Schmerzpatienten begleiten |
Anhaltende schwere Schmerzen können Menschen in die Verzweiflung treiben. / Foto: Getty Images/amygdala_imagery
Die Deutsche Schmerzgesellschaft schätzt die Zahl der Menschen mit chronischen Schmerzen auf 8 bis 16 Millionen in Deutschland. Besonders betroffen sind alte Menschen. Erkrankungen des Bewegungsapparats, insbesondere Rückenschmerzen, nehmen mit 16 Prozent den höchsten Anteil der Ursachen ein. Schmerzen beeinflussen die Lebensqualität der Betroffenen in hohem Maß. So geben 50 Prozent der Personen an, dass die Schmerzen direkte Auswirkungen auf ihr Arbeitsleben haben. 39 Prozent berichten, dass ihr Gesundheitszustand auch negative Folgen für das familiäre Leben habe (1).
Die Behandlung von chronischen Schmerzen ist nicht nur eine individuelle Herausforderung, sondern auch für die Gesellschaft. Denn es resultieren hohe Kosten durch langwierige Behandlungen, häufige Arztbesuche, Operationen und Krankenhausaufenthalte – zusätzlich zu beruflichen Fehltagen und Rehabilitationsmaßnahmen.
Mit höherem Lebensalter leiden immer mehr Menschen unter ständigen Schmerzen. In der Altersgruppe über 75 Jahren ist fast jeder Zweite betroffen. Von einem chronischen Schmerzgeschehen sprechen Experten, wenn die Beschwerden über mehr als drei Monate anhalten oder ständig wiederkehren und die Schmerzen sich stetig steigern.
Akute Schmerzen sind ein Warnsignal für den Körper, zum Beispiel bei Verletzungen. Diese Schutzfunktion haben chronische Schmerzen nicht. Sie verselbstständigen sich zu einem eigenen Krankheitsbild und es entsteht ein Schmerzgedächtnis.
Bei starken und sehr starken tumorbedingten Schmerzen sowie operativen Eingriffen sind Opioide Mittel der Wahl. Zudem sind sie laut der S3-Leitlinie »Langzeitanwendungen von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen« (2) eine medikamentöse Therapieoption in der kurz- (vier bis zwölf Wochen), mittel- (13 bis 25 Wochen) und langfristigen Therapie (mehr als 26 Wochen) von chronischen Arthrose- und Rückenschmerzen sowie chronischen Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie und Postzosterneuralgie. Kontraindikationen sind primäre Kopfschmerzen sowie funktionelle und psychische Störungen mit dem (Leit-)Symptom Schmerz. Die Leitlinie nennt weitere Krankheitsbilder, bei denen ein individueller Therapieversuch erwogen werden kann.
Während Opioide früher eher zurückhaltend verordnet wurden, stiegen die Verschreibungen zwischen 2000 bis 2010 um 37 Prozent sowie die Tagesdosen um 109 Prozent (3). Generell sollten Opioidanalgetika nur dann eingesetzt werden, wenn nicht-medikamentöse Therapien und andere Schmerzmittel nicht ausreichend wirksam waren oder wegen ihrer Nebenwirkungen oder Kontraindikationen ausgeschlossen sind.
Die Behandlung chronischer Schmerzen sollte immer ein Gesamtkonzept umfassen, in dem die Opioidanalgetika ein Baustein sind. Im Sinn einer partizipativen Entscheidungsfindung sollten Behandler und Patient gemeinsam die individuellen Therapieziele und Maßnahmen festlegen – so fordert es die Leitlinie.
Orientierung für den Einsatz von Opioidanalgetika gibt weiterhin das Stufenschema der WHO zur Tumorschmerztherapie (Grafik). Nach Intensität, Lokalisation und Art der Schmerzen werden drei Stufen unterschieden. Mittelstarke Opioide wie Tilidin und Tramadol werden in der zweiten Stufe und die starken Analgetika wie Morphin, Fentanyl oder Buprenorphin in Stufe 3 empfohlen. Alle Opioide wirken analgetisch, dämpfend und atemdepressiv, aber nicht antiinflammatorisch wie nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAR), die ebenso wie Metamizol in der ersten Stufe des WHO-Schemas genannt werden.
Stufenschema zur Tumorschmerztherapie; modifiziert nach WHO 2019 / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Opioide binden als Agonisten oder Partialagonisten mit unterschiedlicher Affinität an die körpereigenen Opioidrezeptoren und hemmen so die Schmerzweiterleitung im zentralen Nervensystem, also im Rückenmark und im Gehirn. Opioidrezeptoren gibt es außerdem auch in der Peripherie; hier können die Substanzen Nebenwirkungen, zum Beispiel Obstipation, hervorrufen.
Opioide werden bei mittelstarken bis starken Schmerzen häufig mit Koanalgetika wie Nicht-Opioidanalgetika, Antidepressiva und Antikonvulsiva kombiniert. Letztere sind insbesondere bei neuropathischen Schmerzen angezeigt.
Zu den mittelstarken Substanzen gehören Tilidin und Tramadol. Tilidin wird mit dem Opioidrezeptor-Antagonisten Naloxon kombiniert, um das Abhängigkeits- und Nebenwirkungsrisiko zu reduzieren. Das Prodrug Tilidin wird in der Leber zur eigentlichen Wirkform Nortilidin metabolisiert.
Tilidin kann in Tropfen- oder Tablettenform angewendet werden. Mit den Tropfen wird eine rasch eintretende Wirkung mit geringer Dauer von etwa zwei bis drei Stunden erreicht. Dies ist für akute Schmerzen oder Schmerzspitzen sinnvoll. Für eine anhaltende Analgesie sind Retardformulierungen mit einer Wirkdauer von zwölf Stunden besser geeignet. Aufgrund des Missbrauchsrisikos unterliegen Tilidin-Tropfen der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV).
Tramadol wirkt Opioid-agonistisch und hemmt die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin. Diese Begleitwirkung ist vorteilhaft bei der Behandlung von neuropathischen Schmerzen. Auf der anderen Seite sind pharmakodynamische Wechselwirkungen mit serotonergen Substanzen möglich und unbedingt zu beachten. Pharmakokinetische Interaktionen können mit Inhibitoren von CYP 2D6, zum Beispiel Fluoxetin, Paroxetin und Bupropion, auftreten. Es resultieren höhere Plasmaspiegel von Tramadol.
Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) ordnet Tramadol als Therapieoption für einige Tage oder wenige Wochen zur kurzfristigen Analgesie ein, bevor zu einem Arzneimittel der WHO-Stufe 3 übergegangen wird.
Tramadol steht als retardierte und nicht-retardierte orale Darreichungsform zur Verfügung. Retardtabletten werden normalerweise zweimal, die Tropfen und unretardierte Arzneiformen wegen der kurzen Halbwertszeit drei- bis sechsmal täglich eingenommen. Außerdem kann Tramadol intravenös, subkutan oder rektal angewendet werden.
Bei Einsatz der mittelstarken Opioide sollte der sogenannte Ceiling-Effekt beachtet werden. Dies bedeutet: Im oberen Dosierungsbereich ist irgendwann durch weitere Dosissteigerung keine weitere Analgesie mehr zu erreichen, die Nebenwirkungsrate steigt jedoch trotzdem. Wenn die Wirksamkeit der Tageshöchstdosen also nicht ausreicht, sollte frühzeitig auf stark wirksame Opioide gewechselt werden (4).
Foto: Adobe Stock/Klaus Eppele
Betäubungsmittel (BtM) werden auf speziellen dreiteiligen Rezeptformularen für gesetzlich krankenversicherte Patienten und Privatpatienten verschrieben.
Ein BtM-Rezept ist sieben Tage gültig. Es muss spätestens am siebten Tag nach Ausstellung durch den Arzt in der Apotheke eingereicht werden. Teilmengen oder Nachlieferung wegen einer Bestellung dürfen auch danach noch an den Patienten ausgehändigt werden. Die BtM-Nummer auf dem Rezept verweist auf den verordnenden Arzt, der seine individuelle BtM-Nummer hat. Die Angaben zur Apotheke müssen entweder auf das Rezept aufgedruckt oder auf die Rückseite gestempelt werden. Außerdem muss die Unterschrift des Abgebenden vermerkt sein.
Für die Angaben auf BtM-Rezepten gibt es strenge Vorgaben. So muss die Menge des verschriebenen Arzneimittels in Gramm oder Milliliter oder Stückzahl der abgeteilten Form angegeben sein. N-Größen sind nicht ausreichend. Bei transdermalen Systemen müssen die Beladungsmengen vermerkt sein, wenn ein spezielles Handelspräparat verordnet ist. Wichtig ist die Dosierungsanweisung mit Einzel- und Tagesdosis. Fehlt diese, kann der Apotheker nach Rücksprache den Hinweis ergänzen und so das Rezept »heilen«. Der Nachtrag muss mit Unterschrift und Datum abgezeichnet sein.
Überschreitet der Arzt die zulässige Höchstmenge für 30 Tage (aufgelistet in der BtM-Verschreibungsverordnung), muss er dies auf dem Rezept mit dem Buchstaben »A« kennzeichnen.
Möchte der Arzt in einer Notfallsituation ein Opioid verordnen, hat aber kein BtM-Formular zur Hand, kann er die Verordnung auf einem normalen Rezept vornehmen, muss aber spätestens am folgenden Tag ein BtM-Rezept nachreichen. Auf beiden Rezepten markiert der Buchstabe »N« die Notversorgung und die Nachreichung des BtM-Rezeptes. Zusammen mit einem BtM darf auch ein »Nicht-BtM«, zum Beispiel ein Laxans, verordnet werden.
Hochpotente Opioide unterliegen der BtMVV. Hierzu gehören Morphin und seine Derivate wie Hydromorphon, Buprenorphin, Fentanyl, Oxycodon, Levomethadon und Tapentadol. Sie unterscheiden sich in der Pharmakokinetik, der analgetischen Wirksamkeit und der Verfügbarkeit in verschiedenen Darreichungsformen.
Klassisches Morphin kann bei Patienten mit Niereninsuffizienz kumulieren und schwere Nebenwirkungen, zum Beispiel Krampfanfälle und Delir, auslösen, sodass es heute nicht mehr die erste Wahl der Schmerztherapie ist. Buprenorphin hat im Vergleich zu Morphin eine 20- bis 50-mal stärkere Potenz und eine Wirkdauer von zehn Stunden. Es kann auch Patienten mit Niereninsuffizienz gegeben werden und ist verträglicher in puncto Analgetika-induzierte Obstipation und Atemdepression. Als Darreichungsformen stehen transdermale Systeme und Sublingualtabletten zur Verfügung.
Fentanyl wird ebenfalls in transdermalen Systemen (TTS) angeboten. Opioid-»Pflaster« sollen eine gleichmäßige Resorption über die Haut ins Blut sicherstellen. Sie eignen sich besonders, wenn Patienten Schluckprobleme oder intestinale Resorptionsstörungen haben. Bei Abgabe von TTS ist der Apotheker gefordert, wichtige Anwendungshinweise zu geben, insbesondere bei einem Wechsel der Dosierungen oder des Herstellers. Die Beladungsmengen und Pflastergrößen können variieren. Ebenso sollte der Patient wissen, dass die maximale Wirkung erst 12 bis 24 Stunden nach Aufbringen auf die Haut zu erwarten ist, aber nach Entfernen des Pflasters noch anhält.
Oxycodon ist etwa doppelt so stark wie Morphin. Auch hier ist eine fixe Kombination mit dem Opioidantagonisten Naloxon verfügbar, die die Nebenwirkungsrate und Suchtgefahr senkt. Hydromorphon gilt besonders bei alten Menschen als vorteilhaft.
Tapentadol wirkt an den Opioidrezeptoren und zusätzlich als Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor. Von dieser kombinierten Wirkung profitieren Patienten mit neuropathischen Schmerzen oder mit einem Schmerzgeschehen, bei dem neuropathische und nozizeptive Komponenten vorliegen, dem »mixed pain«.
Abgesehen von Buprenorphin gibt es für die retardierten Opioide der WHO-Stufe 3 bei Erwachsenen keine Höchstdosen. Stark wirkende Analgetika werden individuell dosiert. Ziel sollte die niedrigst mögliche, aber individuell ausreichend hohe Dosierung sein. Mittelstarke und starke Opioide sollten laut WHO nicht miteinander kombiniert werden, weil keine Wirksteigerung zu erwarten ist, sich aber die Nebenwirkungen verstärken.
Die BtMVV regelt die Abgabe und die Verordnungshöchstmengen. In begründeten Einzelfällen kann der Arzt davon abweichen. Häufig ist dies der Fall, wenn die Krankheit fortschreitet, zum Beispiel bei Tumorschmerzen. Neue Metastasen, zum Beispiel in Knochen oder Weichteilgewebe, können die Schmerzen drastisch verschlimmern. Dann ist eine schmerztherapeutische Betreuung anzustreben.
Die Schmerzintensität sollte regelmäßig im Ruhezustand und unter Belastung mittels einer Ratingskala bestimmt werden (0: kein Schmerz, 10: stärkste vorstellbare oder erlebte Schmerzen).
Ein praxisbewährtes Hilfsmittel ist das Schmerztagebuch. Um den Therapieverlauf mit dem Arzt zusammen zu optimieren, sollte der Patient seine Schmerzen, deren Intensität und Zeitpunkte sowie die Schmerzmedikation dokumentieren. Hierfür eignen sich konventionelle Schmerztagebücher oder spezielle Apps.
Für die tägliche Praxis der Schmerztherapie bei Tumorpatienten gibt die WHO den Heilberufen vier Grundprinzipien vor (5):
Die Schmerzmedikation muss immer individuell abgestimmt und mit der Patientin besprochen werden. / Foto: Adobe Stock/Alexander Raths
Bei chronischer Einnahme sollten zur Basistherapie nur retardierte Darreichungsformen verordnet werden. Der längere Gebrauch von schnell wirkenden Tropfen, zum Beispiel mit Tilidin oder Tramadol, jenseits der akuten Bedarfsmedikation erhöht die Nebenwirkungsrate und erzeugt euphorisierende Effekte, die eine Suchtentwicklung begünstigen können.
Wenn der Patient während einer laufenden Schmerztherapie nicht mehr auf das Opioid anspricht, kann ein Wechsel des Wirkstoffs nötig sein. Die sogenannte Opioidrotation kann Wirksamkeit und Verträglichkeit verbessern. Zu beachten: das neue Opioid mit einer 50 bis 75 Prozent niedrigeren Äquivalenzdosis starten und dann auftitrieren. Es besteht eine große individuelle Variabilität der Wirksamkeit der Opioidanalgetika bei den Patienten. Deshalb sind die Aquivalenzdosen als Orientierungswerte zu verstehen (6).
Nach dem Konzept der partizipativen Entscheidungsfindung sollten Patienten gemeinsam mit dem Arzt den Nutzen, aber auch die möglichen unerwünschten Wirkungen besprechen. Laut Leitlinie sollte der Patient darauf hingewiesen werden, dass die Einnahme von Opioiden zu körperlicher Abhängigkeit führen kann (nicht muss). Das Risiko einer Suchtentwicklung (psychische Abhängigkeit) sei bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gering. Dieser Aspekt sollte behutsam vermittelt werden, um die Adhärenz des Patienten nicht zu gefährden.
Auch das Apothekenteam kann auf die häufigsten Nebenwirkungen mit Präventionsvorschlägen hinweisen. Oft treten unter Opioiden Übelkeit, Benommenheit, Obstipation, trockener Mund, Schwäche, Kopfschmerzen, Juckreiz und vermehrtes Schwitzen auf. Die Nebenwirkungen setzen vor allem zu Therapiebeginn ein; ein Teil ist passager und bildet sich meist nach zwei bis vier Wochen zurück. Zum Beispiel kann Metoclopramid (MCP) die zu Beginn oft auftretende Übelkeit reduzieren. Aber auch Ingwertee oder Antihistaminika der ersten Generation können bei leichten Beschwerden ergänzend empfohlen werden.
Übelkeit tritt vor allem zu Beginn einer Opioidtherapie auf und bildet sich meist nach zwei bis vier Wochen zurück. Dennoch brauchen die Patienten in dieser Zeit oft eine Therapie. / Foto: Adobe Stock/buritora
Zu den persistierenden Nebenwirkungen zählen Obstipation, Fatigue und Hyperhidrose. Einige Patienten leiden unter massiven Schweißattacken. Hier sind Empfehlungen wie der »Zwiebellook«, bei dem nach und nach Kleidungsteile abgelegt werden können, ein praktischer Tipp. Salbeiextrakt oder -tee können ebenfalls zur Linderung leichter Beschwerden versucht werden.
Um die Adhärenz sicherzustellen, kann der Apotheker auf diese Eingangseffekte empathisch hinweisen, zum Beispiel: »Sie haben ein sehr gutes und hoch wirksames Schmerzmittel verordnet bekommen. Der Körper reagiert häufig auf dieses neue Arzneimittel mit Eingangswirkungen wie Schwindel, Verstopfung und Müdigkeit. Nach einiger Zeit gehen diese Beschwerden zurück. Oft bleibt die Verstopfung, aber dafür empfehle ich Ihnen vorsorglich ein Mittel zur Verbesserung der Verdauung. Falls dies nicht ausreicht, sollten Sie mit Ihrem Arzt sprechen.«
Die DGS beschreibt in ihrem Zehn-Thesen-Papier (7) die wesentlichen Empfehlungen zum Management der Opioid-induzierten Obstipation (OIC). Deren Häufigkeit schwankt stark: zwischen 15 und 81 Prozent bei nicht-tumorbedingten und zwischen 74 bis 87 Prozent bei tumorbedingten Schmerzen. Anwendungsbeobachtungen zeigen, dass die Obstipation der häufigste Grund für den Abbruch einer Opioidtherapie ist.
Problematisch ist, dass konventionelle Laxanzien oft nicht ausreichen. Die Aktivierung der peripheren Opioidrezeptoren durch die Medikation stört die Darmmotilität, Sekretion und Schließmuskelfunktion. Dieser Effekt ist unabhängig von der Darreichungsform des Opioids. So können Macrogole oder Lactulose ihre Wirkung nicht vollständig entfalten, wenn die allgemeinen Funktionen durch die Rezeptoraktivierung gestört sind. Daher empfiehlt die DGS, eine erfolglose OIC-Therapie nach einer bis zwei Wochen mit peripher aktiven µ-Opioid-Rezeptorantagonisten (PAMORA) kausal anzugehen.
Vertreter wie Naloxegol, Methylnaltrexon und Naldemedin hemmen spezifisch die peripheren µ-Opioid-Rezeptoren im enteralen Nervensystem und vermindern so die dortigen Nebenwirkungen der Opioide. Naloxegol wird mindestens 30 Minuten vor der ersten oder zwei Stunden nach der ersten Mahlzeit eingenommen. Die Tablette kann auch zermörsert und als Suspension angewendet werden. Zu beachten sind Wechselwirkungen mit CYP3A4-Inhibitoren. Methylnaltrexon wird subkutan vier- bis siebenmal pro Woche appliziert. Naldemedin wird oral eingenommen und erreicht seine maximale Plasmakonzentration etwa 45 Minuten nach Resorption im Nüchternzustand. Die Einnahme kann unabhängig von den Mahlzeiten erfolgen. Die Therapie mit PAMORA verbessert nachweislich die Lebensqualität der Patienten und steigert so die Adhärenz der Opioidtherapie.
In den Bereichen des Gehirns, die die Atmung kontrollieren, befinden sich ebenfalls Opioidrezeptoren. Opioide erzeugen so dosisabhängig eine verminderte abgeflachte Atmung. Die Patienten erleben das als Kurzatmigkeit und Luftnot. Bei einer langsamen kontrollierten Dosisanpassung des Opioids besteht nur ein geringes Risiko für Komplikationen. Erkranken Menschen unter Opioidtherapie jedoch an Covid-19, sollte die Atmung besonders überwacht werden.
Das Apothekenteam sollte Menschen mit Polymedikation, die nun Opioide bekommen, eine Medikationsanalyse anbieten. / Foto: ABDA
Wenn Opioidanalgetika bei älteren Patienten neu verordnet werden, sollten Apotheker auf mögliche Einschränkungen der Reaktionsfähigkeit, Schwindel und Benommenheit hinweisen. Die Patienten sollten in der Einstellungsphase keine Maschinen bedienen und nicht Auto fahren.
Menschen mit Polymedikation sollte das Apothekenteam auch eine Medikationsanalyse anbieten, um mögliche arzneimittelbezogene Probleme zu identifizieren. Bleiben Eingangsbeschwerden bestehen, ist die Dosierung auch hinsichtlich eingeschränkter Nierenfunktion sowie Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu überprüfen. Eine Dosisanpassung orientiert sich immer auch an der erforderlichen Analgesie. Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen oder Schlaf-Apnoe-Syndrom sollten auf atemdepressive Effekte aufmerksam gemacht werden.
Katja Renner arbeitet seit 2000 als Dozentin für verschiedene Apothekerkammern und die ABDA. Ihr Schwerpunkt ist die praxisnahe Fortbildung zu Themen wie Depression, Kinder- oder Atemwegserkrankungen sowie zu Arzneimitteln in der Schwangerschaft. Renner ist Mitglied des Fort- und Weiterbildungsausschusses der Apothekerkammer Nordrhein und gehört zum Projektteam von ATHINA.