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Virus-Clearence

SARS-CoV-2-Infektionen bei Immunsupprimierten

Wie lange dauert es, bis Menschen, deren Immunsystem aus unterschiedlichen Gründen geschwächt ist, das Coronavirus nach einer SARS-CoV-2-Infektion eliminieren? Dieser Frage gingen Forschende vom MIT und der Harvard-University in Bosten nach und zeichneten ein erstaunlich differenziertes Bild.
Theo Dingermann
30.01.2024  09:00 Uhr

Während beim Long-Covid-Syndrom nach einer überstandenen akuten Infektion eine komplexe Symptomatik persistiert, die schwere Krankheitsbilder verursachen kann, wird die chronische Coronavirus-Erkrankung (chronisches Covid) dadurch verursacht, dass das Immunsystem der betroffenen Patienten das Virus nicht effizient eliminieren kann. Betroffen von chronischem Covid-19 sind in der Regel immunsupprimierte Patienten, wobei die Immunsuppression entweder aus einer Erkrankung oder aus der medikamentösen Therapie resultiert.

Dr. Yijia Li und Kollegen vom Department of Medicine des Brigham and Women's Hospitals an der Harvard Medical School in Boston, USA, untersuchten im Rahmen der longitudinalen Kohortenstudie »POSITIVES« (Post-Vaccination Viral Characteristics Study) 56 immunsupprimierte Patientinnen und Patienten sowie 184 Probanden, die kein geschwächtes Immunsystem hatten.

Die Gruppe der immunsupprimierten Patienten wurde weiter unterteilt in zwölf Patienten, die aufgrund einer hämatologisch-onkologischen Erkrankung oder aufgrund einer Transplantation schwer immunsupprimiert waren (S-HT-Gruppe), in 13 Patienten mit einer schweren Autoimmunerkrankung oder einer B-Zell-Defizienz (S-A-Gruppe) und in 31 Patienten mit einer nicht schweren Immundefizienz, beispielsweise bedingt durch die Einnahme immunsuppressiv wirkender Medikamente (NS-Gruppe). Ihre Ergebnisse publizierten die Forschenden jetzt im Wissenschaftsjournal »Science Translational Medicine«

Blutkrebs-Patienten kämpfen länger mit dem Virus

Die Forschenden konnten zeigen, dass Patienten mit leichter (NS-Gruppe) oder mäßiger Immunsuppression (S-A-Gruppe) das Virus ziemlich gut beseitigen konnten. Im nasalen Abstrich war virale RNA bei diesen Patienten im Median nach zehn beziehungsweise zwölf Tagen nicht mehr nachweisbar. In der sehr viel größeren Kontrollgruppe blieb im Median der RNA-Nachweis im Nasenabstrich nach 13 Tagen negativ.

Dagegen betrug die mediane Zeit bis zur Clearance der nasalen viralen RNA bei den Patienten mit einer hämatologisch-onkologischen Erkrankung oder bei denen eine Knochenmarkstransplantation durchgeführt wurde (S-HT-Gruppe), 72 beziehungsweise 40 Tage.

An Tag 30 nach Auftreten der Symptome oder dem ersten positiven Testergebnis war virale RNA noch bei 50, 15 und 6,5 Prozent der Teilnehmer aus den Gruppen S-HT, S-A und NS nachweisbar, verglichen mit 0 Prozent in der Kontrollgruppe.

Verzögerte Virus-Elimination führt zu Mutationen

Durch Gensequenzierung ließen sich einzigartige Intrahost-Einzel-Nukleotid-Varianten (iSNV) im S-Gen, das für das Spike-Protein kodiert, nachweisen. Diese traten in jeder Probe mit einer Häufigkeit von > 3 Prozent der gesamten Viruspopulation auf. Bei den schwer immungeschwächten Studienteilnehmer (S-HT- und S-A-Gruppen) ließ sich eine größere Anzahl von iSNV nachweisen als bei Teilnehmern aus der NS- und aus der Kontrollgruppe.

Immungeschwächte Patienten, für die longitudinale Sequenzen verfügbar waren, wiesen zu 39 Prozent Mutationen im Gen für das S-Protein auf, gegenüber 12 Prozent der nicht immungeschwächten Studienteilnehmer. Dabei waren die Mutationen über die gesamte Länge des S-Gens verteilt.

Interessanterweise fanden die Forschenden zunächst keine Unterschiede bei den Titern für neutralisierende Antikörper (nAb) zwischen den verschiedenen Gruppen, sowohl bei den immungeschwächten Patienten als auch bei den Probanden der Kontrollgruppe. Allerdings konnte in der Kontrollgruppe während der Nachbeobachtung ein Anstieg der anti-Wildtyp und anti-Varianten-Spike Protein-spezifischen nAb-Titer beobachtet werden, während bei den immungeschwächten Patienten kein signifikanter Anstieg der Antikörpertiter beobachtet wurde.

Wurden die Patienten ausgeschlossen, die zum damaligen Zeitpunkt eine Therapie mit monoklonalen Antikörpern erhalten hatten, zeigten die Patienten der nicht schwer immungeschwächte Gruppe jedoch auch einen moderaten Anstieg der Spike-Protein-spezifischen nAb-Titer. Dieser Anstieg blieb jedoch bei den schwer immungeschwächten Patienten auch nach dieser Korrektur aus. 

Differenzierte T-Zellantworten

Für eine ausgewählte Gruppe von Patienten bestimmten die Forschenden auch die T-Zell-Effektor-Funktion mit Hilfe eines ELISpot (Enzyme-linked Immunosorbent Spot) und eines antigenspezifischen Proliferationstests.

Die Probanden der Kontrollgruppe wies bei den Blutentnahmen zum Zeitpunkt der akuten Infektion (Tage 0 bis 14) und der postakuten Phase (Tage 15 bis 60) im Vergleich zu den NS- und S-A-Gruppen niedrigere IFN-γ-produzierende Einheiten pro Million Zellen auf, und zwar sowohl als Reaktion auf Wildtyp- als auch auf variantenspezifische Spike-Peptid-Pools.

Dabei zeigten sich bei Patienten der S-A-Gruppe tendenziell die höchsten Werte für proliferative CD4+- und CD8+-T-Zellen nach Stimulation des Spike-Peptid-Pools, insbesondere im Vergleich zu den Patienten der S-HT-Gruppe und der Kontrollgruppe. In der Längsschnittanalyse ließ sich bei den Patienten der S-HT-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe trotz einer vergleichbaren IFN-γ-Sekretion eine schwache Proliferation von CD4+- und CD8+-T-nachweisen. Die ist wahrscheinlich das Ergebnis der Exposition gegenüber großen Mengen von SARS-CoV-2-Antigen, während die verringerte Proliferation auf eine eingeschränkte Funktionalität hinweist.

Die robusteste T-Zell-Proliferation über die Zeit als Reaktion sowohl auf die Wildtyp- als auch auf die variantenspezifische Spike-Peptid-Pools ließ sich für die Patienten der S-A-Gruppe nachweisen. Dies deutet auf erhöhte funktionelle SARS-CoV-2-spezifische CD8+-T-Zell-Reaktionen hin, die mit einem intermediären Risiko für eine chronische Infektion verbunden waren.

Immunsupprimierte sollten an Auffrischimpfungen denken

Die Arbeit unterstreicht, dass die Konsequenzen einer Immunsuppression hinsichtlich der Fähigkeit, SARS-CoV-2 zu eliminieren, differenziert betrachtet werden müssen. Denn Immunschwächen präsentieren sich in einem breiten Spektrum. Somit ist von einer Risikohierarchie sowohl hinsichtlich einer verzögerten SARS-CoV-2-RNA-Clearance als auch der Gefahr einer viralen Evolution bei einem betroffenen Patienten auszugehen. Aus pharmazeutischer Sicht ist bemerkenswert, dass eine Autoimmunkrankheit, die beispielsweise mit Antitumor-Nekrose-Faktor behandelt wird, kaum zu einer verzögerten Virus-Clearance führt.

Ferner unterstreicht die Studie die Bedeutung von Booster-Impfungen gerade auch für immunsupprimierte Patienten. Zwar liegen die nAb-Titer sowohl gegen das Wildtyp-Virus als auch gegen die Virusvariante bei den schwer immungeschwächten Patienten nur bei 10 bis 20 Prozent im Vergleich zu nicht immunsupprimierten Personen. Allerdings zeigte sich auch, dass jede zusätzliche Impfdosis mit einem etwa 1,5-fachen Anstieg der Antikörper-Titer in der gesamten Kohorte resultiert, weshalb diesen Patienten dringend zu raten ist, sich an die Impfempfehlungen zu halten.

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