Schweden verhängt Geldstrafen bei verspäteten Engpassmeldungen |
Melanie Höhn |
29.11.2023 15:30 Uhr |
Im Juli 2023 trat ein Gesetz in Schweden in Kraft, das die dortige Arzneimittelbehörde dazu berechtigt, Geldstrafen für verspätete Meldungen über mögliche Arzneimittelengpässe zu verhängen. / Foto: IMAGO/Design Pics
Auch vor Schweden macht die Arzneimittelknappheit nicht Halt, vor allem Paracetamol für Säuglinge und Kleinkinder, Insulin oder neurologische Medikamente sind laut Medienberichten knapp. Die nicht mehr oder potenziell nicht mehr lieferbaren Arzneimittel seien seit Sommer 2022 stark angestiegen – dies hänge mit dem Krieg gegen die Ukraine, den gestiegen Transportkosten sowie Energiepreisen zusammen.
Andere Gründe seien die hohe Inflation, die schwache schwedische Krone und die Produktionsbedingungen, erklärte Johan Andersson, Abteilungsleiter bei der schwedischen Agentur für Medizinprodukte, gegenüber dem Nachrichtenportal »Euractiv« und warnte zugleich davor, dass die Zahl der Meldungen über nicht lieferbare Arzneimittel in diesem Jahr einen Höchststand erreichen könnte. Einerseits sei die Produktionsplanung und/oder -kapazität dafür verantwortlich, andererseits sei die Nachfrage laut Agentur-Statistiken gestiegen.
In Schweden müssen Pharmaunternehmen die Arzneimittelagentur zwei Monate, bevor ein Arzneimittel nicht mehr vorrätig ist, informieren. Andersson bemängelte jedoch, dass diese Vorschrift nur unzureichend eingehalten werde. Laut dem Experten gibt es häufig noch Verzögerungen bei den Meldungen zu Medikamentenengpässen: Etwa 35 Prozent der Meldungen treffen nach Angaben der Agentur 1 bis 30 Tage im Voraus ein.
Im Juli 2023 trat ein Gesetz in Kraft, das die Arzneimittelbehörde dazu berechtigt, Geldstrafen für verspätete Meldungen über mögliche Arzneimittelengpässe zu verhängen. Die Bußgelder liegen zwischen 2.200 Euro und 8,7 Millionen Euro (25.000 Schwedische Kronen bis 100 Millionen Schwedische Kronen). Wie sich die Strafen konkret zusammensetzen, ist jedoch unklar. »Wir untersuchen und bereiten eine kleine Anzahl von Fällen mit soliden Beweisen für Verstöße vor, die zu Geldstrafen führen können«, sagte Andersson gegenüber »Euractiv«. Allerdings könnten solche Fälle nur bearbeitet werden, wenn die Agentur nachweisen könne, dass ein Unternehmen tatsächlich rechtzeitig Informationen über eine drohende Verknappung erhalten habe, es dann aber versäumte, die Agentur rechtzeitig zu informieren. »Das könnte eine Herausforderung für uns sein«, so Andersson weiter.
Zudem habe die Behörde bemerkt, dass Pharmaunternehmen seit Inkrafttreten des Gesetzes früher und häufiger ihre Meldungen abgeben, erklärte Andersson. Bisher seien 1250 medizinische Produkte gemeldet worden, bei denen die Gefahr bestehe, dass sie nicht mehr vorrätig sind. Viele von ihnen sind laut den Medienberichten austauschbar, aber bei etwa sechs bis sieben Prozent der gemeldeten Produkte gebe es für Patientinnen und Patienten keine klaren Alternativen, erläuterte die Agentur.
Auch der Verband der forschenden Pharmaunternehmen in Schweden (LIF) warnte davor, dass Unternehmen vorsorglich zu viele Meldungen abgeben, um die Geldstrafen zu vermeiden. LIF-Experte Bengt Mattson erklärte gegenüber »Euroactiv«, dass die in der Liste aufgeführten Produkte nicht unbedingt »kritisch knapp« sein müssen: »Das in den Medien gezeichnete Bild von leeren Regalen in den Apotheken entspricht nicht der Realität«, sagte er dem Nachrichtenportal.
Der Verband hofft darauf, dass die schwedische Regierung die Arzneimittelagentur und die E-Health-Agentur in Schweden damit beauftragt, ein System zur Überwachung der nationalen Versorgungslage und des kritischen Bedarfs einzurichten. »Dies würde es einfacher machen, kritische Engpässe zu erkennen und die Agentur und die Ärzte könnten zusammenarbeiten, um rechtzeitig Alternativen zu empfehlen«, so Mattson weiter.
Der LIF-Verband hatte im Herbst 2023 einen Aktionsplan mit einem Leitfaden für Unternehmen veröffentlicht, wie sie über drohende Lieferengpässe informieren können. Zudem beteiligen sich die schwedischen Behörden an den Diskussionen über Lieferengpässe in der Europäischen Union, wo die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) ebenfalls eine stärkere Rolle bei der Überwachung und Meldung von Engpässen erhalten soll.
Des Weiteren machte der schwedische Diabetesverband darauf aufmerksam, dass Ärztinnen und Ärzte genaue und aktuelle Informationen über die Vorräte benötigten. Wenn sie ein Medikament verschrieben, hätten die meisten Ärzte in Schweden keine Informationen über die Verfügbarkeit des Arzneimittels und müssten in verschiedenen Apotheken anrufen und diese erfragen. Eine Bauchspeicheldrüsenkrebs-Patientin bezeichnete diese Situation in einem Brief an Gesundheitsministerin Acko Ankarberg Johansson als »Medikamenten-Chaos«. Die Ministerin versicherte ihr, dass verschiedene Akteurinnen und Akteure daran arbeiten würden, die Versorgung mit Medizinprodukten durch politische Maßnahmen zu verbessern. So müssen beispielsweise die Apotheken jetzt ihre Lagerbestände anpassen, um mögliche Engpässen besser bewältigen zu können.