Selbstheilung kann funktionieren |
| Annette Rößler |
| 06.05.2024 18:00 Uhr |
Wenn nach einer emotional anstrengenden Zeit der Stress nachlässt, ist das ein wunderbares Gefühl. Offenbar entspannt sich dann auch das Immunsystem. / Foto: Adobe Stock/Maygutyak
Wie groß der Einfluss der Psyche auf die Autoimmunerkrankung Morbus Basedow sein kann, zeigt eine Publikation im »Journal of the Endocrine Society«, auf die aktuell der Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner (BDN) hinweist. Betroffene mit Morbus Basedow bilden Autoantikörper, die gegen den TSH-Rezeptor gerichtet sind und diesen stimulieren. In der Folge kommt es zu den typischen Symptomen einer Schilddrüsenüberfunktion: Kropfbildung, Herzrasen, Schweißausbrüche, Schlaflosigkeit und ein Hervortreten der Augäpfel.
»Dem ersten Auftreten von Krankheitssymptomen gehen oft einschneidende Ereignisse wie der Tod eines nahen Angehörigen, eine schwere Erkrankung in der Familie, Beziehungskrisen oder der Verlust des Arbeitsplatzes voraus«, erklärt Professor Dr. Detlef Moka, Vorsitzender des BDN. In der Fachpublikation berichtet nun ein Team um Dr. Jeresa Willems vom Zuyderland Medical Center in Sittard-Geleen, Niederlande, dass die Autoimmunerkrankung bei nachlassendem Stress auch wieder verschwinden kann – ganz ohne Therapie.
Es handelt sich um eine Fallserie von elf Patientinnen und Patienten, die stressbedingt an Morbus Basedow erkrankt waren. Alle elf Personen hatten die sonst übliche Behandlung mit Thyreostatika abgelehnt. Überraschenderweise normalisierten sich bei neun Personen dennoch die klinischen Symptome sowie die Hormonspiegel im Blut, nachdem die emotionale Belastungssituation beendet war. Bei fünf dieser Patienten hielt der krankheitsfreie Zustand dauerhaft über eine Nachbeobachtungszeit von median 2,3 Jahren an. Bei den übrigen vier kehrte der Morbus Basedow nach ein bis vier Jahren zurück.
Dass sich die Schilddrüsenfunktion bei Basedow-Betroffenen wieder normalisieren kann, sei bekannt, schreibt der BDN. Um eine Remission zu erreichen, gibt man in der Regel zunächst über ein Jahr Thyreostatika wie Thiamazol, Carbimazol, Methimazol oder Propylthiouracil. Damit lässt sich etwa bei der Hälfte der Patienten eine Remission erreichen. Allerdings können die Medikamente belastende Nebenwirkungen wie Ausschlag, Juckreiz, Haarausfall und Leberwerterhöhungen haben.
Die Autoren der aktuellen Publikation verweisen auf frühere Studien, in denen eine Psychotherapie oder Psychopharmaka, die zeitgleich mit der thyreostatischen Therapie angewendet wurden, die Remission beschleunigen und das Rückfallrisiko verringern konnten. »Wie wirksam eine Stressreduktion ohne begleitende medikamentöse Therapie ist, wurde bislang aber noch nicht untersucht«, infomiert Moka. »Dass ein Teil der Patientinnen und Patienten davon unmittelbar profitieren könnte – und in dem kleinen Kollektiv fast die Hälfte sogar dauerhaft – belegt eindrucksvoll den Einfluss der Psyche auf das Autoimmungeschehen«, sagt der Nuklearmediziner.
Aus Mokas Sicht ermutigen die Fallberichte dazu, nicht bei allen Patienten mit stressbedingtem Morbus Basedow sofort mit der medikamentösen Therapie zu beginnen. Auch die Dauer der Thyreostatika-Gabe könne möglicherweise flexibler gehandhabt und in manchen Fällen deutlich früher ein Auslassversuch gestartet werden. Allerdings bestehe noch weiterer Forschungsbedarf, unter anderem um zu klären, ob es Untergruppen von Patienten gibt, deren Chancen auf eine Remission besonders gut beziehungsweise eher ungünstig sind.
Dass chronischer Stress tatsächlich selbstzerstörerisch wirken kann, zeigt sich auch an anderen Autoimmunerkrankungen. Eine Übersicht über die Zusammenhänge gab ein Autorenteam um Professor Dr. Christian Schubert, Psychoneuroimmunologe an der Medizinischen Universität Innsbruck, 2022 in einem Beitrag auf der Website »Natürlich Medizin«.
Demnach tritt bei Stress als Abwehrreaktion des Organismus kurzzeitig eine Entzündung auf. Dauerstress führe zu einer anhaltenden Überaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) und in der Folge zu einer ständig zu hohen Glucocorticoidkonzentration. Langfristig komme es dadurch zu einem »Crash des Stresssystems«, heißt es in der Publikation: Die Sensitivität der Glucocorticoidrezeptoren nehme ab. Infolge der Glucocorticoidresistenz sei der Organismus nicht mehr in der Lage, die stressbedingte Entzündungsreaktion herunterzufahren. Wie dies genau zur Autoimmunität führt, ist noch nicht abschließend geklärt. Allerdings sei insgesamt eine erhöhte proinflammatorische Immunreaktion auch mit einer erhöhten Aktivität autoreaktiver T-Helferzellen verbunden, schreibt das Team um Schubert.
Über solche psychoneuroimmunologischen Reaktionen könne chronischer Stress an der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen beteiligt sein, doch seien Verallgemeinerungen zu vermeiden; jede einzelne Erkrankung müsse individuell betrachtet werden. Insgesamt sei die entsprechende Forschungslage »quantitativ überschaubar und überdies weitgehend inkonsistent«, so die Forschenden.
Hinweise auf einen Zusammenhang mit chronischem Stress gebe es etwa bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED), wobei die Studienlage »sehr begrenzt« sei. Als mögliche Mechanismen würden ein stressbedingter Anstieg des proinflammatorischen Zytokins IL-6 sowie eine negative Beeinflussung der Darm-Hirn-Immun-Achse diskutiert. Bei systemischem Lupus erythematodes (SLE) gebe es widersprüchliche Studienergebnisse: Teilweise seien infolge von psychischem Stress eine Abnahme der Aktivität der natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) bei SLE-Patienten beziehungsweise ein Anstieg der Komplementfaktoren C3 und C4 beschrieben worden, während in anderen Untersuchungen keine Veränderungen der Immunaktivität festgestellt worden seien.
Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) sei chronischer Stress nachweislich sowohl mit erhöhten IL-6-Werten als auch mit verminderter Glucocorticoidsensitivität verbunden, während die Konzentration von entzündungshemmenden Zytokinen wie IL-4 und IL-10 verringert sei. Allerdings gebe es widersprüchliche Ergebnisse dazu, wie sich Änderungen dieser Parameter auf die Krankheitsaktivität auswirken und vice versa.