Ruf nach Zentralisierung und mehr Harmonie |
Ev Tebroke |
06.06.2024 13:00 Uhr |
Initiative auf EU-Ebene: Die Bundesregierung soll sich im EU-Rat für Änderungen bei der Medizinprodukte-Verordnung stark machen. / Foto: Adobe Stock/Grecaud Paul
Die neue Medizinprodukte-Verordnung hat der MedTech-Branche schon viele Sorgen bereitet. Die aus ihrer Sicht überregulierten und höchst bürokratischen Vorgaben erschweren den Marktzugang. Produktschwund und Abwanderung sind befürchtete Konsequenzen. Eigentlich wäre die EU-Verordnung (2017/745) Medical Device Regulation (MDR) im Mai 2024 national bindend geworden. Aufgrund der großen Kritik an den Vorgaben gab es auf EU-Ebene jedoch eine Fristverlängerung. Die Branche hat nun noch bis Ende 2027 Zeit, sich auf die neuen Zulassungs- und Prüfvorgaben einzustellen. Für risikoärmere Produktgruppen wird eine Übergangsphase bis Ende 2028 eingeräumt.
Trotzdem sieht die Branche in der schleppenden Implementierung der MDR ein großes Risiko, dass bewährte Bestandsprodukte nicht mehr zur Versorgung zur Verfügung stehen. In einer Anhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag zu einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion (20/9735) informierten Experten über die Risiken und Probleme der MDR, insbesondere ging es dabei auch um die Kapazitätsengpässe bei den sogenannten Benannten Stellen.
»Die Fristverlängerung hilft den Unternehmen zwar für den Moment, ist aber nur ein weiteres Aufschieben des Problems, denn weiter gehen lebensnotwendige Medizinprodukte unter anderem für Kinder vom Markt, weil der Aufwand für ein gesetzeskonformes Inverkehrbringen für die Hersteller zu hoch ist«, heißt es in dem Unionsantrag. Die Fraktion fordert die Regierung daher mit einem Sieben-Punkte-Katalog auf, dringend tätig zu werden. Die Sachverständigen im Ausschuss unterstützten am gestrigen Mittwoch mit ihren Aussagen den Ruf nach Handlungsbedarf.
Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) erklärte, die schleppende Implementierung der MDR berge ein hohes Risiko, dass bewährte Bestandsprodukte für die Versorgung verloren gingen. Hinsichtlich der nun dreimal geänderten MDR kritisierte BVMed-Expertin Christina Ziegenberg vor allem eine nach wie vor fehlende Harmonisierung und die überbordende Bürokratie. Es gebe zu viele Akteure und Verantwortlichkeiten, zu viel Redundanz. »Wir brauchen mehr Harmonisierung durch Zentralisierung bestimmter Prozesse«, so Ziegenberg.
Der Verband begrüßt die aktuelle Gesetzesinitiative des Europaabgeordneten Peter Liese (EVP). Der CDU-Politiker fordert unter anderem die Abschaffung der Rezertifizierung für Medizinprodukte der Klassen IIa und IIb (nicht implantierbar) sowie eine Verlängerung der Gültigkeit der MDR-Zertifikate auf 10 Jahre für Produkte der Klassen IIb (Implantate) und III. Zudem schlägt Liese ein »Europäisches Büro für Medizinprodukte« vor, angesiedelt bei der Europäischen Kommission. Ziegenberg unterstrich: »Ein Büro für Medizinprodukte auf EU-Ebene wäre eine gute Möglichkeit für eine zentrale Anlaufstelle.«
Aktuell sieht sich die Branche mit einem extremen Zertifizierungsstau konfrontiert, da die Benannten Stellen aufgrund der komplexen MDR-Regelwerks nicht mit den Prüfungen nachkommen. Viele Hersteller lassen ihre Produkte laut BVMed-Expertin daher in den USA zertifizieren. Und stünden dem deutschen Markt dann oft nicht mehr zur Verfügung. In den USA, wo es eine behördliche Zulassung mit fixen Zeitvorgaben gebe, dauert der Prozess sechs Monate. In Europa hingegen 13-18 Monate, bei Hochrisikogruppen sogar 2 Jahre.
Auch die Einzelsachverständige Nicola Osypka warnte vor den Folgen der Überregulierung für den Markt. Medizinprodukte würden überwiegend von mittelständischen Unternehmen entwickelt. Diese könnten die enormen Anforderungen oft nicht stemmen und zögen ihre Produkte vom Markt zurück.
Seitens des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hieß es zwar, der Zertifizierungsstau könne absehbar abgebaut werden. Wenn das neue System gelernt sei, würden auch die Prozesse schneller, so der GKV-Experte. Der Verband fordert aber vor allem mehr Transparenz über nationale Sonderzulassungen am Markt, dies gilt insbesondere für Nischenprodukte, sogenannte Ophan Devices. Ein Vertreter des TÜV Süd bestätigte in der Anhörung ebenfalls, mit der Frist-Verlängerung sei die Engpass-Problematik behoben. Die Benannten Stellen könnten alle Anträge in der Frist bis 2027/2028 bearbeiten.
Letztlich wurde deutlich, dass die Bundesregierung auf EU-Ebene tätig werden soll, um Anpassungen der MDR zu erwirken. Laut dem Rechtsexperten Erik Vollebregt kann der Bundestag die Regierung beauftragen, sich im EU-Rat entsprechend zu positionieren. Mit der Gesetzesinitiative von Liese liegt offenbar ein Vorschlag vor, der genau die in der Anhörung kritisierten Punkte zum Thema hat. Die Bundesregierung könne nun im EU-Rat andere Mitgliedstaaten dazu bewegen, die Initiative zu unterstützen, so der Jurist Vollebregt. Die Chancen stehen seiner Meinung nach nicht schlecht: »Deutschland ist in der EU der größte Hersteller für Medizinprodukte«, betonte er. Die anderen EU-Länder bräuchten diese Produkte. Wenn der deutsche Markt schwächelt, seien auch die Nachbarländer davon betroffen.