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Vor- und Nachsorgescreening

Schwangerschaftsdiabetes? Dranbleiben!

Mit der Entbindung ist ein Schwangerschaftsdiabetes nicht beendet. Er vervielfacht die Wahrscheinlichkeit für einen dauerhaften Diabetes und erhöht langfristig das kardiovaskuläre Risiko. Wie ist die Nachsorge angesichts dieser Risiken zu verbessern? Nachgefragt bei Privatdozentin Dr. Katharina Laubner von der Universitätsklinik Freiburg.
Elke Wolf
20.07.2023  07:00 Uhr

Es gibt immer mehr Frauen, die während der Schwangerschaft einen Gestationsdiabetes entwickeln. »Seit 2012 wird das Screening auf Gestationsdiabetes allen Schwangeren ab der 24. Schwangerschaftswoche angeboten. Damals lag die Prävalenz bei 4,25 Prozent. 2021 ist dieser Wert auf 7,86 Prozent gestiegen«, informiert Privatdozentin Dr. Katharina Laubner, Oberärztin der Abteilung Endokrinologie und Diabetologie an der Universitätsklinik Freiburg im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. Laut Angaben der Bundesauswertung Perinatalmedizin Geburtshilfe des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) sind derzeit rund 9,5 Prozent der Schwangerschaften von Störungen des Blutzuckerstoffwechsels betroffen.

»Warum die Zahlen steigen, hat vermutlich mehrere Gründe. Natürlich wird durch ein generelles Screening der Gestationsdiabetes bei mehr Frauen erkannt. Die Grenzwerte für die Diagnose wurden im zeitlichen Verlauf angepasst. Ein weiterer Grund ist sicherlich zudem, dass sich die Bevölkerungsstruktur ändert. Schwangere Frauen werden immer älter und adipöser. Höheres Lebensalter und Übergewicht sind wesentliche Risikofaktoren für Gestationsdiabetes. Hinzu kommen andere Risikofaktoren wie eine positive Familienanamnese für Diabetes mellitus Typ 2, ein Gestationsdiabetes in einer früheren Schwangerschaft, aber auch ethnische Hintergründe«, erklärt die Diabetologin.

Dass das Screening auf Gestationsdiabetes seit 2012 in den Mutterschaftsrichtlinien verankert ist, bezeichnet die Expertin als große Errungenschaft. Es wird als zweistufiger oraler Glucosetoleranztest (oGTT, siehe Grafik) durchgeführt. Ziel der sich anschließenden Therapie müsse sein, ein perzentilengerechtes und proportionales Wachstum des Fetus und einen Ausgang der Schwangerschaft zu erreichen, der sich nicht vom Geburtskollektiv stoffwechselgesunder Frauen unterscheidet. 

Hormonelle Umstände

Die Blutzuckerentgleisungen der betroffenen Schwangeren sind vor allem den physiologischen hormonellen Umständen geschuldet. Meist entwickeln sich die Probleme unbemerkt in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft. 

Es entsteht eine zunehmende Insulinresistenz im Laufe der Schwangerschaft unter anderem durch hormonellen Veränderungen - Estrogene, Progesteron, humanes Choriongonadotropin (HCG), Prolaktin und Cortisol beeinflussen den Glucosestoffwechsel. Bei den meisten Schwangeren kompensiert der Körper dies, indem er mehr Insulin produziert und freisetzt. Reicht dies nicht aus, steigt der Blutzuckerspiegel an und ein Gestationsdiabetes manifestiert sich.

Die erhöhten Blutzuckerwerte bleiben nicht ohne Folgen für Mutter und Kind. So steigt die Insulinausschüttung des Kindes, was das Wachstum beschleunigt und zur Makrosomie führt. Dadurch ist die Sektiorate erhöht, zudem können sich Geburtskomplikationen wie eine Schulterdystokie entwickeln, bei der sich die kindliche Schulter nicht richtig in das Becken der Mutter legt. Auch das Risiko für Reifungsstörungen etwa der Leber oder Lunge ist erhöht und es kann zu Hypoglykämien des Neugeborenen kommen . Generell ist die Verlegungsrate auf neonatale Intensivstationen erhöht. Zudem macht betroffenen Frauen im Durchschnitt häufiger eine schwangerschaftsbedingte Hypertonie und Präeklampsie zu schaffen.

Früher nicht besser

Wäre es sinnvoll, den oGTT bei Hochrisikofrauen bereits in der Frühschwangerschaft, also vor der 24. Schwangerschaftswoche, anzusetzen? »Eine aktuelle Studie mit Hochrisikoschwangeren zu dieser Fragestellung zeigt, dass eine frühere Diagnose und dadurch eine früher eingeleitete Therapie nur marginale Vorteile für Mutter und Kind mit sich gebracht hat. Die Effekte sind deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Lediglich bezüglich des Atemnotsyndroms hatten die Kinder signifikant weniger Probleme. Alle anderen Negativ-Entwicklungen wie Makrosomie oder die Gestationshypertonie- oder Präeklampsierate blieben unbeeinflusst«, führt Laubner aus.

»Das beste Vorgehen bezüglich des Screenings in der Frühschwangerschaft ist also nach wie vor unklar. Was wir aber definitiv wissen, ist die Tatsache, dass Risikofrauen unbedingt dazu motiviert werden müssen, ihren Lebensstil anzupassen. Die Gewichtszunahme muss moderat bleiben. Adipöse Frauen haben per se ein höheres Risiko etwa für eine Präeklampsie oder einen Gestationsdiabetes.« Insofern werde sich auch an den Grundpfeilern der Therapie – also Ernährungs- und Bewegungstherapie sowie dann die rechtzeitige Umstellung auf Insulin bei Nichterreichen der Zielwerte – nichts ändern.

Umstellung zeigt Erfolge

In Spezialambulanzen für Schwangerschaftsdiabetes wie etwa am Universitätsklinikum Freiburg wird der Blutzucker der Frauen wöchentlich kontrolliert. Die Frauen werden geschult, Blutzuckermessungen selbst vorzunehmen und einzuschätzen. Dazu kommt eine umfassende Ernährungsberatung: »Bei den meisten Schwangeren reicht eine konsequente Ernährungsumstellung mit wenig kurzkettigen Zuckern und Fett in Kombination mit idealerweise 30 bis 60 Minuten körperlicher Bewegung täglich aus, um die Blutzuckerwerte wieder in den Griff zu bekommen«, sagt Laubner. Berücksichtigt würden auch der Tagesrhythmus, die Gewohnheiten, die Erwerbstätigkeit und der soziokulturelle und religiöse Hintergrund, damit die Schwangere die Empfehlungen auch wirklich bis zur Geburt befolgen kann. Stellt sich dadurch etwa nach zwei Wochen keine Besserung ein, wird ergänzend mit einer Insulintherapie begonnen.

»Wir stellen diese Indikation immer mit Bedacht«, betont Laubner. »Es ist eine zusätzliche Belastung, in der Schwangerschaft Insulin spritzen zu müssen. Zuvor wollen wir alle konservativen Maßnahmen ausgenutzt haben. Wir beobachten bei uns nicht selten, dass Frauen ihr kombiniertes Ernährungs-Bewegungsprogramm konsequenter durchziehen, wenn wir bei ihnen eine Insulintherapie für notwendig erachten. Dann bewegen sich die Blutzuckerwerte doch in die bessere Richtung«, appelliert die Expertin an den Motivationswillen der Betroffenen. Diese Beobachtungen spiegelten sehr gut die ablaufenden pathophysiologischen Prozesse im Organismus. Die Insulinresistenz verschärft sich im Verlauf der Schwangerschaft. »Das heißt, dass das Ernährungsprogramm initial gute Erfolge auf den Blutzuckerspiegel zeigt, aber im weiteren Verlauf durchaus eine Insulintherapie nötig werden kann.«

Nachsorge muss besser werden

Zwar normalisieren sich nach der Entbindung in der Regel die Blutzuckerwerte der Mutter wieder. »Der Gestationsdiabetes ist jedoch ein Kontinuum. Er hört also nach der Schwangerschaft nicht unbedingt auf«, sensibilisiert die Medizinerin. Die Betreuung von betroffenen Frauen geht nach der Entbindung weiter. Laut einer aktuellen Metaanalyse haben Frauen mit Gestationsdiabetes bei einer Beobachtungsdauer von durchschnittlich 7,7 Jahren ein fast zehnfach erhöhtes Risiko für die Manifestation eines Typ-2-Diabetes. Und: Herz-Kreislauf-Komplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall treten innerhalb von 10 bis 22 Jahren nach der Entbindung doppelt so häufig auf im Vergleich zu Frauen mit normalem Blutzuckerspiegel in der Schwangerschaft, und zwar unabhängig davon, ob sie zwischenzeitlichen an Typ-2-Diabetes erkrankt sind, informiert die Endokrinologin.

Für Laubner machen diese Zahlen vor allem deutlich, wie wichtig eine entsprechende Nachsorge ist. »Betroffene Frauen benötigen eine strukturierte Nachsorge mit regelmäßigen Screeningterminen hinsichtlich Typ-2-Diabetes, aber auch auf kardiovaskuläre Risikofaktoren, gleich ob zwischenzeitlich ein Typ-2-Diabetes vorliegt oder nicht. Es geht dabei auch darum, frühzeitig Diabetes-Vorstufen zu finden, Patientinnen vorbeugende Maßnahmen anzubieten und einen bereits ausgebrochenen Typ-2-Diabetes schnell zu behandeln.«

Das große Problem ist jedoch: Die betroffenen Frauen haben die Gefahren, die auf sie zukommen könnten, nicht im Blick. »Zahlen aus Deutschland aus dem GestDiab-Register zeigen, dass nur 38,2 Prozent der Frauen mit Gestationsdiabetes ein postpartales Screening wahrnehmen, der Großteil von mehr als 60 Prozent nicht«, informiert die Endokrinologin.

»Wir müssen mehr präventiv tätig werden, um die Frauen zum Dranbleiben zu bewegen«, ist die Fachärztin überzeugt. Die Vernetzung mit den niedergelassenen Gynäkologen, Diabetologen und auch Hausärzten müsse ausgebaut werden. Auch die Apotheke bezeichnete sie als geeigneten Ort, um die Betroffenen für die Risiken, die ein Gestationsdiabetes mit sich bringt, zu sensibilisieren. »Für die Frauen bedeutet die Diagnose, selbst aktiv zu werden.« Einen Überblick zu den nötigen Untersuchungen und regelmäßigen Kontrollen gibt auch der neue Flyer des Baden-Württembergischen Gesundheitsministeriums.

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