliche Therapieoption darstellen könnte. In den Tierversuchen der neuen Studie wurde ein Serotonin-Mangel auch nur im Blut, nicht aber im Gehirn festgestellt. Allerdings besserte sich ihre Leistungen von Tieren in kognitiven Tests, wenn ihre Nahrung mit dem Serotonin-Vorläufer Tryptophan angereichert wurde – oder aber eben auch, wenn sie den SSRI Fluoxetin erhielten.
Gemäß eines Berichts auf dem Wissenschaftsportal »Science« hofft das Team von der Penn Medicine (Philadelphia, Pennsylvania, USA), im nächsten Schritt klinisch zu testen, ob Tryptophan-haltige Diäten oder SSRI die Beeinträchtigungen von Long Covid verbessern. Mitautor Benjamin Abramoff weist darauf hin, dass die an der aktuellen Studie teilnehmenden Personen eine Reihe von Long-Covid-Symptomen aufwiesen, nicht nur neurokognitive Symptome. Es sei noch unklar, welche Untergruppen von Patienten am meisten von einer solchen Behandlung profitieren könnten.
In der deutschen S1-Leitlinie Long-/Post-Covid werden bislang selbst im Rahmen einer leichten bis mittelgradigen depressiven Symptomatik nach Covid-19-Infektion Antidepressiva nicht empfohlen (Punkt 20.3).
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.