Schwindel in den Griff bekommen |
Christina Hohmann-Jeddi |
30.11.2020 11:00 Uhr |
Wenn sich alles dreht, kann das unterschiedlichste Ursachen haben, die auch unterschiedlich behandelt werden müssen. / Foto: Imago/Westend61
»Schwindel ist ein Symptom, hinter dem sich ganz unterschiedliche Ursachen verstecken können«, sagte Privatdozent Dr. Andreas Zwergal, Leiter des Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München, beim Heidelberger Herbstkongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg am 22. November. Neben Erkrankungen des Innenohrs (dem vestibulären System) kommen auch andere körperliche sowie psychogene Ursachen in Frage. Daher ist eine genaue Diagnose wichtig, um die korrekte Therapie anwenden zu können. Ein Problem sei, dass hier viele Präparate mit geringer Evidenz im Markt seien.
Es gibt verschiedene Arten von Schwindel, den Dreh-, Schwank- oder Liftschwindel, die akut oder dauerhaft auftreten können. Die Therapie richtet sich nach der Art des Schwindels. Die häufigste Form ist der gutartige Lagerungsschwindel, bei dem heftige Drehschwindelattacken auftreten, die häufig von Übelkeit, Augenzittern oder Tinnitus begleitet werden. Die Attacken stehen in direktem Zusammenhang mit einer plötzlichen Positionsänderung wie nach dem Drehen oder Heben des Kopfes, etwa beim Aufstehen aus dem Bett. Ausgelöst werden die Attacken durch kleine Calciumcarbonat-Ablagerungen, den Otholithen, die sich frei im hinteren Bogengang des Innenohrs bewegen und dort die Sinneszellen irritieren. Durch ein Befreiungsmanöver (rasche Drehung von Kopf und Körper) oder Lagerungsübungen können die Steinchen wieder an Orte befördert werden, wo sie keinen Schwindel auslösen. »Das ist sehr praktikabel«, sagte Zwergal. Bei rezidivierenden Attacken kann eine Rückfallsprophylaxe mit 800 Internationale Einheiten (IU) Vitamin D versucht werden, vor allem bei primär niedrigen Spiegeln. Zu diesem Ergebnis kam eine im September veröffentlichte Studie, die im Fachjournal »Neurology« erschienen ist.
Nach dem benignen Lagerungsschwindel ist der Morbus Menière die zweithäufigste peripher vestibuläre Schwindelform. Er zeichnet sich durch wiederkehrende Schwindelattacken mit Hörminderung, Tinnitus oder Ohrgeräuschen aus. Zur Therapie werden primär Arzneimittel eingesetzt, und zwar Betahistin »viel und lange«. Der Neurologe riet zu dreimal 48 mg/Tag über sechs bis zwölf Monate. Da die Substanz einen hohen First-Pass-Effekt habe, seien hohe Dosen nötig. Zum Teil werden Glucocorticoide intratympanal eingesetzt. Dabei wird nach örtlicher Betäubung des Trommelfells dort eine feine Nadel durchgestoßen, um das Medikament zu applizieren, neben Corticoiden selten auch Gentamicin. Obsolet seien inzwischen Diuretika und eine salzfreie Kost.
Ebenfalls zu den peripher vestibuläre Schwindelformen zählt die Neuropathia vestibularis, ein akuter einseitiger Ausfall des Gleichgewichtorgans, der heftige Drehschwindelattacken auslöst, die mit Übelkeit und Erbrechen, aber nicht mit Hörstörungen verbunden sind. Initial werden hier für maximal drei Tage Antivertiginosa (zum Beispiel Dimenhydrinat) eingesetzt, bei längerem Gebrauch stünden sie der klinischen Besserung im Weg.
Dann folge eine »kausale« antiinflammatorische Therapie mit Steroiden gegen die entzündliche Degeneration des Vestibularisnervs, berichtete Zwergal. Zusätzlich kann die Kompensation des Ausfalls gefördert werden, indem die Anpassungsfähigkeit des Gehirns gestärkt wird, beispielsweise durch bestimmte Übungen zur Auge-Ohr-Körper-Koordination, aber auch durch Ginkgo-biloba-Extrakte, die plastizitätsfördernd wirken.
Eine weitere Schwindelform ist die vestibuläre Migräne, die sich durch Schwindel mit Kopfschmerzen äußert und häufig Kinder betrifft. Therapiert wird sie wie reguläre Migräne, sagte der Neurologe.
Zudem kann Schwindel auch als Begleitsymptom bei Demenz auftreten, was bei etwa 50 Prozent der Patienten zu beobachten sei. Zum Teil sei die antidementive Therapie ein Auslöser. Auch hier könnten Ginkgo-biloba-Extrakte hilfreich sein, wobei diese keine antivertiginose Therapie, sondern eine längerfristige Therapiestrategie (über eine Synapsen-Neubildung) darstellten. Am Besten untersucht sei bisher der Spezialextrakt EGb 761 (Tebonin®).