Seltene Genvarianten führen zu schweren Verläufen |
Theo Dingermann |
06.08.2024 14:00 Uhr |
Seltene Mutationen in bestimmten Genen der angeborenen Immunabwehr kommen bei Patienten mit schweren Covid-19-Erkrankungen deutlich häufiger vor als in der Allgemeinbevölkerung. / Foto: Adobe Stock/natali_mis
Eine Gruppe von Forschenden um Jannik Boos von der Universität Bonn ging zusammen mit Kollegen aus Deutschland, den Niederlanden, Spanien und Italien in einer Studie der Frage nach, welche genetischen Merkmale mit schweren Covid-19-Verläufen verbunden sind. Die Ergebnisse erschienen Ende Juli im Fachmagazin »Human Genetics and Genomics Advances«.
Bereits länger war vermutet worden, dass schwere Covid-19-Verläufe mit bestimmten Varianten in TLR7-Gen, im TBK1 (TANK-binding Kinase 1)-Gen und im Gen für die IFNAR1-Untereinheit des Interferon-α/β-Rezeptor assoziiert sind. Allerdings ist die Datenlage, aus der sich diese Assoziationen ableiten lassen, schlecht.
Deshalb führten die Forschenden stratifizierte Analysen auf der Grundlage von Alter, Geschlecht und dem Vorhandensein klinischer Risikofaktoren bei Patienten aus Spanien und Italien durch, die noch vor der Verfügbarkeit von Impfstoffen wegen Covid-19 stationär behandelt und beatmet worden waren. Bei diesen Patienten war bereits im Rahmen genomweiter Assoziationsstudien (GWAS) eine Genotypisierung durchgeführt worden.
Es wurden 52 Kandidatengene für schwere Covid-19-Verläufe ausgewählt, und diese Gene wurden bei 1772 der erkrankten Patienten sequenziert. Als Kontrolle dienten die korrespondierenden Gene von 5347 Personen aus der spanischen/italienischen Allgemeinbevölkerung.
Zusammen mit den verfügbaren klinischen Informationen wurden die Sequenzierungsdaten dann auf Assoziationen mit einzelnen Genvarianten analysiert. Dabei konnten die Forschenden zeigen, dass Mutationen, die das TLR7-Gen funktionsunfähig machen, deutlich häufiger bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten zu beobachten waren als in der Kontrollgruppe. Die Effektgröße der unter Verdacht stehenden Genvarianten könnte dabei größer sein als bisher angenommen. Bei TLR7 handelt s sich um einen intrazellulären Rezeptor, der kurze ein- und doppelsträngige RNA-Moleküle als typisches Muster von Pathogenen erkennt und die angeborene Immunität aktiviert.
In der Studie wurde auch gezeigt, dass die auf dem X-Chromosom kodierten seltenen TLR7-Varianten sowohl bei Männern als auch bei Frauen eine signifikante Assoziation mit schweren Krankheitsverläufen aufweisen. Das stellt eine herkömmliche Auffassung infrage, wonach diese Mutationen vor allem bei Männern, die ja nur ein X-Chromosom besitzen, zu schweren Verläufen führen. Die Forschenden fanden erste Hinweise, dass die Art der genetischen Veränderungen bei Frauen anders ist: Während bei Männern die Mutationen zum Fehlen von TLR7 führen, scheinen bei Frauen die mutierten TLR7-Versionen mit den »gesunden« Kopien zu interagieren und somit diese auch in ihrer Funktion zu beeinflussen, heißt es in einer Mitteilung der Universität Bonn.
Die Studiendaten deuten zudem an, dass auch andere Gene des Interferon-Signalwegs, darunter Varianten der IFNAR2-Untereinheit des Interferon-α/β-Rezeptors, des IFIH1-Gens und des TBK1-Gens, zu schweren Covid-19-Verläufen beitragen.
Somit unterstreichen die Ergebnisse die Rolle genetischer Faktoren bei der Beeinflussung des Schweregrads von Covid-19. Möglicherweise lassen sich anhand dessen Risikovorhersagen treffen und therapeutische Strategien identifizieren. Das Forschungsteam geht davon aus, dass sich die Erkenntnisse zumindest zum Teil auf zukünftige Pandemien übertragen lassen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.