Rx-Boni – Kaufanreiz oder nicht? |
Das oberste Gericht der Europäischen Union, der Europäische Gerichtshof, muss entscheiden, ob Rx-Boni als unlautere Werbung einzustufen sind. / © Imago/Patrick Scheiber
Rabattaktionen bei der Einlösung von Rezepten sind keine Werbung für Arzneimittel, so lautet die Einschätzung des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Maciej Szpunar. Im Prozess der niederländischen Versandapotheke Doc Morris gegen die Apothekerkammer Nordrhein vor dem EUGH (Rs. C-517/23) hat Szpunar am 24. Oktober 2024 seine Schlussanträge vorgelegt. Er plädiert darin für einen stärkeren Wettbewerb zwischen Apotheken.
Die vom Bundesgerichtshof (BGH) in diesem Verfahren an den EuGH gerichteten Fragen zielen im Kern darauf, ob die von Doc Morris beworbenen Rx-Boni (Rabatte und Gutscheine, die bei der Einlösung von Rezepten gewährt wurden) als arzneimittelbezogene Werbemaßnahmen in den Geltungsbereich des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (Richtlinie 2001/83/EG) fallen und daher die dort enthaltenen Vorschriften (einschließlich des Werbeverbots für verschreibungspflichtige Arzneimittel) anzuwenden sind. Anhand der jüngeren Rechtsprechung des EuGH zu OTC-Werbeaktionen und zu Gewinnspielen bestehen aus Sicht des BGH Zweifel, welche Kriterien anzuwenden sind.
Der Generalanwalt analysiert diese Rechtsprechung nun übergreifend und stellt fest, dass der EuGH derartige Werbung im OTC-Bereich als arzneimittelbezogen einstufe, da sie konkrete Kaufanreize setze. Nach seiner Ansicht sei diese Wertung aber nicht auf Rx-Arzneimittel übertragbar: Die eigentliche Entscheidung zum Erwerb des Arzneimittels sei durch den Arzt mit der Ausstellung des Rezepts gefallen. Unterstellungen, »skrupellose« Ärzte könnten Rezepte vor dem Hintergrund von Werbeaktionen wie »Geld verdienen auf Rezept« unsachgemäß ausstellen, seien angesichts der berufsrechtlichen Vorgaben haltlos.
Für den Patienten stelle sich nur die Frage, in welcher Apotheke er das tatsächlich benötigte Arzneimittel erwerben möchte. Die Botschaft der fraglichen Werbung laute also »Kommen Sie zu uns«, nicht aber »Kaufen Sie diese Arzneimittel«, und sei damit ausschließlich apothekenbezogen. Eine Förderung unzweckmäßigen Arzneimittelgebrauchs sei nicht erkennbar.
Aus Sicht des Generalanwalts wären die Werbevorschriften der EU-Arzneimittelrichtlinie daher nicht anwendbar. Hilfsweise – für den Fall, dass der EuGH dies anders sehen sollte – hebt er aber hervor, dass ansonsten das strikte Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel auch für die hier streitigen Werbeaktionen gelten müsse.
Anschließend weist der Generalanwalt noch darauf hin, dass die Werbemaßnahmen am Maßstab der europäischen Grundfreiheiten zu messen wären, wenn die Richtlinie nicht anwendbar sei. Versandapotheken hätten ein grundrechtlich gestütztes Anliegen, ihr Geschäft zu fördern und am lukrativen Rx-Markt teilzuhaben, bei dem ein Rezept oft Teil eines größeren »Abonnements« sei. Der EuGH habe dazu bereits im Jahr 2016 festgestellt, dass die deutsche Preisbindung den Marktzugang behindere.
Ein Urteil des EuGH dürfte im Frühjahr 2025 zu erwarten sein. Die jetzigen Schlussanträge sind ein unverbindliches Gutachten für die Richter der zuständigen Fünften Kammer. Ob diese – Berichterstatter im Verfahren ist EuGH-Präsident Lenaerts – dem Vorschlag des Generalanwalts folgen, ist schwer prognostizierbar.
In den Schriftsätzen sowie in der mündlichen Verhandlung, die am 27. Juni 2024 in Luxemburg stattgefunden hat, wurden jedenfalls umfangreichere und differenziertere Argumentationslinien vorgetragen, als sie jetzt der Generalanwalt zusammenfasst. So hatte zum Beispiel die EU-Kommission dafür plädiert, die Einordnung konkreter Werbemaßnahmen letztlich den nationalen Gerichten zu überantworten, die im Wege einer Gesamtschau mögliche Kaufanreize identifizieren könnten und dabei den Bezug zu Arzneimitteln weit definieren müssten. Erörtert wurde insbesondere, dass Gutscheine per se Anreize zu Folgekäufen setzen könnten.
Weiterhin wurde hervorgehoben, dass die streitigen Werbemaßnahmen als aktive Einflussnahme auf Patienten rechtlich anders zu beurteilen sein dürften als rein sachliche Preisinformationen. Was die Bindung rezeptausstellender Ärzte an ihr Berufsrecht angeht, lässt schon die Tatsache, dass der europäische Gesetzgeber ausdrücklich eine strikte Regulierung von Werbemaßnahmen für verschreibungspflichtige Arzneimittel für erforderlich hält, an der Reichweite der vom Generalanwalt behaupteten Unbeeinflussbarkeit zweifeln.
Die aktuelle Entwicklung von »Rezeptplattformen« im Internet belegt auch faktisch, dass die Ausstellung von Rezepten nicht durchgehend streng kontrolliert wird und durchaus von Absatzinteressen gesteuert sein kann.
Sollte der EuGH wie der Generalanwalt nicht die Arzneimittelrichtlinie, sondern die Grundfreiheiten als Prüfungsmaßstab anlegen, müsste der BGH in der Folge die zwischenzeitlichen Entwicklungen bei der deutschen Preisbindung mit in den Blick nehmen. Zum einen hat der deutsche Gesetzgeber im Gesetz zur Stärkung der Vor- Ort-Apotheken (VOASG) eine Verlagerung vom Arzneimittel- in das Sozialrecht vorgenommen und dabei die Preisbindung weitgehend bekräftigt.
Zum anderen hat das Oberlandesgericht (OLG) München in einer sehr sorgfältig begründeten Entscheidung anhand der 2016 vom EuGH aufgestellten Kriterien festgestellt, dass schon die frühere arzneimittelrechtliche Preisbindung unionsrechtlich gerechtfertigt werden könne. Dieses Verfahren ist derzeit in der Revision beim BGH anhängig. Bereits jetzt ist also absehbar, dass die aktuellen Schlussanträge wohl nicht das letzte Wort zu dem Themenkomplex sein werden.